Es sind nach der Beschreibung von Teilnehmern tumultartige Szenen bei der Volkswagen-Betriebsversammlung in Wolfsburg: Unter einem Pfeifkonzert der rund 20'000 Beschäftigten in Halle 11 im Stammwerk des Autobauers warb Finanzchef Arno Antlitz am Mittwoch für seinen drastischen Sparkurs. Der Absatz für zwei Werke fehle, sagte er, der europäische Markt sei immer noch weit unter dem Niveau, das er vor der Corona-Krise erreicht habe. «Der Markt ist schlicht nicht mehr da», sagte er laut Auszügen aus dem Redemanuskript. Dazu kämen hohe Kosten. Immer wieder sei seine Rede von Zwischenrufen unterbrochen worden, heisst es aus dem Betriebsrat - «Wenn Ihr so weitermacht, dann schaffen wir das bestimmt nicht!» oder «Guckt mal in eure Taschen, wo das Geld ist!»

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Anders sei es dagegen bei der Rede von Betriebsratschefin Daniela Cavallo gewesen, deren Rede Szenenapplaus erhalten habe, heisst es. «Mit mir, Daniela Cavallo, Gesamt- und Konzernbetriebsratsvorsitzende der Volkswagen AG, wird es hierzulande keine Werksschliessungen geben», sagte sie bei der Betriebsversammlung. Kündigungen, Werksschliessungen und Einschnitte beim Gehalt «wären nur in genau einem Szenario zulässig. Und zwar dann, wenn das ganze Geschäftsmodell gestorben ist». Cavallo verwies auf die Bedeutung der VW-Werke für die Städte, in denen sie liegen. «Es geht um alles.» Auch Konzern-Chef Oliver Blume sprach vor den Beschäftigten.

Volkswagen hatte am Montag angekündigt, den Sparkurs zu verschärfen. Dabei wird die seit drei Jahrzehnten geltende Beschäftigungssicherung aufgekündigt, die Schliessung von Auto- und Komponentenwerken in Deutschland steht im Raum. Für das Unternehmen wäre das ein Novum: Noch nie seit Gründung von Volkswagen nach dem Zweiten Weltkrieg wurde eine Produktionsstätte in Deutschland geschlossen. Volkswagen betreibt in Deutschland elf Produktionswerke - sechs für die Fahrzeugmontage und fünf Komponentenwerke. Rund 120'000 Beschäftigte arbeiten für den Konzern in Deutschland.

VW-Betriebsratschefin Daniela Cavallo, sowie Bezirksleiter der IG Metall Thorsten Gröger, an der Betriebsversammlung im VW-Werk.

VW-Betriebsratschefin Daniela Cavallo, sowie Bezirksleiter der IG Metall Thorsten Gröger, an der Betriebsversammlung im VW-Werk.

Quelle: Keystone

«Mit dem Hintern an der Wand»

Das Unternehmen verweist auf die hohen Kosten hierzulande. Zusätzlich kommt Volkswagen bei seinem im vergangenen Jahr aufgelegten Sparprogramm nicht so voran wie erhofft, das bis 2026 Einsparungen von zehn Milliarden Euro bringen sollte. Als Grund wird immer wieder genannt, dass das Abfindungsangebot auf weniger Zuspruch stosse als geplant. Cavallo bezifferte den Fehlbetrag auf drei Milliarden Euro, die nun noch gespart werden müssten. Davon entfalle aber nur ein geringer Teil auf die Arbeitskosten. VW kranke nicht an den deutschen Standorten und den Personalkosten, das Unternehmen kranke daran, dass der Vorstand seine Arbeit nicht mache, betonte Cavallo. «Wer die ganze Zeit mit dem Hintern an der Wand steht, bekommt kein Team hinter sich versammelt.»

Im ersten Halbjahr erwirtschaftete VW einen Gewinn von rund zehn Milliarden Euro, gut eine Milliarde Euro weniger als vor Jahresfrist. Die Investitionen in Entwicklung und Werke lagen zugleich bei rund 17 Milliarden Euro. Zu schaffen macht dem Unternehmen vor allem, dass es die Probleme bei der Software aus eigener Kraft nur schwer in den Griff bekommt. Ein fünf Milliarden Euro schwerer Einstieg beim US-Elektroautobauer Rivian soll hier den Durchbruch bringen. Cavallo kritisierte das: «Können wir sicher sein, dass das nicht das nächste Milliardengrab ist?»

Politik verspricht Beistand

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will dem angeschlagenen Autobauer Volkswagen politisch unter die Arme greifen, etwa arbeitsmarktpolitisch und über eine stärkere Förderung von Elektroautos. Eine Gesetzesvorlage für Steuererleichterungen für E-Autos lag am Mittwoch dem Kabinett vor. Erst sei jedoch das Unternehmen am Zug, machte Heil klar. «Deutschland muss ein starkes Autoland bleiben», sagte er dem Sender RTL/ntv. Die Politik hat bei VW ein starkes Wort mitzureden - das Land Niedersachsen ist Grossaktionär, Ministerpräsident Stephan Weil sitzt im Aufsichtsrat. Er erwarte, «dass sich die Frage einer Schliessung von Standorten durch die erfolgreiche Nutzung von Alternativen schlichtweg nicht stellt», hatte er gesagt.

Einem Insider zufolge hat sich auch Bundeskanzler Olaf Scholz am Dienstag unter anderem von VW-Konzernchef Oliver Blume, Betriebsratschefin Daniela Cavallo und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil informieren lassen. In SPD-Kreisen hiess es, der Betriebsrat sehe die Energiekosten in Deutschland als grösstes Problem. Deshalb werde erwogen, ob es nicht einen neuen Vorstoss zu einer Absenkung der Energiepreise geben sollte. Bislang habe sich die SPD in der Regierung nicht mit ihrer Forderung nach einem Industriestrompreis durchsetzen können. 

(reuters/spi)