Nur im Notfall bewegen sich Freisinnige und SVP-Vertreter im Zürcher Kantonsrat auf einer Linie. Doch als es galt, die bisher öffentlich zugänglichen Steuerregister faktisch zu versiegeln, standen die Bürgerlichen gemeinsam stramm für Intransparenz. Das Stimmvolk schluckte die im neuen Steuergesetz versteckte Bestimmung, wonach jedermann seine Steuerdaten sperren lassen kann. Seit dem 1. Januar 1999 können Nullsteuermillionäre wie die Kopps und echte Millionäre wieder ruhig schlafen.
Kein Zufall, haben nach Zürich auch die beiden Steueroasen Zug und Nidwalden den Schleier der Diskretion über ihre Steuerregister gelegt – ganz im Sinne der Schweizer Banken, die ihren Kunden Privacy versprechen, egal, ob es sich um Ausländer handelt, die ihre Gelder in der Schweiz anlegen, oder um Steuerzahler mit hiesigem Wohnsitz.
Und heute? Kurt Schiltknecht, Sprachrohr von Bankier Martin Ebner, fordert die Öffnung der Steuerregister; mehr noch: Er rührt an ein Tabu. Das Steuergeheimnis soll für Schweizer aufgehoben, dem Fiskus der freie Blick aufs private Bankkonto gestattet werden. Nicht einmal im Traum hätte die bankenkritische Linke gewagt, ein solches Postulat, das den Steuervögten Pleinpouvoir gibt, in die Welt zu setzen.
Ebner selber ist punkto Transparenz vom Paulus zum Saulus mutiert. Angeblich unter Druck des ABB-Grossaktionärs sind die horrenden Abfindungen für die ehemaligen ABB-Führer Barnevik und Lindahl erst publik geworden. Früher verfocht Ebner den integralen Persönlichkeitsschutz besonders eifrig. 1997 weigerte er sich, die Besitzverhältnisse seiner BZ Bank bekannt zu geben und wandte sich deswegen – allerdings ohne Erfolg – ans Bundesgericht.
Die Abzockerdebatte hat die Politik stärker verändert als kaum ein Skandal zuvor. Noch nie haben Politiker ihre Überzeugung gleich reihenweise über Bord geworfen. Wirtschaftsminister Pascal Couchepin etwa betrachtete Corporate Covernance, die Führungs- und Kontrollregeln von Unternehmen, bislang durch die Lupe liberaler Ordnungspolitik, so auch die Offenlegung von Topgehältern. «Es wäre eine Illusion zu glauben, dass man dieses Problem gesetzlich lösen kann», verkündete Couchepin noch vor einem Jahr. Markt bedeute schliesslich nicht Voyeurismus. Die Über-Kreuz-Verflechtungen von Spitzenmanagern und Verwaltungsräten, die sich ihre Löhne gegenseitig festlegen, seien zwar unschön, doch dies sei noch kein Grund, den Gesetzgeber auf den Plan zu rufen.
Seine Thesen von gestern kümmern ihn heute nicht mehr: «Ich unterstütze eine gesetzliche Lösung», gesteht er kleinlaut. Für Freisinnige wie Couchepin ist der Zielkonflikt zwischen Privatsphäre und Transparenz nicht nur ideologisch höchst unangenehm; die FDP als Partei der Wirtschaftselite steht den angeschossenen Managern auch am nächsten.
Weniger Skrupel verspürt SVP-Nationalrat Christoph Blocher: Der Milliardär weidet den Skandal instinktsicher aus, indem er die Wirtschaftsführer in gute Unternehmer und böse Manager teilt. Die Abzocker stellt er auf die gleiche Stufe wie Kriminelle und verlangt detaillierte Offenlegung von Gehältern im Topmanagement und im Verwaltungsrat. «Wenn Manager von Firmen, die ihnen nicht gehören, derartige Summen herausnehmen, muss der Staat eingreifen.» Dabei befindet er sich unvermittelt im gleichen Boot mit seinen notorischen Gegnern: den Sozialdemokraten und Ringiers gewerkschaftsnaher Boulevardpresse.
