Wenn ein Mitarbeiter schwache Leistungen bringt oder regelrecht versagt, suchen Vorgesetzte die Schuld selten bei sich. Der Mitarbeiter hat sich nicht an die Anweisungen gehalten, war nicht ausreichend motiviert oder der Aufgabe einfach nicht gewachsen, sagen sie. Doch das stimmt nicht immer.
Die französischen Managementexperten Jean-Francois Manzoni und Jean-Louis Barsoux von der Wirtschaftshochschule INSEAD bei Paris haben 50 Chef-Mitarbeiter-Paare aus internationalen Konzernen mehrere Wochen lang intensiv beobachtet und befragt; auch Kollegen der Studienteilnehmer wurden interviewt. Darüber hinaus führten sie mehr als 3000 Gespräche mit Fach- und Führungskräften aus den verschiedensten Ländern und Branchen. Das eindeutige Ergebnis: Hinter einem schlechten Mitarbeiter steht sehr oft ein Chef, der schlecht von ihm denkt. «Während die meisten Vorgesetzten ihre Star-Mitarbeiter unterstützen und ermutigen und so zu Höchstleistungen motivieren, halten sie vermeintlich weniger produktive Mitarbeiter an der kurzen Leine und setzen sie so eigenhändig auf die Verliererstrasse», fasst Manzoni die Dynamik zusammen.
Eine fatale Spirale
Die fatale Spirale aus negativer Erwartung und schlechter Leistung, von den Forschern «Set Up To Fail»-Syndrom genannt, fängt oft ganz unscheinbar an: Aus irgendeinem Grund gewinnt der Chef den Eindruck, dass ein Mitarbeiter nur mittelmässig oder gar leistungsschwach ist. Daraufhin zieht er die Zügel an. Er beobachtet den Mitarbeiter genauer, schränkt dessen Entscheidungsfreiraum ein und schreibt ihm vor, wie er seine Arbeit erledigen soll.
Damit meint es der Vorgesetzte nur gut, denn er will den Mitarbeiter vor Fehlern bewahren. Dieser aber interpretiert die erhöhte Überwachung als Misstrauen in seine Leistungsfähigkeit. Prompt beginnt er an den eigenen Fähigkeiten zu zweifeln, verliert Motivation und Entscheidungsfreude. Der Chef wiederum fühlt sich durch den Rückzug des Mitarbeiters in seiner Einschätzung bestätigt und erhöht Druck und Überwachung weiter.
«Der entmutigendste Aspekt dieses Prozesses ist, dass er selbsterfüllend und selbstverstärkend ist», sagt Manzoni. Und er kommt alle Beteiligten teuer zu stehen, warnen die Managementexperten. So haben nicht nur die betroffenen Mitarbeiter eine enorme emotionale Belastung zu tragen; das angespannte Verhältnis könne auch an Elan und Motivation des Vorgesetzten nagen. Schliesslich zahlten auch die Kollegen einen hohen Preis: Oft würden Aufgaben der «Schwachen» auf vermeintliche Hochleister übertragen. Die Folge: Überlastung der Leistungsträger und Spannungen im Team.
Die Wurzel des Syndroms liegt in der Klassifizierung der Mitarbeiter in gute und schlechte, sind die Forscher überzeugt. So bestätigte sich in ihren Interviews, worauf bereits andere Studien hinweisen: 90% der Vorgesetzten teilen ihre Leute in In- und Out-Groups ein. Während sie Mitglieder der In-Group als gleichberechtigte Gefährten ansehen und ihnen ein hohes Mass an Autonomie, Feedback und Vertrauen zukommen lassen, betrachten sie Mitglieder der Out-Group als untergeordnete Hilfskräfte, denen sie mit Regeln und Autorität begegnen.
oft genügt ein Fehler
Überraschend an den Untersuchungen der Franzosen ist, wie oberflächlich die Kategorisierung offenbar verläuft. Der Auslöser für eine Deklassierung kann ein einzelner Patzer oder Fehler sein: Der Mitarbeiter verliert einen Kunden oder verpasst einen Abgabetermin. Manchmal reicht es auch schon, dass eine andere Führungskraft eine abfällige Bemerkung über den betreffenden Kollegen macht oder dass Chef und Mitarbeiter sich menschlich nicht verstehen, heisst es in der Studie. Kritisch zu beurteilen sei auch die Geschwindigkeit, mit der Erwartungen gebildet werden: Innerhalb von nur fünf Tagen hätten Vorgesetzte im Schnitt neue Kollegen als Leistungsträger oder Mitläufer klassifiziert.
Hat sich ein Manager erst mal ein Urteil gebildet, ist es fast schon zu spät, so das ernüchternde Fazit der Forscher. Aus der Spirale auszubrechen, sei zwar möglich, aber äusserst selten. An der kurzen Leine geführt, bekäme der Untergebene oft gar keine Möglichkeit zur Profilierung. Zudem sehe er sich mit der selektiven Wahrnehmung seines Vorgesetzten konfrontiert: Dieser sieht oft nur noch das, was seine Meinung stützt.
Vorbeugung sei deshalb die beste Medizin, glauben die Managementexperten. Die muss allerdings weitgehend vom Vorgesetzten ausgehen.
Manzoni und Barsoux haben festgestellt, dass Manager, denen es gelingt, aus allen Mitarbeitern das Beste herauszuholen, über drei Eigenschaften verfügen:
- Zu Beginn der Arbeitsbeziehung kümmern sie sich intensiv um jeden Untergebenen, machen Prioritäten und Leistungskriterien ausreichend klar. Dann aber ziehen sie sich schrittweise zurück.
- Sie hinterfragen ständig ihre eigenen Bewertungen und gehen den Ursachen einer Leistungsschwäche auf den Grund.
- Sie schaffen eine offene und vertrauensvolle Atmosphäre, in der gegenseitige Kritik möglich ist, ohne Ängste und Verletzungen hervorzurufen.
Eine grosse Zahl vermeintlich schwacher Arbeitnehmer könnte ihre Leistung deutlich steigern, wenn Vorgesetzte ihre negativen Erwartungen besser in den Griff bekämen, sind die Franzosen aufgrund ihrer Studien überzeugt und betonen: Die Frage «Ist Mitarbeiter A besser als B» sollte für Chefs weniger wichtig sein als die Frage: «Wie kann ich jedem Einzelnen helfen, zu zeigen, was in ihm steckt?»
Buchtipp: Jean-Francois Manzoni, Jean-Louis Barsoux: The Set-Up-To-Fail Syndrome How Good Managers Cause Great People to Fail, Harvard Business School Press, 2002.