Der Sommer ist schon seit Wochen da, die Temperaturen steigen. Das schöne Wetter freut auch das Schweizer Fahrradgewerbe. Und es kann auch ob der jüngsten Branchenstatistik jubeln: Gemäss den Zahlen des Branchenverbands Velosuisse wurden 2006 18446 oder 6,6% mehr Velos verkauft als im Vorjahr – womit erstmals seit gut sieben Jahren wieder die 300000er-Marke angekratzt wird. Dieser Absatz wurde in den 1990er Jahren regelmässig deutlich übertroffen. Heute ist der Markt geschätzte 630 Mio Fr. schwer, inklusive Verkauf von Bekleidung, Service- und Reparaturleistungen. Über 6000 Personen sind gemäss Statistik in dieser Branche beschäftigt.
Velosuisse-Präsident Gallus Komenda kommentiert die Statistik: Eigentlich widerspiegle dieses Plus gar nicht die Marktentwicklung, sondern entspringe nur einer statistischen Kosmetik. Als ein langjähriger Kenner der Schweizer Verhältnisse darf er gleichwohl bekunden: «So seriös wie heuer war diese Statistik noch nie.»
Cilo jetzt beim Discounter
Der Hintergrund: Seit der Verband seine jährliche Erhebung auf anonyme Erfassung umstellte, waren von seinen Mitgliedern, aber auch von den qualifizierten Sportmärkten und Grossverteilern wie Athleticum, Coop oder SportXX von Migros realistische, tiefere Zahlen verfügbar. Gleichwohl bestand noch eine grosse Unsicherheit in der Einschätzung der Discountmärkte wie Carrefour, Conforama, Ottos, die offenbar lange unterschätzt wurden. Dazu kommen noch Gemischtwarenläden wie Aldi und Landi (landwirtschaftliche Verbrauchermärkte), wo diesen Frühling sogar die Traditionsmarke Cilo ihre Wiedergeburt zum Schleuderpreis erlebte. Zur offziellen Statistik bestand eine Diskrepanz von einigen Zehntausend Rädern.
China überholt Taiwan
Nichtsdestotrotz wird aus der Statistik klar, worauf Herr und Frau Schweizer immer öfter radeln. Denn die Einfuhrzahlen von vergangenem Jahr zeigen: 2005 figurierte noch Taiwan als führendes Ursprungsland mit 91000 Bikes an der Spitze der Importstatistik. Vergangenes Jahr wurde das Land aber von China überholt, das mit einem Plus von 24% einen Sprung von 86000 auf 107000 Fahrräder machte. Und diese Räder sind zu Tiefstpreisen zu haben, der durchschnittliche Einkaufspreis liegt bei 162 Fr. Taiwan fiel in der Statistik mit einem Rückgang von 16% auf 75000 Einheiten zurück. Der Durchnittseinkaufspreis liegt hier bei 499 Fr. Dieser Wandel wurde von der eigenwilligen fiskalischen Behandlung begünstigt: Im Gegensatz zu den EU-Staaten, welche Fahrräder aus China mit einem massiven Antidumping-Zuschlag belasten, sind hierzulande Velos aus China sogar gänzlich zollbefreit. Schätzungsweise 50000 Billigstbikes made in China dürften 2006 von Discountmärkten zu Tiefstpreisen ab 199 Fr. auf den Markt geworfen worden sein.Der Branchenverband Velosuisse möchte sich zwar von diesen qualitativ oft minderwertigen Lockvogelangeboten distanzieren, mindestens aber sollte der Trend zum Wegwerfvelo in der neuen Statistik Berücksichtigung finden. Neben Fachhandel und Sportmärkten ist damit nämlich eine eigentliche dritte Kraft erstanden. Deshalb wird auch der ganze Zuwachs in der Statistik diesem Billigstsegment zugeordnet, was durch stagnierende Meldezahlen der Verbandsmitglieder untermauert wird.
