Seit eine private Investorengruppe um Alain Spinedi (58) die lange Zeit in Vergessenheit geratene Uhrenmarke im Jahr 2003 übernommen hat und einen Relaunch wagte, konnte Louis Erard die jährliche Uhrenproduktion versiebzehnfachen. Das war bitter nötig, denn kaum 1000 Uhren fertigte die zu Beginn dieses Jahrhunderts auf fünf Personen geschrumpfte Belegschaft im jurassischen Le Noirmont nahe der französischen Grenze. Jetzt sind es 20 Personen, die Hälfte davon Uhrmacher, welche im vergangenen Jahr über 17000 mechanische Uhren auslieferten. Im November 2007 konnte der 50000. Zeitmesser von Louis Erard abgesetzt werden.
Ziel schneller erreicht als geplant
Damit haben die neuen Besitzer ihr mittelfristiges Ziel, spätestens 2008 jährlich 15000 Uhren an den Mann zu bringen, bereits zwölf Monate früher erreicht. Ein überraschender Erfolg – selbst für den gewieften Branchenkenner CEO Spinedi, der sich gemeinsam mit Oliver Calame als Geschäftsführer und Urs Hecht als VR-Präsident in dieses Abenteuer stürzte. Zusammen mit weiteren Privatinvestoren ausserhalb des Betriebs gelang dem Dreierteam der Relaunch der Marke somit auf Anhieb.
Richtige Positionierung gefunden
Spinedi erklärt sich diesen raschen Erfolg aus zwei Gründen: «Als kleiner Nischenplayer können wir keine Trends setzten, doch wir hatten das Glück, zur richtigen Zeit das richtige Produkt zum richtigen Preis anbieten zu können. In den letzten Jahren nahm die Nachfrage nach mechanischen Uhren rapide zu, und da Louis Erard nur mechanische Zeitmesser herstellt, konnten wir auf den aktuellen Trend aufspringen. Zudem erwies sich meine Entscheidung, Louis Erard als eher klassische mechanische Herrenuhr im mittleren Preissegment von 650 bis 2500 Fr. zu positionieren, als richtig.»
Bei seiner Markteinschätzung kamen dem studierten Wirtschaftswissenschafter seine langjährige Erfahrung in der Uhrenbranche – zehn Jahre Tissot, sieben Jahre Sector und drei Jahre Swatch – zugute. Seine Beurteilung:
Auf dem untersten Level der durchschnittlichen Preispyramide um 250 Fr. ortet Spinedi eine stetig wachsende Zahl von Fashionlabels;
in der unteren Mitte bis 650 Fr. sieht Spinedi mehrheitlich Quarzuhren der Marken Bulova, Certina, cK, Citizen, Mido, Tissot oder Seiko.
Ebenso viele Marken tummeln sich seiner Meinung nach mit Baume & Mercier, Longines, Maurice Lacroix, Montblanc, Rado, Raymond Weil oder TAG Heuer im oberen Feld der Mittelpreisklasse.
Dazwischen jedoch, im Durchschnittspreissegment von 650 bis 2500 Fr. (Golduhren ausgenommen), findet sich Spinedi mit seiner Marke Louis Erard mit wenigen anderen mechanischen Uhrenmarken – etwa Frédéric Constant oder Oris – und deshalb im passenden Angebotssegment.
Schönheit für jedermann
Mit der Luxus- und Top-Klasse liebäugelte Spinedi ohnehin niemals: «Als kleine neue Marke sind wir von Zulieferern abhängig. Louis Erard hat keinen Einfluss auf die Branche, wir folgen bloss dem Trend, aber dies mit einem sehr guten Preis-Leistungs-Angebot.»
Genau dies öffnete Louis Erard Tür und Tor – allein in der Schweiz konnten über 120 Verkaufspunkte für die neue alte Marke mechanischer Uhren begeistert werden. Gut etabliert ist die Marke ebenfalls in Italien und Hongkong. Neuerdings stösst sie in China und Japan auf grosses Interesse. Weltweit stehen bereits 600 offizielle Depositäre in 40 Ländern hinter der Marke.
