Der Mercedes-Garagist im Zürcher Säuliamt kam ohne Umschweife zur Sache. Für den soeben fertiggestellten grossen Service sei er gerne bereit, 150 Franken weniger als effektiv berechnet zu verlangen, wenn der Kunde im Gegenzug auf die Ausstellung einer Rechnung verzichten würde.
Der Trick ist verbreitet - und wohl der einfachste im Dschungel der Möglichkeiten, Steuern zu hinterziehen. Keine Rechnung, keine Spur, lautet die zentrale Losung. Wo Bargeld das bevorzugte Zahlungsmittel ist und die bezogenen Leistungen zum Alltag gehören, blüht das Geschäft mit dem Schwarzgeld. Typische Deliktorte neben Autogaragen sind Coiffeursalons, das eigene Heim mit den Handwerkerrechnungen und der Haushaltshilfe oder Restaurants und Bars.
Steuerhinterziehung, das zeigt die Statistik, liegt im Trend und zeichnet von der vermeintlichen Steuerehrlichkeit von Herr und Frau Schweizer ein anderes Bild. Im Wirtschaftskanton Zürich sind die Verfahren wegen Hinterziehung von 1330 im Jahr 2005 auf 1452 im letzten Jahr gestiegen, eine Zunahme um 9 Prozent. Im Hauptstadt-Kanton Bern betrug das Plus mit 18 Prozent gar das Doppelte. Und in St. Gallen explodierte die Zahl der eingeleiteten Hinterziehungsverfahren gar um über 80 Prozent (siehe Grafik).
Nicht nur die bevölkerungsreichen Stände mit breit abgestützter Wirtschaft registrieren mehr Fälle mit Steuerpflichtigen, die ihr Einkommen und Vermögen bewusst oder scheinbar aus Nachlässigkeit dem Fiskus vorenthalten. «Wir spüren eine langsame, aber stetige Zunahme bei den Strafverfahren», sagt beispielsweise Christian Mathez, Chef Steuer-Rechtsdienst von Basel-Stadt.
Wo hinterzogen wird, bringt eine Auflistung aus dem Kanton Zürich ans Licht. In rund der Hälfte der Strafverfahren geht es nach Auskunft der zuständigen Rechtsabteilung um Tricks und Unterlassungen beim Einkommen, wozu auch Alimente und Renten zählen. Etwa ein Viertel fällt auf nicht deklarierte Wertschriften und Konti respektive die darauf erzielten Zinsen, Dividenden und übrigen Vermögenserträge. Hinter jedem zehnten Verfahren steht schliesslich eine geheime Erbschaft oder eine versteckt gehaltene Liegenschaft.
«Keine Statistik»
All das sind Teile eines grossen Schwarzgeld-Puzzles. Genauere Aussagen über Ausmass und Ursachen lässt das föderalistische Schweizer Steuerwesen nicht zu. Das wäre der Job der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) in Bern. Doch bei der Anfrage, wie viele gutbetuchte Steuerpflichtige mit stolzem Millionenvermögen null Franken Einkommen deklarieren, muss das Amt passen. «Leider verfügen wir über keine solche Statistik», heisst es dazu aus Bern.
Das ändert nichts daran, dass die Kantone das Problem der wuchernden Steuerhinterziehung längst erkannt haben. Ihr grösster Feind ist allerdings das Bankgeheimnis. Artikel 127 des Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer hält zwar fest, dass nicht nur Arbeitgeber und Versicherer Daten über einen Steuerpflichtigen herausrücken müssen, sondern grundsätzlich auch «Treuhänder» und «Vermögensverwalter», bei denen die Fahnder «die nötigen Bescheinigungen» einfordern könnten.
Dann aber folgt die absolute Einschränkung. «Das gesetzlich geschützte Berufsgeheimnis bleibt vorbehalten», schiebt der helvetische Gesetzgeber den Riegel. Der unscheinbare Passus definiert das Bankgeheimnis in inländischen Steuersachen und macht die Banken, die zur inländischen Steuerhinterziehung wohl mehr zu berichten wüssten als alle kantonalen Steuerämter zusammen, zum Gehilfen der Steuersünder. Ohne Fälschung der Buchhaltung oder anderer Urkunden ist das Delikt kein Betrug, sondern eine Hinterziehung, - und wird geschützt.
Am Bankgeheimnis gibt es praktisch kein Vorbeikommen, auch nicht, wenn die Behörden konkrete Kenntnisse von schwarzen Konti und Depots bei Banken haben. Fehlen solche Dokumente, sind Strafverfahren unmöglich. Die Europäische Menschenrechtskonvention garantiert das Recht auf Schweigen, der Steuersünder kann seine Dokumente versteckt halten. Als Ultima ratio bleibt eine Zwangseinschätzung von Einkommen und Vermögen, doch die muss sich auf Akten abstützen.
