Das «Kupfer-Wolle-Bast-Image», das er den Hilfswerken gegenüber in der Wirtschaft da und dort wahrnimmt, behagt ihm gar nicht. «Ich möchte manche dieser so genannt gestandenen Manager aus der Privatwirtschaft sehen, wenn sie einen derart komplexen Betrieb leiten müssten», stellt sich Caritas-Schweiz-Chef Jürg Krummenacher ins richtige Licht.
Immerhin sei die Caritas Schweiz in 50 Ländern aktiv, sei ein Mehrspartenhilfswerk, in der Grundlagenarbeit tätig, der Sozialberatung, der Katastrophenhilfe, in der Betreuung von Flüchtlingen und Asylsuchenden, führe Läden ein veritables «Generalunternehmen der Solidarität». Die Caritas Schweiz ist im 162 Organisationen umfassenden internationalen Caritas-Netz jedenfalls die sechstgrösste Organisation. «Enorm spannend und verantwortungsvoll» sei das alles.
CEO und Sekretär
«Es sind nicht alles bessere Menschen, nur weil sie in einer gemeinnützigen Organisation arbeiten», weiss er. «Deshalb braucht es auch ein richtiges Management.» Und so hat er denn ein richtiges Management etabliert bei der Caritas.
Von der Struktur her ist die Caritas ein Verein wenn auch ein ziemlich grosser mit ehemals 600 und seit dem Abbau im Asylbereich noch 450 Mitarbeitenden und einem Jahresbudget von 115 Mio Fr. Und Krummenacher ist «gleichzeitig CEO und Vereinssekretär». Seine Aufgabe: Die Führung der Geschäftsleitung und des Hilfswerks sowie der Verbandsgeschäfte. Zudem vertritt er die Organisation gegen aussen.
«Klare Strukturen» sind ihm ein Hauptanliegen. Das ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass er sich bei Gottlieb Guntern zwei Jahre mit Systemtheorie und Systemtherapie befasst hat.
Dennoch sei ihm auch die Organisationskultur ausgesprochen wichtig. Wertschätzung, gegenseitiger Respekt, Klarheit, eine offene und proaktive Kommunikationspolitik seien die Gebote der Organisation.
Aber immer mit einer klaren Linie. In tausenden von Sachgeschäften habe die Geschäftsleitung «vielleicht fünfmal abstimmen müssen» sonst habe man sich auch ohne Abstimmung gefunden.
Böswillige könnten hier von vorauseilendem Gehorsam sprechen. Richtigerweise heisst es aber: Konsensprinzip. Denn er führe «ausserordentlich partizipativ», wie er sich sicherheitshalber von seinem näheren Umfeld bestätigen lässt. Er mag denn auch das Wort Hierarchie nicht sondern spricht viel lieber von einem «sorgfältigen Umgang mit Strukturen».
Seine erste Amtshandlung beim Antritt vor 14 Jahren war eine Gesamtsanierung des Hauses an der Löwenstrasse in Luzern, dem Schweizer Hauptsitz. Und seit damals hat er dort seine Strukturen eingeführt, die die Caritas zu einer der fortschrittlichsten Organisationen der Branche gemacht haben. «Wir gehören sicher zu den Leaderorganisationen der Branche, setzen auf Qualitätsmanagement, sind ISO-zertifiziert und führen das EFQM-Modell für Excellence ein (European Foundation for Quality Management).
«Seine» Caritas gelte denn auch als das nach modernsten Kriterien geführte Hilfswerk der Schweiz. Selbst der Kirchenmief konnte abgeschüttelt werden: «Wir haben uns vom katholischen Milieu emanzipiert ohne aber unsere Herkunft und die Grundwerte der katholischen Soziallehre zu verleugnen.»
Krummenacher ist stolz auf das, was er mit seinen Mitarbeitenden, wie er nicht vergisst zu betonen erreicht hat und er steht auch dazu.
Hauptarbeit:Sitzungen
Sein wesentlicher Arbeitsinhalt: Sitzungen. Sitzungen mit der Geschäftsleitung, Sitzungen in Gremien, Sitzungen in diversen Organisationen, Sitzungen in Kommissionen. Und eineinhalb bis zwei Monate pro Jahr ist er an der Front, an den Krisenherden dieser Erde.