Die Kreationen von Louis Erard besinnen sich auf die klassische Schönheit. Es sind mechanische Qualitätsuhren von verführerischer Einfachheit zu einem für jedermann zugänglichen Preis. Keine Extravaganzen, sondern einfach schön gemachte Uhren. «In meinen Augen führt Schönheit zu einer gewissen Unsterblichkeit», sagt Spinedi schmunzelnd.
Schwergewicht liegt beim Mann
Ausgehend von der Mechanik als zentrales Element sollen auch die Funktionen und nützliche uhrmacherischen Komplikationen wie Chronograph, Gangreserve, Vollkalender, Mondphase oder eine zweite Zeitzone im Dienst eines ästhetischen Ganzen stehen und das Gesicht der Uhr stets gut leserlich präsentieren. Das Angebot umfasst heute fünf Kollektionen für den Mann. Alle fünf erdacht und kreiert für einen anderen Typus (siehe Abbildungen).
Die mechanischen Automatik- oder Handaufzugskaliber bezieht Louis Erard von ETA (mit Dubois-Dépraz-, Peseux-7001- oder auch inhouse entwickelten Komplikationen).
Ein Start-up mit Vergangenheit
«Wir verstehen uns bei Louis Erard als eine Art Start-up-Unternehmung mit Vergangenheit. Ausser dem Markennamen, den wir zusammen mit 7000 unverkäuflichen Now-name-Uhren erwarben, war bis auf fünf Personen und eine fast leere Fabrik nicht viel Brauchbares vorhanden. Wir mussten alles neu aufbauen, passenderes Mobiliar und neuere Geräte anschaffen, Produktionsabläufe neu erstellen, neue Hard- und Software erwerben und einrichten, Kollektionen entwerfen, Zulieferer suchen, Agenten besuchen, Verträge verfassen usw. und so unsere eigene Identität finden und aufbauen», erinnert sich Spinedi an die zwei ersten Jahre zurück. Um den Kleinbetrieb über Wasser zu halten, führten wir die Montage von Uhrenteilen für Drittfirmen parallel weiter. Tag und Nacht sei ihm damals alles immer und immer wieder durch den Kopf gegangen
Es hat sich gelohnt, der rasche Erfolg gibt den neuen Inhabern von Louis Erard Recht und spornt sie zum Erreichen neuer Ufer an. Etwa zur Entwicklung einer Mechanikkollektion für die Frau: Die Linie Emotion. Auf seinen Reisen hört Spinedi von seinen Depositären immer wieder, dass Louis-Erard-Uhren auch von Frauen für sich selbst gekauft würden.
Die erste Kollektion umfasst sieben mechanische Modelle und wurde Ende 2007 für die aktive, selbstständige Frau lanciert. Die Uhren sind aus Edelstahl oder 18 Karat Rotgold (auch mit Diamantenlünette) gefertigt und in Schwarz, Weiss oder Chocolat zu Preisen ab 1295 bis 6750 Fr. erhältlich. Die erste Produktion war innert kürzester Zeit ausverkauft. Einmal mehr hatte das Team um Spinedi den richtigen Riecher.
Klare Vorstellungen über Zukunft
Und wie soll es weitergehen? Auch auf diese Frage hat der teilhabende CEO eine sichere Antwort: «Louis Erard ist eine kleine, unabhängige Marke – sie wird überleben und weiter wachsen. Für uns ist es allerdings nicht so wichtig, die Produktionszahlen explodieren zu lassen, sondern unsere Entscheidungsfreiheit zu bewahren und unseren Werten treu zu bleiben.» Deshalb werde es auf der «BaselWorld» 2008 auch keine neue Linie geben, sondern lediglich neue Modelle innerhalb der sechs bestehenden Kollektionen.