Kantone im Nachteil
Die Ohnmacht des Schweizer Fiskus kontrastiert mit den seit Kurzem weit offenen Türen für ausländische Fahnder. Die neuen Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) basieren auf dem Mustervertrag der Wirtschaftsorganisation OECD mit ihrem berühmten Artikel 26, wonach Bankdaten auf Anfrage im internationalen Austausch offengelegt werden, und zwar für jedes Steuerdelikt. Die Möglichkeiten für deutsche, französische oder amerikanische Fahnder sind sogar noch grösser. Es braucht nicht einmal ein formelles Strafverfahren gegen einen Steuerpflichtigen als Voraussetzung, um Amtshilfe von der Schweiz zu erhalten.
Nun regt sich Widerstand. «Dass Kantone nicht die gleichen Informationen erhalten, ist für sie schwer verständlich», sagte die neue Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf letzte Woche der «NZZ». «Sie haben die Diskussion angestossen, und diese ist zu führen.» Wie allerdings das Problem aus der Welt geschafft werden soll, bleibt offen. Bundesrätin Widmer-Schlumpf brachte mit der sogenannt «schweren Steuerhinterziehung» einen neuen Straftatbestand ins Spiel. Wie mit «schweren Formen der Steuerhinterziehung» umzugehen sei, stünde zur Disposition, «seit wir gegenüber anderen Ländern Amtshilfe leisten», sagte die Finanzministerin im erwähnten Interview.
«Schwere Steuerhinterziehung als neuen Straftatbestand einführen, bläht nur das Gesetz auf», kritisiert jedoch Steuerrechtsprofessor Urs Behnisch. Es seien gerade die heutigen hohen Bussen, die Steuersünder abschrecken würden, «nicht die Aussicht auf ein paar Monate bedingt». Zur Nachsteuer kommt in der Regel der gleiche Betrag als Busse hinzu, die bei leichtem Vergehen auf bis zu einem Drittel und bei schwerem auf bis das Dreifache angepasst werden kann.
Behnisch, der als Anwalt in einer renommierten Zürcher Kanzlei zahlreiche Steuerpflichtige vertritt, lehnt aber Steuerbehörden mit polizeilichen Möglichkeiten ab. «Wir Schweizer wollen das Bankgeheimnis behalten, nicht aber den Missbrauch schützen», ist Behnisch überzeugt. Ihm schwebt die Schaffung einer neutralen Instanz vor, die über einen Antrag zur Aufhebung des Bankgeheimnisses der Steuerverwaltungen entscheiden würde. «Ein unabhängiger Richterspruch wäre der richtige Kompromiss», meint der Steuerexperte.
Der frühere Verantwortliche für die Doppelbesteuerungsabkommen, der Sankt-Galler Steuerrechtsprofessor Robert Waldburger, sieht ebenfalls Alternativen zur «schweren Steuerhinterziehung», die einen Rattenschwanz von Konsequenzen hat - von der inhaltlichen Abgrenzung gegenüber anderen Delikten bis zur Anpassung aller davon betroffenen Gesetze und Verordnungen. «Statt die schwere Steuerhinterziehung einzuführen, könnte man einfach im heutigen Gesetz gleich lange Spiesse schaffen», skizziert Waldburger einen einfach klingenden Weg.
Politik muss handeln
Wie das vor sich gehen würde, weiss Marina Züger, Rechtschefin beim Kantonalzürcher Steueramt. «Will man das Bankgeheimnis für die Steuern aufheben, genügt aus rechtlicher Sicht eine kleine Retusche im Gesetz», sagt die Spitzenbeamtin. Die schwierige Frage sei eine andere, nämlich ob eine solche Abkehr vom absoluten Schutz des Bankgeheimnisses politisch gewollt sei. Die FDP hat sich am brisanten Thema bereits die Finger verbrannt. Erst forderten die Freisinnigen im Zuge der Ausland-Konzessionen eine Aufweichung im Inland, um dann zurückzukrebsen.
Die «schwere Steuerhinterziehung» schafft laut der Zürcherin Züger ein weiteres Problem. Statt der Experten der Steuerverwaltung müssten sich neu die Strafbehörden um viele Fälle kümmern. «Die Justiz könnte kaum so viele Verfahren durchführen wie wir», ist Züger überzeugt, und wird sekundiert vom Zürcher Steueramtschef Bernhard Greminger. «Die Wirkung des geltenden Steuerstrafrechts darf jedenfalls nicht unterschätzt werden. Unsere Bussen bei einer Steuerhinterziehung sind keine Peanuts.»
Möglicherweise bringt der gezielte Einsatz von Hightech mehr als neue Gesetze. «Mit dem interkantonalen Meldesystem versuchen wir, Steuerhinterziehern auf die Schliche zu kommen», bestätigt Rainer Zigerlig, Chef der Sankt-Galler Steuerverwaltung. Allerdings wird das Potenzial noch nicht genutzt. Zwar funktioniere die Kooperation «grundsätzlich» gut, meint Zigerlig, müsse aber «noch viel besser werden, um in der Breite Wirkung zu entfalten». Automatisierte Datenabgleiche sind rar, wären jedoch technisch längst möglich, sagt ein Kadermann des Stadtzürcher Steueramts. «Doch zuerst müssten wir uns entscheiden, wonach wir genau suchen.»