Jeden Monat führt er mit den Mitgliedern der Geschäftsleitung, der Stabsstellenleiterin und dem Leiter des fair trade je ein bis zu zweistündiges Führungsgespräch. Dazu kommen alle zwei Wochen Sitzungen der Geschäftsleitung, zweimal pro Jahr eine Klausurtagung und das obligate Qualifikationsgespräch.
Durchlässigkeit von zuunterst bis zuoberst gibts nicht bei der Caritas; er ist kein Chef der für alle offenen Türen. Dafür gibts eben die «klaren Strukturen» und die dafür zuständigen Vorgesetzten. Wie er, der er die Gesamtverantwortung trägt, haben alle Caritas-Vorgesetzten eine «klare, nicht delegierbare Führungsverantwortung» auf ihrer jeweiligen Ebene. «Mitarbeitende werden dort, wo es sie betrifft, einbezogen. Für den Entscheid verantwortlich aber sind die Vorgesetzten.»
Am belastendsten sei es für ihn, wenn es im Betrieb trotzdem personelle Konflikte gebe. «Da kann es schon auch vorkommen, dass die einzige Lösung in einer Trennung von Kadermitarbeitenden besteht.»
Störungen haben Vorrang
Seine Psychologenausbildung sei schon «sehr hilfreich in einem solchen Job», wie er gemerkt hat. Er achtet auf nonverbale Signale in den Sitzungen, nehme Probleme auf der Beziehungsebene wahr und spreche sie auch an, denn «Störungen haben Vorrang». Schliesslich hat er seinen Paul Watzlawick studiert und dessen Axiome, die grundle-gend sind für die Auseinandersetzung mit gestörter Kommunikation.
Und woher hat er als Psychologe die Managementerfahrung? Die Frage löst einen wahren Wortregen aus: Schon in der Jungwacht habe er viel gelernt, als Lagerleiter, als Kantonsleiter, als Leiter diverser Gremien. Dazu das Studium, das ihn mit Gruppendynamik, mit Gesprächsführung und Kommunikation vertraut gemacht hat.
Mit 26 ist er der jüngste Kantonsrat geworden, als Grüner auch noch, ein Aufmüpfiger damals, ohne Krawatte, schon in der ersten Sitzung mitgeredet habe er. Er hat seine Partei, das «kritische forum ibach» mitbegründet und basisdemokratisch geleitet, war erster Präsident des neuen Mieterverbandes, war in diversen Initiativkomitees «da hab ich überall relativ viel Einblick in Führungsstrukturen bekommen», sagt er.
Das Militär hingegen hat ihn nicht gebrauchen können. Ein «schlechter Soldat» sei er gewesen. Dafür freut es ihn heute, wenn er eingeladen wird, dem angehenden Militär-Kadernachwuchs Referate über Management zu halten.
Und dann natürlich sein Job als Rektor der Höheren Fachschule für Sozialarbeit in Luzern, die sich «in einer schwierigen Situation befand», und sein daraus resultierender «Erfolgsausweis als Turnaroundmanager»; zu all dem stand er vor seiner Berufung zum Caritas-Direktor 1991 sogar als Regierungsrat zur Debatte. Kurz: Ein «vielseitiger Aktivist» mit einem dichten sozialen Netz.
Sein Vorgänger auf dem Caritas-Chefsessel hat es 20 Jahre lang ausgehalten. Er «erst» 14. «Fridolin Kissling führte über Charisma ich eher über Strukturen.» Um gleich darauf zum einzigen Mal ein klein wenig unsicher anzufügen: «Und vielleicht ebenfalls mit einem gewissen Charisma.»
Zur Person
Jürg Krummenacher, 52, studierte Psychologie und Sozialwissenschaften in Zürich. Von 1979-1985 war er Schulpsychologe beim schulpsychologischen Dienst des Kantons Luzern. Ab 1985 Psychologiedozent, ab 1987 Rektor an der Höheren Fachschule für Sozialarbeit, Luzern. Von 1980-1991 Kantonsrat des «kritischen forums» in Schwyz und seit 1991 Direktor von Caritas Schweiz. Er ist verheiratet und Vater zweier Kinder.
Jürg Krummenachers Führungsprinzipien:
1. Gute, respektvolle Organisationskultur
2. Partizipativer Führungsstil
4. Sorgfältiger Umgang mit Strukturen
4. Lernende Organisation