Die Bedrohung muss schon gross sein, wenn ausgerechnet Blocher, dem jeder wirtschaftspolitische Interventionismus ein Gräuel ist, plötzlich nach dem Gesetzgeber ruft. Auf dem Spiel steht «das Privateigentum als zentrale Voraussetzung für eine freie Wirtschaft und für die Wohlfahrt der Menschen», wie die SVP leicht pathetisch proklamiert. Blocher, sonst auf Distanz zum Berner Verwaltungsapparat, zeigt sich einsichtig: «Es gibt Grundfragen, bei denen man auf den Staat nicht verzichten kann.»
Nur: Er selber ist massgeblich dafür verantwortlich, dass die Interessen der Aktionäre im geltenden Recht kaum berücksichtigt werden – mit Ausnahme etwa der Verantwortlichkeitsklage und der Haftungsansprüche bei Fahrlässigkeit. «Wir sehen in der Schweiz hinter der Aktiengesellschaft immer auch das Unternehmen als Einheit von Kapitalgebern und Mitarbeitern», predigte Blocher 1985 bei der Beratung des neuen Aktienrechts. Die von ihm und den damaligen FDP-Cracks Ulrich Bremi und Georg Stucky angeführte bürgerliche Mehrheit schmetterte sämtliche Anträge von links und aus der Mitte ab, die Publizitätsvorschriften internationalen Standards anzupassen. So wurde die Pflicht zur Bekanntgabe wesentlicher Beteiligungen aus der bundesrätlichen Vorlage gekippt. Blocher: «Es gibt Beteiligungen eines Unternehmens an einem andern Unternehmen, die man bewusst aus Konkurrenzgründen nicht bekannt geben will.» Nur zwei Jahre zuvor hatte Jungunternehmer Christoph Blocher die Macht in der Chemiefirma Ems an sich gerissen.
«Es wäre eine Illusion zu glauben, dass man dieses Problem gesetzlich lösen kann.»
Wirtschaftsminister Pascal Couchepin am 16. Mai 2001 im «Tages-Anzeiger» zum Thema Transparenz bei Managerlöhnen.
«Ich unterstütze eine gesetzliche Lösung.»
Wirtschaftsminister Pascal Couchepin am 14. März 2002 im «Blick» zum gleichen Thema.
Die geschlossene Front von Wirtschaftsfreisinn, rechter CVP und SVP argumentierte damals streng ideologisch. Mit besonderer Vehemenz wandte sich der Anti-68er Blocher gegen die grassierende linke «Philosophie», wonach die privatwirtschaftliche Tätigkeit einer «öffentlichen Kontrolle» bedürfe. Lustvoll mokierte er sich in jener Debatte denn auch über einen «gewissen Trend», dass alles bis in die gute Stube hinein öffentlich sein soll.
Früher bekämpfte die Linke den Einfluss der Banken, heute rüttelt die SVP, die Partei des ehemaligen Grossbanken-Verwaltungsrates Blocher, an deren Macht. Mit einer parlamentarischen Initiative will sie das generelle Depot-, das Organ- und das unabhängige Stimmrecht bei börsenkotierten Firmen aufheben. Nur einzeln und von Jahr zu Jahr soll in Zukunft der Aktionär seine Mitgliedschaftsrechte übertragen können. 1985, bei der Revision des Aktienrechtes, empfand Blocher «die Macht der Depotstimmen» als «gar nicht besonders gross», umso mehr, als das Ganze «leicht unterlaufen werden kann». Die Gesellschaften, argumentiert Blocher heute, seien eben viel grösser geworden, entsprechend sei auch der Einfluss der Banken gewachsen.
