Beim Kaufpreis von 44 Milliarden Dollar ist Elon Musk darauf angewiesen, dass Twitter mehr Geld einnimmt – doch grosse Werbekunden sind vorsichtig. Tausende Mitarbeiter könnten unterdessen am Freitag ihre Jobs verlieren. Auch ein Kadermitglied aus der Schweiz ist betroffen.
Volkswagen hat sich grossen Unternehmen angeschlossen, die ihre Werbung auf Twitter nach der Übernahme durch Tech-Milliardär Elon Musk auf Eis legen wollen. Als Grund nannten die Wolfsburger am Freitag die Ankündigung des US-Kurznachrichtendienstes, Richtlinien für die Platzierung solcher Inhalte zu überarbeiten.
Der VW-Konzern habe jetzt «seinen Marken empfohlen, ihre bezahlten Aktivitäten auf der Plattform bis auf Weiteres zu pausieren», hiess es. Ein endgültiger Werbestopp sei das nicht: «Wir beobachten die Situation genau und werden je nach Entwicklung über die nächsten Schritte entscheiden.»
Musk und seine unberechenbare Kommunikation
Das monatelange Hin und Her um Musks Einstiegspläne bei Twitter sowie dessen Vorstellungen über die Ausrichtung und der Umgang mit den Beschäftigten hatten zuletzt Wirbel ausgelöst. Der Tesla- und SpaceX-Chef schloss in der vergangenen Woche den Kauf des sozialen Netzwerks für rund 44 Milliarden Dollar ab.
Musk versprach, gegen Fake-Accounts und Spam vorzugehen und Twitter «zur korrektesten Quelle für Informationen auf der Welt zu machen». Andererseits verbreitete er kürzlich selbst einen Link zu einer Verschwörungstheorie über den Angriff auf Paul Pelosi, den Mann der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi. Auch sonst ist Musk für unberechenbare Kommunikation bekannt.
Widerstand bei Nutzern gibt es zudem gegen seine Pläne, den begehrten blauen Haken für verifizierte Accounts als Teil eines kostenpflichtigen Abos anzubieten. Musk schrieb dazu: «An alle Nörgler, beschwert Euch bitte weiter, aber es kostet acht Dollar.» Abonnenten sollen überdies nur noch die Hälfte der sonst üblichen Werbeeinblendungen zu Gesicht bekommen. Bei Twitter wird den Nutzern Reklame als «bezahlte Tweets» in die Timeline gespielt.
Der Herr bei Twitter, Tesla und SpaceX
Elon Musk ist geschäftstüchtig wie fast niemand anderes. Gleichzeitig hat er Ärger mit seinen Geldgebern und den Chinesen. Und bei Twitter laufen die Heavy User davon. Stefan Barmettler liefert Antworten auf 26 Fragen rund um das Geschäftsgebaren des reichsten Mannes der Welt.
Ein dauerhafter Rückzug grosser Werbekunden wäre ein Problem für Twitter und Musk. Der Dienst schrieb zuletzt rote Zahlen. Auch hatte Musk für den Übernahmedeal Kredite von rund 12,7 Milliarden Dollar aufgenommen – und deren Bedienung erfordert laut Medienberichten mehr Geld, als das Twitter-Geschäft an freien Mitteln dafür abwirft. Schrumpfende Erlöse kämen da besonders ungelegen.
Werbekonzerne gehen auf Abstand
In der vorigen Woche hatte bereits Volkswagens US-Rivale General Motors erklärt, seine Werbetätigkeit auf der Plattform zumindest auszusetzen. Ähnlich Schritte sollen der Pharmakonzern Pfizer sowie die Lebensmittelriesen Mondelez und General Mills unternommen haben.
Womöglich noch bedrohlicher für Twitters Anzeigengeschäft, das rund 90 Prozent des Umsatzes ausmacht: Auch die grossen internationalen Werbekonzerne gehen auf Abstand. So soll der Branchenriese IPG, der milliardenschwere Anzeigenetats für Unternehmen wie Coca-Cola, American Express, Levi Strauss und Spotify verwaltet, Kunden bereits wenige Tage nach Musks Übernahme geraten haben, Werbung auf Twitter zu stoppen.
«Es ist noch nicht klar, wo Elon Musk steht», sagte der Gründer der weltgrössten Werbeholding WPP, Martin Sorrell, in dieser Woche mit Blick auf die künftigen Twitter-Richtlinien. Unternehmen warteten deshalb ab. «Kunden wollen keine Konflikte, sie wollen keine Kontroversen.»
VW achtet seit einiger Zeit verstärkt auf die Umgebung seiner Online-Werbung. So gab es scharfe Kritik, als ein Fehler in einem automatischen Filterprogramm für das Ausspielen dazu geführt hatte, dass eine Anzeige auf dem rechten US-Nachrichtenportal «Breitbart» landete. Die Aufarbeitung eines als rassistisch empfundenen Videospots auf Instagram nahm der Autobauer zum Anlass, seine internen Vergabeprozesse zu überprüfen.
Die Twitter-Mitarbeiter sollten am Freitag per E-Mail erfahren, ob sie nach der Übernahme noch bei dem Online-Dienst arbeiten. Medienberichten zufolge könnte mit 3700 Jobs rund jeder zweite wegfallen. Die Büros werden am Freitag geschlossen bleiben und alle Zugangskarten deaktiviert sein, hiess es in einer an Mitarbeiter verschickten E-Mail.
«Wenn Sie in einem Büro oder auf dem Weg in ein Büro sind, kehren Sie bitte nach Hause zurück.» Die Massnahme solle die Sicherheit der Mitarbeiter sowie der Twitter-Systeme und der Nutzerdaten gewährleisten.
Die Mitarbeitenden wehren sich
Der Schritt dürfte eine Vorsichtsmassnahme sein, um eventuelle Protestaktionen Entlassener auszuschliessen. Beispiellos wäre das nicht: Im November 2017 deaktivierte ein Mitarbeiter an seinem letzten Tag im Job den Twitter-Account des damaligen US-Präsidenten Donald Trump. Es dauerte rund zehn Minuten, bis der Account wieder online war.
In der Rundmail hiess es, der Stellenabbau sei «unglücklicherweise notwendig, um den Erfolg des Unternehmens in der Zukunft sicherzustellen».
Für Twitter-Mitarbeiter war die Rundmail die erste offizielle Kommunikation, seit Musk am Donnerstag vergangener Woche den Kauf abgeschlossen hatte. Ursprünglich sei für den Freitag darauf eine allgemeine Zusammenkunft mit Musk angekündigt gewesen. Diese sei abgesagt worden – genau wie ein späterer Termin dafür, hiess es unter Berufung auf Mitarbeiter.
Am Donnerstag wurde bereits im Namen mehrerer Mitarbeitenden eine Klage in San Francisco eingereicht, in der Twitter vorgeworfen wird, mit mangelhafter Kommunikation rund um die Entlassungen gegen kalifornisches Arbeitsrecht verstossen zu haben. Die Anwälte streben den Status einer Sammelklage an.
(awp/mth)