Selbstsicherer Fachhandel
An Aussagekraft gewonnen hat die offizielle Statistik dafür durch die erstmalige wertmässige Erfassung. Und da mag sich der Fachhandel doch noch freuen: Im Gegensatz zum sichtbaren Rückgang von 4,8% bei den Stückzahlen hat er beim Wertanteil nur gut einen Prozentpunkt verloren und kann für sich ganze 85,5% der rund 350 Mio Fr. beanspruchen. Für Velosuisse-Präsident Komenda ist dieser europaweit einsam hohe Wert aber auch nicht ungefährlich: «Nachdem viele Händler schon längst die Einsteigerklasse aufgegeben haben, lassen sie sich nun verleiten, auch die untere Mittelklasse kampflos den zunehmend upmarket orientierten, qualifizierten Grossverteilern zu überlassen.» Immerhin konnten die Detaillisten vergangenes Jahr den Durchschnittspreis um 22 Fr. auf ebenso stolze 1471 Fr. steigern.Sogar rund doppelt so hoch liegt im Schnitt der erzielte Preis bei den Rennvelos. Diese zählen damit zu den wichtigsten Umsatzträgern, auch wenn die Stückzahlen auf relativ bescheidenem, mindestens aber konstanten Niveau verharren. Selbst der Boom der Rennvelomarke BMC konnte aber vergangenes Jahr einen leichten Rückgang um 1200 auf noch 13000 Verkäufe nicht verhindern.Der Stellenwert des Renners nimmt noch zu, wenn man realisiert, dass vom allgegenwärtigen Mountainbike in der vergleichbar hochwertigen, sportiven Preisklasse mit rund 20000 Stück auch nur noch etwa die Hälfte mehr verkauft wird. Was das Rennvelo für den Händler besonders interessant macht, sind die gute Marge sowie die weitgehende Exklusivität – in diesem beratungsintensiven Segment vermögen preisaggressive Grossverteiler praktisch nicht mitzumischen.
Elektrovelos im Kommen
Ähnliches gilt für Elektrovelos. Immerhin sind jüngste Dumpingangebote wie das 799-fränkige Falt-Pedelec bei Conforama ein Fingerzeig, dass sich die Discounter auch dieser aufstrebenden Nische zuwenden könnten. Vor allem dank Biketec, die für ihre Flyer ein aktives Marketing betreibt (Marktanteil in der Schweiz über 80%). Vergangenes Jahr wurden über 3000 Elektrovelos verkauft – bei einem Zuwachs von 77% das am stärksten wachsende Segment überhaupt.Mit diesem Volumen fanden sie sogar erstmals als eigene Kategorie Eingang in der Verbandsstatistik. Eine andere anscheinend stark wachsende Kategorie ist hingegen mit Vorsicht zu geniessen: Der Zuwachs von über 5000 Einheiten auf 7235 Spezialvelos (Falt- und Liegeräder, Tandems) ist offenbar nur der Lancierung eines günstigen Grossverteiler-Sondermodells zuzuschreiben.Eine weitere Relativierung der jüngsten Marktzahlen gilt es bei der Aufteilung in die beiden Segmente Sportvelos ohne und Alltagsvelos mit Ausrüstung anzubringen: Fakt ist, dass es sich bei fast der Hälfte der 138000 Mountainbikes um Einsteigermodelle unter 1000 Fr. handelt – grösstenteils sind dies wohl Schülervelos, die vom Händler strassenkonform nachgerüstet werden. Schätzungen zufolge dürfte wohl ein Drittel der als nackt erfassten Mountainbikes ausgerüstet die Geschäfte verlassen – womit aber klar City- und nicht mehr Mountainbikes die grösste Kategorie ausmachen würden.
Die zunehmenden Billigstimporte aus Asien ziehen die Aufmerksamkeit in der Fahrradbranche auf sich. Das solide Schweizer Qualitätshandwerk gibt es daneben aber sehr wohl noch: Rund 40000 Fahräder werden pro Jahr in der Schweiz montiert.
Die grösste Fertigungstiefe hat immer noch die Marke Aarios, die als letzter industrieller Hersteller nach wie vor sogar die Rahmen selber fertigt. Seit 1930 produziert die Firma aus Gretzenbach im Kanton Solothurn Fahrräder. Auf Aarios folgt die Ostschweizer Marke Cresta, die alle Fahrräder mindestens noch selber lackiert.Neuestens nimmt die Tendenz zu Swiss made sogar wieder zu: Für diese «Repatriierung» spricht die grössere Flexibilität, um auf die Kundenwünsche einer anspruchsvollen Klientel einzugehen. Jüngstes Beispiel ist Thömus Veloshop: Die jahrelang nur regional bekannte «Marke vom Bauernhof» fasst langsam, aber stetig im ganzen Land Fuss und montiert seit diesem Jahr ausser Juniorbikes alle Modelle in einer umgenutzten Lagerhalle in Thörishaus, nahe am Firmensitz im Berner Hinterland, selber (siehe auch «Handelszeitung» Nr. 23 vom 7. Juni 2006). Ein weiteres Beispiel wird BMC sein, die nach eigenen Angaben zu den Schweizer Top Drei der Fahrradmarken gehört: Die dank dem Rennsport auch international erfolgreiche Firma – die Hälfte des Umsatzes wird inzwischen im Ausland erzielt – will ab nächstem Jahr sogar die Highend-Carbonrahmen in einem neuen Werk in der Schweiz fertigen.