Die neue Aktionärsfreundlichkeit der SVP treibt den Konkurrenten die Zornesröte ins Gesicht: «Wenn man die Shareholder wirklich ernst nehmen würde, gäbe es die Stimmrechtsaktien gar nicht», schimpft CVP-Ständerat Eugen David, der für «one share, one vote» plädiert. Blocher-Freund Ebner, neuer Kämpfer für die Aktionärsrechte, hat sein Imperium mit Stimmrechtsaktien kontrolliert. Blocher findet das stimmenmässige Übergewicht der Namenaktie «nicht so problematisch», man könne dies allenfalls ja ändern. «Doch ohne den Vorteil des Vorzugsstimmrechts gäbe es die Ems-Chemie nicht mehr. Ich hätte Ems gar nicht kaufen können», räumt Blocher ein, der das darniederliegende Bündner Industrieunternehmen damals für schätzungsweise 20 Millionen Franken erwerben konnte.
Die anhaltende Empörung über die Managerlöhne bringt noch eine weitere feste Säule bürgerlicher Wirtschaftspolitik ins Wanken: die Selbstregulierung. Bis heute verteidigte die Rechte ihre dogmatische Überzeugung, wonach Kontrolle zwar wichtig sei, sie jedoch am besten Privaten, Verbänden und Interessengruppen überlassen werde. Besonders üppig gedieh das Instrument der Selbstregulierung in den Neunzigerjahren, als die blühende Idee von Privatisierung und Liberalisierung den zum Perfektionismus neigenden Staatsapparat erschütterte. «Statt die Kontrollstrukturen zu optimieren, hat man sie eingerissen», ärgert sich CVP-Ständerat Eugen David.
Das neue Börsengesetz zeigt exemplarisch, welcher Geist bis vor wenigen Jahren wehte. Die Schweizer Börse als Monopolanstalt organisiert und kontrolliert sich weitgehend selber: Vertreter von Banken und börsenkotierten Firmen haben das Sagen, während sich die Aufsicht der Eidgenössischen Bankenkommission vergleichsweise rudimentär ausnimmt.
Wie diese Autonomie missbraucht werden kann, zeigt der Fall Fischer exemplarisch: Jörg Firscher präsidierte jahrelang sowohl die Bank Vontobel als auch die Börse und halste sich damit ein gravierendes Corporate-Governance-Problem auf. Als ihn Vontobel wegen des Debakels um die Internetbank You vor gut einem Jahr feuerte, weigerte er sich trotz angeschlagener Reputation standhaft, das Börsenpräsidium zur Verfügung zu stellen. Erst nach monatelangen Abklärungen durch die EBK schickte er sich ins Unausweichliche und trat zurück.
Schiffbruch hat das System bei der Geldwäschereigesetzgebung im Parabankensektor erlitten. Ob die Finanzintermediäre ihre Pflichten erfüllen, wird von einem Dutzend Selbstregulierungsorganisationen (SRO) kontrolliert. Das neue Regime geriet schon am Anfang in eine Krise, weil einzelne SROs die Interessen der Finanzintermediäre etwas sehr stark berücksichtigt haben sollen. Die Vollzugsprobleme eskalierten, eine Unité de Doctrine war nicht feststellbar. 2001 musste der Leiter der Eidgenössischen Kontrollstelle zur Bekämpfung der Geldwäscherei unter lautem Getöse den Sessel räumen. Seit Jahren brüten Experten zwar über dem Projekt einer integrierten Finanzmarktaufsicht für Banken, Parabanken, Versicherungen, Pensionskassen usw., doch der Bundesrat treibt es nicht entschlossen voran.
Liechtenstein, als Finanzplatz angeschlagen, war diesbezüglich schneller. «Selbstregulierung setzt Vertrauen in die Organisationen voraus, und die fehlt in der Bevölkerung», konstatiert Eric Scheidegger, Wirtschaftsberater von Bundesrat Pascal Couchepin.
Im Wirtschaftsrecht steht der Staat vor einem Comeback. Seine ordnende Hand ist plötzlich wieder gefragt. Doch auch wirtschaftspolitisch stehen die Zeichen auf mehr Staat. Diesen Trend belegen das Milliardenengagement des Bundes im Luftverkehr, das Revival des Service public, die drohenden Ausgabensteigerungen des Bundes sowie die Redimensionierung und die Verschiebung des Steuersenkungspaketes. Die finanz- und wirtschaftspolitische Harmonie im bürgerlichen Lager währte nach den letzten Wahlen nur kurze Zeit. Christoph Blocher: «Swissair hat uns um Jahre zurückgeworfen.»
