Zürich hat sich für Google stark entwickelt in den vergangenen Jahren. Welche Erwartungen hat die Zentrale in Mountain View an Zürich?
Urs Hölzle*: Bigger and better (lacht). Nein, im Ernst: Wir haben vor zwölf Jahren hier angefangen – und es gab nur eine Handvoll Leute. Ich hätte nie gedacht, dass es einmal 2000 Mitarbeitende werden würden, wie es heute der Fall ist. Damals hatte Google gerade einmal etwa 2000 Mitarbeitende weltweit. Für mich ist das eine wahnsinnige Entwicklung. Es passt für alle und funktioniert für das Unternehmen, die Mitarbeitenden, die Stadt, den Kanton. Wir haben keine Erwartung an Zürich, weil wir wissen, es funktioniert und geht gut. Die neuen Räumlichkeiten geben uns die Möglichkeit, weiter zu wachsen.

Heisst das: Sie haben hier bald 5000 Mitarbeitende?
Wir haben Platz für bis zu 5000 Mitarbeitende über die nächsten Jahre. Die Rahmenbedingungen sind gegeben, dass wir weiter wachsen können. Und wenn es weiter so gut läuft, tun wir das wahrscheinlich auch. Aber im Internet-Geschäft sind fünf bis zehn Jahre eine Ewigkeit, deshalb können wir das nicht so genau voraussagen. Das wichtigste Thema in der Schweiz ist natürlich Innovation, das Land führt da auch die internationalen Rankings an.

Wie hat sich die Wahrnehmung im Google-Hauptsitz im Silicon Valley auf die Schweiz geändert, jetzt da der Standort Zürich so stark an Bedeutung gewonnen hat?
Wenn Ableger grösser werden, werden sie selbständiger und Aufgaben können auf höherer Ebene leichter delegiert werden, wenn es funktioniert. Zürich ist als Partner anerkannt, vergleichbar mit New York – ausser dass der Zeitunterschied grösser ist. Die Zusammenarbeit ist zu einer Selbstverständlichkeit geworden.

Was ist das nächste grosse Ding, das aus Zürich kommt?
Wovon wir uns sehr viel erhoffen, ist der Google Assistant, der ursprünglich aus Zürich kommt. Ein grosses Thema der nächsten Jahre wird sein: Wie kann das maschinelle Lernen vereinfacht und allen Nutzern zugänglich gemacht werden?

Sie haben an der ETH und in Stanford studiert. Wo sind die grössten Unterschiede?
Stanford war im Bereich Computer Science damals schon etwas grösser und man ist dort eher auf sich gestellt. In der Schweiz ist es etwas stärker gesteuert. Was mich am meisten überrascht hat und heute zum Teil immer noch gilt: Die Ausrüstung für die Studenten war an der ETH deutlich besser als in Stanford. Das dritte ist sicher, dass die Risikobereitschaft in Stanford grösser ist als hier: Als Student wird man aufgefordert, sich eigene Projekte zu suchen, etwa in dem Stil: Wenn es funktioniert, ist es super; wenn es aber nicht klappt, mach' einfach etwas anderes – kein Problem. Das Versagen gehört also dazu. Wenn immer alles funktioniert, hat man sich womöglich Herausforderungen gesucht, die zu einfach sind. Dann schafft man nicht den Durchbruch.

Stichwort: Schweizer Startup-Szene. Welche Tipps haben Sie für Jungunternehmer parat?
Das Umfeld hat sich in den vergangenen Jahren stark verbessert: Zum einen kann man heute mit viel weniger Geld etwas Eigenes anfangen – Sie brauchen kein eigenes Rechenzentrum, müssen keine eigenen Server kaufen. Zudem wird die Startup-Szene in der Schweiz heute bewusster gefördert. Kürzlich habe ich eine Statistik gesehen, wonach in Europa in den letzten zehn Jahren mehr Stellen von Jungunternehmen geschaffen wurden als von den Grossunternehmen. Man ist sich inzwischen bewusst, dass viel Wachstum aus diesem Bereich kommt und man das fördern muss. Meine Empfehlung wäre: Wenn man eine Idee hat, sollte man es probieren. Meine Bitte an die Umwelt ist dann: Es muss möglich sein, zu scheitern. Und das sollte kein schwarzer Fleck im Lebenslauf sein. Denn auch im Silicon Valley funktionieren neun von zehn Startups nicht.

Ein gescheitertes Jungunternehmen als Eintrittskarte für Google?
Wir fragen Bewerber dann gerne: Was hast du gelernt, warum hat es nicht funktioniert?

