Hoch bewertet, überverkauft als das galten die Aktien der Schweizer Energieversorger schon vor Monaten. Doch die Anleger waren nicht gewillt, den Stecker zu ziehen. Im Gegenteil. Sie haben weiter fleissig investiert und wurden dafür mit satten Kursgewinnen entlohnt. So hat die Branchen-Benchmark «SP Utilities PR»-Index an der SWX Swiss Exchange seit Jahresbeginn 26% zugelegt. Das ist das fünffache des breiten Swiss Perfomance Index (SPI) und rund fünf Prozentpunkte besser als die durchschnittliche Performance der 32 grössten Elektrizitätslieferanten Europas.

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Wesentlichen Anteil an dieser Entwicklung haben die Valoren der BKW FMB Energie, dem höchstkapitalisierten Unternehmen im Sektor. Nach einem Kursplus von 50% seit Anfang Januar hat die BKW-Aktie nicht nur die Schweizer Konkurrenz abgehängt, sondern handelt bei einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 22 auch 30% über dem gesamteuropäischen Sektor. Das stellt die Investoren vor ein Dilemma: Wie viel Potenzial darf dem Wert überhaupt noch zugesprochen werden? Sinnbildlich für dieses Rätselraten ist die Reaktion der Privatbank Lombard Odier Darier Hentsch (LODH). Auf das hervorragende Jahresresultat der BKW für 2005 hin steigerte sie zwar das Kursziel auf 140 Fr. Gleichzeitig stufte sie den Wert aber auf «Halten» zurück.

Preishausse in Europa als Hebel

Die Aktie ganz abzuschreiben wäre indes ein Fehler. Denn die Schweizer Energieversorger dürften auch weiterhin massiv davon profitieren, dass ihre Produktionskosten weit gehend stabil bleiben, während die Preishausse am europäischen Energiemarkt weiter anzieht. Daraus ergibt sich eine Hebelwirkung, welche die BKW geschickt zu nutzen wusste: Im vergangenen Jahr konnte sie den Durchschnittspreis im internationalen Stromverkauf um 18% erhöhen. Die Gewinne aus dem Energiehandel kletterten gar um 33%. Schätzungen zufolge dürften die Verkaufspreise bis 2007 noch einmal bis zu 13% pro Jahr zunehmen. Bei weitem genug, um die zu erwartenden Ausfälle im Schweizer Markt wettzumachen.

Nachdem die Strompreise hierzulande bereits 2005 um 2% nachgegeben haben, dürften sie nun mit der Senkung der Netznutzungsentgelte noch einmal fallen. Im Falle der BKW würde dies gemäss LODH eine Preiserosion um 0,7% im 2006 bedeuten, 1,5% sollen es im Jahr darauf sein. Weil gleichzeitig mit zunehmenden Umsätzen gerechnet wird, könnte BKW unter dem Strich trotzdem gewinnen. «Die durchschnittlichen Preise in der Schweiz sind immer noch viel höher als im Ausland, trotz rückläufigem Trend», so LODH-Analyst Scott Weldon.

Neuer Gigant im Südwesten

Problematischer ist da schon die anhaltende Versorgungslücke. Fehlen nämlich die Ressourcen zur Produktion im letzten Jahr geschehen beim Ausfall des Atomkraftwerks Leibstadt , muss bei Dritten für teures Geld Strom zugekauft werden. Eine Sicherung dagegen ist etwa das verstärkte Engagement im Ausland: BKW will sich in Italien an zwei neuen Gaskraftwerken beteiligen, die zusammen mit weiteren Akquisitionen die Gesamtkapazität bis 2010 um 50% steigern könnten. Im lukrativen Italien-Geschäft ist die zukünftige Hackordnung unter den Schweizer Versorgern bereits vorweggenommen: Atel und Axpo als Nummer eins und zwei, BKW als dritte Kraft. Denn mit der «neuen Atel» wird bis 2007 der führende Stromlieferant der Schweiz entstehen ein 10-Mrd-Konzern, bestehend aus Atel, Motor Columbus (MC), EOS und der französischen EDF als ausländische Partnerin.

Der erste Schritt hin zum Stromgiganten steht diesen Juli an: Unter der Führung von CEO Giovanni Leonardi übernimmt Atel die letzten Anteile von MC. In einem nächsten Schritt erfolgt dann der Zusammenschluss mit der Westschweizer EOS. Diese wird zu dem Zeitpunkt bereits 18% an Atel halten, EDF ist mit einem Anteil von 25% beteiligt. Eine beherrschende Stellung im Schweizer Markt mit einem potenten ausländischen Partner bei der Fusion dürften die Vorteile die Unsicherheiten überwiegen. Doch auch diese gibt es: Die italienische AEM etwa will ihre Beteiligungsquote am neuen Konzern ausgeweitet sehen, notfalls mit juristischen Mitteln. Aktuell hält AEM 5,8% an Atel.

Inzwischen läuft sich die «alte» Atel nach einem schwierigen 2005 wieder in Form: Der Umsatz im 1. Quartal ist um ganze 53% gestiegen. Auf dieser Basis will Atel nun das Ergebnis des Vorjahres wiederholen, also knapp 9 Mrd Fr. an Umsatz und einen Gewinn über 400 Mio Fr.

Stabilere CKW, volatile EGL

Für die Investoren das Signal zum Einstieg, ist doch Atel mit einem KGV von 15 deutlich tiefer bewertet als die Konkurrenz. Die Zürcher Kantonalbank hat die Atel-Namen auf «Übergewichten» hochgestuft und sieht bis zu 10% zusätzliches Kurspotenzial. «Entthront» sieht sich dagegen die in der Ost- und Zentralsschweiz aufgestellte Axpo, heute noch umsatzstärkster Schweizer Versorger. Die beiden börsenkotierten Axpo-Töchter CKW und EGL zählen trotz zweistelligen Kursgewinnen seit Jahresbeginn nicht mehr zu den Favoriten der Anleger. Nach einem empfindlichen Ertragseinbruch infolge des Leibstadt-Ausfalles hat die CKW ihre Struktur stabilisiert und dürfte im laufenden Jahr wieder vorwärts kommen. EGL hat ihrerseits ein starkes Halbjahresresultat in Aussicht gestellt, das wichtige Handelsgeschäft bleibt jedoch volatil. Die Bank Vontobel hat beide Titel auf «Neutral» gestuft.

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Stromlieferanten

Der Zeitpunkt für einen Einstieg bei Atel scheint ideal: Noch handelt der Titel mit einem deutlichen Abschlag gegenüber dem Sektor. Indessen nimmt der geplante Stromriese aus den Teilen Atel, MC und EOS immer deutlicher Gestalt an. Als grösster Schweizer Versorger dürfte die «neue» Atel Chancen im In- und Ausland zu packen wissen.

E = Geschätzt; KGV = Kurs-gewinn-verhältnisquelle: zürcher kantonalbank