«Mehr Staat» wird wieder salonfähig
Ankläger und Abwiegler
Kein Zufall, haben nach Zürich auch die beiden Steueroasen Zug und Nidwalden den Schleier der Diskretion über ihre Steuerregister gelegt – ganz im Sinne der Schweizer Banken, die ihren Kunden Privacy versprechen, egal, ob es sich um Ausländer handelt, die ihre Gelder in der Schweiz anlegen, oder um Steuerzahler mit hiesigem Wohnsitz.
Und heute? Kurt Schiltknecht, Sprachrohr von Bankier Martin Ebner, fordert die Öffnung der Steuerregister; mehr noch: Er rührt an ein Tabu. Das Steuergeheimnis soll für Schweizer aufgehoben, dem Fiskus der freie Blick aufs private Bankkonto gestattet werden. Nicht einmal im Traum hätte die bankenkritische Linke gewagt, ein solches Postulat, das den Steuervögten Pleinpouvoir gibt, in die Welt zu setzen.
Ebner selber ist punkto Transparenz vom Paulus zum Saulus mutiert. Angeblich unter Druck des ABB-Grossaktionärs sind die horrenden Abfindungen für die ehemaligen ABB-Führer Barnevik und Lindahl erst publik geworden. Früher verfocht Ebner den integralen Persönlichkeitsschutz besonders eifrig. 1997 weigerte er sich, die Besitzverhältnisse seiner BZ Bank bekannt zu geben und wandte sich deswegen – allerdings ohne Erfolg – ans Bundesgericht.
Die Abzockerdebatte hat die Politik stärker verändert als kaum ein Skandal zuvor. Noch nie haben Politiker ihre Überzeugung gleich reihenweise über Bord geworfen. Wirtschaftsminister Pascal Couchepin etwa betrachtete Corporate Covernance, die Führungs- und Kontrollregeln von Unternehmen, bislang durch die Lupe liberaler Ordnungspolitik, so auch die Offenlegung von Topgehältern. «Es wäre eine Illusion zu glauben, dass man dieses Problem gesetzlich lösen kann», verkündete Couchepin noch vor einem Jahr. Markt bedeute schliesslich nicht Voyeurismus. Die Über-Kreuz-Verflechtungen von Spitzenmanagern und Verwaltungsräten, die sich ihre Löhne gegenseitig festlegen, seien zwar unschön, doch dies sei noch kein Grund, den Gesetzgeber auf den Plan zu rufen.
Seine Thesen von gestern kümmern ihn heute nicht mehr: «Ich unterstütze eine gesetzliche Lösung», gesteht er kleinlaut. Für Freisinnige wie Couchepin ist der Zielkonflikt zwischen Privatsphäre und Transparenz nicht nur ideologisch höchst unangenehm; die FDP als Partei der Wirtschaftselite steht den angeschossenen Managern auch am nächsten.
Weniger Skrupel verspürt SVP-Nationalrat Christoph Blocher: Der Milliardär weidet den Skandal instinktsicher aus, indem er die Wirtschaftsführer in gute Unternehmer und böse Manager teilt. Die Abzocker stellt er auf die gleiche Stufe wie Kriminelle und verlangt detaillierte Offenlegung von Gehältern im Topmanagement und im Verwaltungsrat. «Wenn Manager von Firmen, die ihnen nicht gehören, derartige Summen herausnehmen, muss der Staat eingreifen.» Dabei befindet er sich unvermittelt im gleichen Boot mit seinen notorischen Gegnern: den Sozialdemokraten und Ringiers gewerkschaftsnaher Boulevardpresse.