Immer wieder heisst es, für Schweizer Jungfirmen sei es schwieriger an Kapital zu kommen. Ist das ein Grund, warum es in der Schweiz nicht mehr Tech-Firmen gibt mit internationaler Schlagkraft wie Google?
Das kann sein. Aber das gilt eigentlich für ganz Europa: Es gibt, vielleicht ausser Spotify oder Angrybirds, nur wenige Firmen, die von Europa aus in die Welt gegangen sind. Einer der Gründe ist, dass es keinen grossen Binnenmarkt gibt. Im Gegensatz zu den USA, wo es keine Sprachbarrieren gibt: Dort haben Sie eine Applikation für 300 Millionen Nutzer – dann können ohne grossen Aufwand Kanada und Grossbritannien hinzukommen. Sie erreichen die Wachstumsschwelle also viel schneller als in Europa.

Was müssen kleine und mittlere Unternehmen (KMU) hierzulande beherzigen, um die Herausforderungen der Digitalisierung bewältigen zu können?
Weil die Schweiz ein Exportland ist, ist die Digitalisierung eine Chance. Die Cloud macht es zum Beispiel leichter, Software zu exportieren, ohne dass man physische Stützpunkte aufbauen muss. Dank des Internets können sie aber auch viel leichter eine globale Kundschaft erreichen, seien es Konsumenten in Asien oder eine Firma in Südamerika. Der digitale Wandel ist wahrscheinlich einer der Gründe, warum es arbeitsplatztechnisch in der Schweiz in den letzten zehn Jahren nach oben gegangen ist.

Für viele Unternehmen scheint die Digitalisierung heute noch immer ein Buzzword. Sind die Schweizer KMU zu konservativ für die Cloud?
Jein. Über die Cloud wird heute zwar schon viel gesprochen, aber nur ein verschwindend kleiner Anteil des IT-Marktes ist heute bereits in die Cloud gewandert. Das ist nicht nur in der Schweiz, sondern in vielen anderen Ländern so. Das Wandel fängt erst an, beschleunigt sich jetzt aber. Die USA sind wahrscheinlich am weitesten, auch in Grossbritannien oder Brasilien gibt es Bewegung. Die Schweiz hat eine gute Infrastruktur, deshalb ist der Anreiz zur Umstellung kleiner. Je schlechter die Infrastruktur, desto attraktiver ist die Cloud. Spannend ist, dass die Konsumenten die Cloud schon seit zehn Jahren nutzen, zum Beispiel über Gmail. Kein Konsument fragt sich, ob er Gmail selbst betreiben soll.

Die Konsumenten sind also experimentierfreudiger?
Es gibt einen Unterschied zwischen dem, was alle machen und dem, was Firmen tun. Früher war die IT den Konsumenten voraus: Wenn sie in den 1980er Jahren die beste Technologie sehen wollten, haben sie bei Firmen geschaut. Das hat sich gewandelt. Heute kommt die coolste Technologie zuerst zum Konsumenten, dann erst zu Unternehmen. Das liegt daran, dass die Unternehmen in den letzten Jahren immer konservativer geworden sind. Das ist in der Schweiz aber nicht anders als in anderen Ländern.

Ändert sich das?
Viele Startups arbeiten ohnehin schon in der Cloud. Immer mehr grosse Unternehmen in der Schweiz wie Roche oder LafargeHolcim tun das auch. Das hat Signalwirkung für die KMU.

Google will mit der Cloud in wenigen Jahren so viel Geld einnehmen wie mit Werbung. Aktuell liegt Ihr Marktanteil im Cloudbereich bei 6 Prozent, Amazon und Microsoft sind Ihnen voraus. Ist das Ziel utopisch?
Wir stehen bei der Cloud ganz am Anfang und das Wachstum wird anziehen. Auch ist der Markt ja riesig – viel grösser als der Werbemarkt. Deshalb sind die Möglichkeiten sehr gut. Ich glaube wirklich, dass die Umwälzungen, welche die Cloud mit sich bringen wird, noch viel tiefgreifender sind, als viele Menschen heute denken. Und als eine von drei grossen Firmen, die heute stark daran arbeiten, haben wir eine grosse Chance, ganz vorne dabei zu sein. Aber haben wir dafür eine Garantie? Natürlich nicht.

*Urs Hölzle hat 1999 als Mitarbeiter Nummer acht bei Google angefangen. Der Baselbieter lebte damals bereits seit mehr als einem Jahrzehnt in den USA. Mittlerweile ist er der dienstälteste Angestellte von Google neben den Gründern Larry Page und Sergey Brin. Der Informatiker kümmert sich als Senior Vice President um die technische Infrastruktur – zum Beispiel darum, den Stromverbrauch von Datenzentren zu senken.

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