Es war keine wirkliche Überraschung, als die beiden mächtigsten Menschen der Welt, Präsident George W. Bush und US-Notenbankchef Alan Greenspan, am Montag, 24. Oktober, in Washington vor die Kameras traten. Schliesslich war der Termin lange überfällig. Es war auch keine Überraschung, wen die beiden da an ihrer Seite präsentierten. Schliesslich war Ben Bernanke der klare Favorit für die Nachfolge Greenspans auf dem wichtigsten Wirtschaftsposten, den der US-Präsident zu besetzen hat: Wer bei den Buchmachern fünf Dollar auf Bernanke als neuen Notenbankchef setzte, bekam zu seinem Einsatz nur vier wieder heraus.

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Der 61-Jährige also wird Ende Januar das Amt von Alan Greenspan übernehmen, der 18 Jahre lang als Notenbankchef die Wirtschaftsgeschichte der USA und der Welt geprägt hat wie kein anderer. Im Vorgefühl der historischen Zäsur fielen grosse Worte: «Greenspan hat ein Anrecht darauf, als der grösste Zentralbanker, der je gelebt hat, bezeichnet zu werden», huldigte ihm etwa der Princeton-Ökonom Alan Blinder, der selbst schon Vize-Chef der Fed war.

Das bevorstehende Ende der Ära Greenspan ruft aber nicht nur Lobeshymnen hervor, sondern auch Befürchtungen. «Das wird nicht so sein, wie wenn man den Zahnarzt wechselt», sagte Blinder. «Es könnte eine traumatische Erfahrung für die Märkte werden.» Sicher, die notorisch hysterischen Finanzmärkte befürchteten auch schon 1987 das Schlimmste, als Paul Volcker, der grosse Kämpfer gegen die Inflation, nach acht Jahren durch Greenspan an der Spitze der Fed abgelöst wurde.

Aber diesmal ist das Potenzial für Turbulenzen grösser. Das hat auch mit Greenspan selbst zu tun. Denn ungeachtet der ihm verliehenen pompösen Attribute («Gott des Geldes») mehren sich im letzten Jahr seiner Amtszeit kritische Stimmen. «Er wird seinem Nachfolger eine ernsthaft aus dem Gleichgewicht geratene Wirtschaft hinterlassen», urteilen etwa die Ökonomen der Investment-Bank Goldman Sachs. In der Tat: Der US-Haushalt steckt mit rund fünf Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) in den roten Zahlen, das Defizit in der US-Leistungsbilanz bewegt sich jenseits der Marke von sechs Prozent des Bruttoinlandproduktes, und auf dem US-Immobilienmarkt hat sich eine Blase gebildet, die zu platzen droht.

Dabei ist Greenspan natürlich nicht an allen Risiken schuld – am wenigsten am amerikanischen Haushaltsdefizit, das er selbst immer wieder angeprangert hat. Aber dass die Immobilienpreise aus dem Ruder laufen, dafür trägt er nach Ansicht von Kritikern eine erhebliche Mitschuld: Mit seinen aggressiven Zinssenkungen habe er zu viel überschüssige Liquidität ins System gepumpt und damit die Preisblase erst möglich gemacht. «Die Fed ist zu stark aufs Gaspedal getreten», sagt Manfred J.M. Neumann von der Universität Bonn.
Die zu expansive Geldpolitik wirkte auf den ersten Blick segensreich: Infolge der steigenden Immobilienpreise fühlen sich die Amerikaner immer wohlhabender und konsumieren deshalb mehr. Vielfach auf Pump: Begünstigt durch die historisch niedrigen Zinsen haben sich die US-Konsumenten bis über beide Ohren verschuldet – die Sparquote ist mittlerweile sogar negativ. Der damit verbundene Nachfragesog hat die Importe nach Amerika anschwellen und die US-Handelsbilanz immer tiefer ins Defizit rutschen lassen. Nur weil Ausländer ständig amerikanische Wertpapiere kaufen, kam es beim Dollar nicht zu dem gefürchteten Kursrutsch.

Kurz: Die laxe Geldpolitik von Alan Greenspan hat massgeblich dazu beigetragen, dass sich die Weltwirtschaft in einem äusserst fragilen Zustand befindet. «Die Welt von heute ist gekennzeichnet durch eine ungewöhnliche, wahrscheinlich nie da gewesene Kombination finanzieller Ungleichgewichte», warnt der Chef der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel, Malcolm Knight. Eine Krise des Finanzsystems sei nicht auszuschliessen, sollten sich die angestauten Spannungen in der Weltwirtschaft plötzlich entladen. Wahrscheinlicher sei aber eine graduelle Anpassung, verbunden mit einer lang anhaltenden globalen Wachstumsschwäche.