Die Bedrohung muss schon gross sein, wenn ausgerechnet Blocher, dem jeder wirtschaftspolitische Interventionismus ein Gräuel ist, plötzlich nach dem Gesetzgeber ruft. Auf dem Spiel steht «das Privateigentum als zentrale Voraussetzung für eine freie Wirtschaft und für die Wohlfahrt der Menschen», wie die SVP leicht pathetisch proklamiert. Blocher, sonst auf Distanz zum Berner Verwaltungsapparat, zeigt sich einsichtig: «Es gibt Grundfragen, bei denen man auf den Staat nicht verzichten kann.»
Nur: Er selber ist massgeblich dafür verantwortlich, dass die Interessen der Aktionäre im geltenden Recht kaum berücksichtigt werden – mit Ausnahme etwa der Verantwortlichkeitsklage und der Haftungsansprüche bei Fahrlässigkeit. «Wir sehen in der Schweiz hinter der Aktiengesellschaft immer auch das Unternehmen als Einheit von Kapitalgebern und Mitarbeitern», predigte Blocher 1985 bei der Beratung des neuen Aktienrechts. Die von ihm und den damaligen FDP-Cracks Ulrich Bremi und Georg Stucky angeführte bürgerliche Mehrheit schmetterte sämtliche Anträge von links und aus der Mitte ab, die Publizitätsvorschriften internationalen Standards anzupassen. So wurde die Pflicht zur Bekanntgabe wesentlicher Beteiligungen aus der bundesrätlichen Vorlage gekippt. Blocher: «Es gibt Beteiligungen eines Unternehmens an einem andern Unternehmen, die man bewusst aus Konkurrenzgründen nicht bekannt geben will.» Nur zwei Jahre zuvor hatte Jungunternehmer Christoph Blocher die Macht in der Chemiefirma Ems an sich gerissen.
«Es wäre eine Illusion zu glauben, dass man dieses Problem gesetzlich lösen kann.»
Wirtschaftsminister Pascal Couchepin am 16. Mai 2001 im «Tages-Anzeiger» zum Thema Transparenz bei Managerlöhnen.
«Ich unterstütze eine gesetzliche Lösung.»
Wirtschaftsminister Pascal Couchepin am 14. März 2002 im «Blick» zum gleichen Thema.
Die geschlossene Front von Wirtschaftsfreisinn, rechter CVP und SVP argumentierte damals streng ideologisch. Mit besonderer Vehemenz wandte sich der Anti-68er Blocher gegen die grassierende linke «Philosophie», wonach die privatwirtschaftliche Tätigkeit einer «öffentlichen Kontrolle» bedürfe. Lustvoll mokierte er sich in jener Debatte denn auch über einen «gewissen Trend», dass alles bis in die gute Stube hinein öffentlich sein soll.
Früher bekämpfte die Linke den Einfluss der Banken, heute rüttelt die SVP, die Partei des ehemaligen Grossbanken-Verwaltungsrates Blocher, an deren Macht. Mit einer parlamentarischen Initiative will sie das generelle Depot-, das Organ- und das unabhängige Stimmrecht bei börsenkotierten Firmen aufheben. Nur einzeln und von Jahr zu Jahr soll in Zukunft der Aktionär seine Mitgliedschaftsrechte übertragen können. 1985, bei der Revision des Aktienrechtes, empfand Blocher «die Macht der Depotstimmen» als «gar nicht besonders gross», umso mehr, als das Ganze «leicht unterlaufen werden kann». Die Gesellschaften, argumentiert Blocher heute, seien eben viel grösser geworden, entsprechend sei auch der Einfluss der Banken gewachsen.
Die neue Aktionärsfreundlichkeit der SVP treibt den Konkurrenten die Zornesröte ins Gesicht: «Wenn man die Shareholder wirklich ernst nehmen würde, gäbe es die Stimmrechtsaktien gar nicht», schimpft CVP-Ständerat Eugen David, der für «one share, one vote» plädiert. Blocher-Freund Ebner, neuer Kämpfer für die Aktionärsrechte, hat sein Imperium mit Stimmrechtsaktien kontrolliert. Blocher findet das stimmenmässige Übergewicht der Namenaktie «nicht so problematisch», man könne dies allenfalls ja ändern. «Doch ohne den Vorteil des Vorzugsstimmrechts gäbe es die Ems-Chemie nicht mehr. Ich hätte Ems gar nicht kaufen können», räumt Blocher ein, der das darniederliegende Bündner Industrieunternehmen damals für schätzungsweise 20 Millionen Franken erwerben konnte.
Die anhaltende Empörung über die Managerlöhne bringt noch eine weitere feste Säule bürgerlicher Wirtschaftspolitik ins Wanken: die Selbstregulierung. Bis heute verteidigte die Rechte ihre dogmatische Überzeugung, wonach Kontrolle zwar wichtig sei, sie jedoch am besten Privaten, Verbänden und Interessengruppen überlassen werde. Besonders üppig gedieh das Instrument der Selbstregulierung in den Neunzigerjahren, als die blühende Idee von Privatisierung und Liberalisierung den zum Perfektionismus neigenden Staatsapparat erschütterte. «Statt die Kontrollstrukturen zu optimieren, hat man sie eingerissen», ärgert sich CVP-Ständerat Eugen David.
Das neue Börsengesetz zeigt exemplarisch, welcher Geist bis vor wenigen Jahren wehte. Die Schweizer Börse als Monopolanstalt organisiert und kontrolliert sich weitgehend selber: Vertreter von Banken und börsenkotierten Firmen haben das Sagen, während sich die Aufsicht der Eidgenössischen Bankenkommission vergleichsweise rudimentär ausnimmt.
Wie diese Autonomie missbraucht werden kann, zeigt der Fall Fischer exemplarisch: Jörg Firscher präsidierte jahrelang sowohl die Bank Vontobel als auch die Börse und halste sich damit ein gravierendes Corporate-Governance-Problem auf. Als ihn Vontobel wegen des Debakels um die Internetbank You vor gut einem Jahr feuerte, weigerte er sich trotz angeschlagener Reputation standhaft, das Börsenpräsidium zur Verfügung zu stellen. Erst nach monatelangen Abklärungen durch die EBK schickte er sich ins Unausweichliche und trat zurück.
Schiffbruch hat das System bei der Geldwäschereigesetzgebung im Parabankensektor erlitten. Ob die Finanzintermediäre ihre Pflichten erfüllen, wird von einem Dutzend Selbstregulierungsorganisationen (SRO) kontrolliert. Das neue Regime geriet schon am Anfang in eine Krise, weil einzelne SROs die Interessen der Finanzintermediäre etwas sehr stark berücksichtigt haben sollen. Die Vollzugsprobleme eskalierten, eine Unité de Doctrine war nicht feststellbar. 2001 musste der Leiter der Eidgenössischen Kontrollstelle zur Bekämpfung der Geldwäscherei unter lautem Getöse den Sessel räumen. Seit Jahren brüten Experten zwar über dem Projekt einer integrierten Finanzmarktaufsicht für Banken, Parabanken, Versicherungen, Pensionskassen usw., doch der Bundesrat treibt es nicht entschlossen voran.
Liechtenstein, als Finanzplatz angeschlagen, war diesbezüglich schneller. «Selbstregulierung setzt Vertrauen in die Organisationen voraus, und die fehlt in der Bevölkerung», konstatiert Eric Scheidegger, Wirtschaftsberater von Bundesrat Pascal Couchepin.
Im Wirtschaftsrecht steht der Staat vor einem Comeback. Seine ordnende Hand ist plötzlich wieder gefragt. Doch auch wirtschaftspolitisch stehen die Zeichen auf mehr Staat. Diesen Trend belegen das Milliardenengagement des Bundes im Luftverkehr, das Revival des Service public, die drohenden Ausgabensteigerungen des Bundes sowie die Redimensionierung und die Verschiebung des Steuersenkungspaketes. Die finanz- und wirtschaftspolitische Harmonie im bürgerlichen Lager währte nach den letzten Wahlen nur kurze Zeit. Christoph Blocher: «Swissair hat uns um Jahre zurückgeworfen.»
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