Ausgehen könnte dieses düstere Szenario von den USA. Zwar wirkt die amerikanische Wirtschaft derzeit noch ziemlich robust. Aber angesichts der schweren Sturmschäden im Süden der USA und der hohen Energiepreise zeigen sich erste Zeichen der Verunsicherung. So hat sich die Konsumfreude eingetrübt: Der vom Wirtschaftsforschungsinstitut Conference Board ermittelte Index für das Verbrauchervertrauen brach von 105,5 auf 86,6 Punkte ein.
Zudem hat die Spekulation auf den Immobilienmärkten Besorgnis erregende Ausmasse angenommen. Jan Hatzius von Goldman Sachs glaubt sogar, dass sich die Preishausse in den letzten Monaten noch beschleunigt hat. «Die Immobilienpreise sind überzogen, und je länger der Boom anhält, desto schlimmer wird es», sagt Hatzius. Experten schätzen, dass 30 bis 35 Prozent der Konsumsteigerung im vergangenen Jahr durch die Preissteigerungen am Häusermarkt verursacht wurden. Würden nun umgekehrt die Immobilienpreise fallen, müsste dies den privaten Verbrauch schwer schädigen, zumal auch noch die Energiepreise stark gestiegen sind. Damit würde die wichtigste Stütze der US-Konjunktur wegbrechen, mit weit reichenden Folgen auch für die Weltwirtschaft. Angesichts dieser Risiken wurde sogar Greenspan, sonst eher ein Meister des gepflegten Wortnebels, ungewohnt deutlich. «In naher Zukunft wird sich der Boom am Häusermarkt unweigerlich abschwächen», sagt er.

Gehandelt hat der abtretende Notenbankchef ja schon. Seit Mitte vergangenen Jahres hat er den Leitzins in elf Trippelschritten von 1,0 auf mittlerweile 3,75 Prozent heraufgeschleust. Bis Ende des Jahres könnten noch zwei weitere Schritte auf 4,25 Prozent folgen. Doch Greenspan steckt in einem Dilemma: Denn möglicherweise wird das nicht genügen, um die wachsende Inflationsgefahr einzudämmen und weitere Übertreibungen an den Märkten zu verhindern. Zugleich aber steigt mit jeder Zinserhöhung das Risiko, dass die Immobilienblase platzt und die Konjunktur abschmiert.

In diese Sackgasse hat sich die Fed durch ihre Niedrigzinspolitik in der Vergangenheit selbst hineinmanövriert. Und es gibt kein Entkommen, glaubt Thorsten Polleit von Barclays Capital. «Es wird der Fed nie gelingen, die überschüssige Liquidität wieder einzufangen», fürchtet er.

Alan Greenspan, der grösste Zentralbanker, der jemals gelebt hat? Im Licht der derzeitigen Verwerfungen gelangen einige Experten zu einer anderen Bewertung. Zwar ist die US-Wirtschaft während seiner Amtszeit bei moderater Inflation kräftig gewachsen. Andererseits, so der Bonner Geldtheoretiker Neumann, waren seit 1991 die Schwankungen der Wachstumsraten grösser als in Euroland – Greenspan ist es also kaum gelungen, den Wachstumsverlauf der Wirtschaft zu glätten. Zudem war die Inflation in den USA höher als in Europa. Neumanns Fazit: «So erfolgreich war Greenspan auch wieder nicht – da ist viel Mythos drin.»

Dabei hatte Greenspan während seiner Amtszeit aussergewöhnliche Herausforderungen zu meistern. Kaum im Amt, stürzte der Dow Jones Index am 19. Oktober 1987 um 22,6 Prozent. Es folgten zwei Irakkriege, das Platzen der New-Economy-Blase und die Anschläge vom 11. September 2001. Greenspan behandelte all das mit grossem Fingerspitzengefühl – und unabhängig von den Einflüsterungen der Politiker. Zu Hilfe kam ihm auch sein Talent zur Kommunikation. Sein Trick, so David Resler, Chefökonom der japanischen Investment-Bank Nomura Securities in New York: «Er versteht sich gleichermassen auf die Klarheit der Argumente und auf die Kunst des Vernebelns.» Die Fähigkeit zu wissen, wann eher deutliche Worte und wann eher kryptische Aussagen angemessen sind, habe Greenspans Führungskraft gestärkt, sagt Resler. Auch wenn der Mythos bröckelt: Greenspan hat seinem Nachfolger grosse Schuhe hinterlassen.

Schwer wird es für Bernanke auch deshalb, weil die Geldpolitik der Notenbank extrem stark auf Greenspan ausgerichtet war. Er war so dominant, dass die Beschlüsse des geldpolitischen Komitees in der Regel einstimmig gefasst wurden. Während der gesamten Amtszeit gab es gerade mal 15 Gegenstimmen, zuletzt bei der Erhöhung der Leitzinsen Ende September auf jetzt 3,75 Prozent, als ein Mitglied des Gremiums angesichts der Hurrikankatastrophen die Leitzinsen konstant halten wollte.

In den Vereinigten Staaten war Alan Greenspan in den vergangenen 18 Jahren Massstab für die Geldpolitik – eine Mischung aus brillanter Analyse, Intuition und Glück. Dieser Erfolg scheint nicht so einfach wiederholbar. Princeton-Ökonom Blinder: «Das Geheimnis seines Erfolgs bleibt zum grossen Teil ein Geheimnis.»

Rolf Ackermann, Malte Fischer, Andreas Henry, «WirtschaftsWoche»