Marcel Ospel ist der Grösste. Er hat Anfang der neunziger Jahre für den Schweizerischen Bankverein die Übernahme des US-Derivatehändlers O’Connor eingefädelt, den Zusammenschluss des «Vereins» mit den «Bankgesellen» orchestriert und die UBS zur Nummer sechs in der globalen Bankenwelt hochgestemmt. Seine UBS gilt hierzulande als Vorzeigebank.

Ospel gilt darum als der Beste unter den Topbankern. Er hat die UBS zur Nummer drei der Investment-Banken und zum weltweit grössten Vermögensverwalter gemacht. Allein in den letzten beiden Jahren hat er über 25 Institute übernommen und in die UBS integriert. Jahr um Jahr nehmen die verwalteten Vermögen bei der UBS um rund 60 Milliarden Franken zu. So hat er seine Bank in die Weltelite der Megabanken katapultiert. Ospel scheint auch der Klarsichtigste zu sein. Mit dem überraschenden Julius-Bär-Deal hat er die nach innen und aussen blockierte Traditionsbank überlebensfähig gemacht, der hiesigen Privatbankenszene die Richtung vorgegeben und den Finanzplatz vor unerwünschten ausländischen Eindringlingen bewahrt.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Marcel Ospel verdient knapp 19 Millionen Franken pro Jahr.

Ob diese Summe gerechtfertigt ist oder nicht, darüber scheiden sich die Geister. Dem Grossverdiener unter den Topbankern stehen jedenfalls gigantische Aufgaben ins Haus. Grund: Die globale Finanzindustrie wird sich in den kommenden Jahren dramatisch verändern. Fusionen und Übernahmen werden die Branche gewaltig durchschütteln, wie die jüngsten Übernahmen der HypoVereinsbank durch die italienische Unicredito und der Banca Antonveneta durch die ABN Amro beweist.

Werden die Schweizer Banken und insbesondere die UBS als Nummer eins die ausstehende Restrukturierungsphase heil überstehen? Karl J. Deutsch hat da so seine Zweifel. «Die UBS macht zwar vieles richtig, aber nicht schnell genug», sagt der Vice-President bei der Beratungsfirma A.T. Kearney. Die Grossbank wächst zwar, doch andere wachsen schneller, zum Beispiel die Royal Bank of Scotland (RBS). In den letzten fünf Jahren hat die UBS beim Gewinn um jeweils rund 5 Prozent zugelegt, die RBS machte 40 Prozent. Vergleicht man die Einnahmen, sieht es nicht viel besser aus. Die RBS wächst gegen 40 Prozent, die UBS bringt es nicht einmal auf 10.

Die UBS steht nicht allein abgeschlagen in der internationalen Bankenlandschaft; sie ist im Übrigen nicht einmal die schlechteste. Im Zeitraum von 1999 bis 2004 sind die Schweizer Banken im internationalen Vergleich zu wenig oder zu einseitig mit Fokus auf den Gewinn gewachsen. Dies zeigte eine Studie von A.T. Kearney, die der BILANZ exklusiv vorliegt. Sie nahm die globale Bankenbranche der letzten fünf Jahre unter die Lupe. Sie untersuchte jede Gesellschaft danach, wie sich der Gewinn vor Steuern und das Total der Einnahmen aus Zinsen, Kommissionen, Gebühren und Handel entwickelten. Resultat: Sowohl beim Gewinn wie auch bei den Einnahmen schnitten die Schweizer Banken mehrheitlich unter dem Durchschnitt ab. Sieger sind einmal mehr die angloamerikanischen, aber auch die französischen Banken. Neben dem Spitzenreiter RBS sind dies die Halifax Bank of Scotland (HBOS), die englische Hong Kong Shanghai Bank Corporation (HSBC), die US-Bank Wells Fargo und die französischen Banken Crédit Agricole und BNP Paribas (siehe «Schweizer Banken hinken hinterher»).

Am schlechtesten schneiden die drei Privatbanken ab. Sie sind totale Underperformer mit Wachstumsproblemen beim Gewinn wie bei den Einnahmen. Die beiden Grossbanken UBS und Credit Suisse Group (CSG) sind zwar in guter Gesellschaft mit der Citigroup, Barclays oder der Deutschen Bank, aber mit diesen liegen sie auf der schlechten Seite. Sie haben es nicht auf die Seite der Topbanken geschafft, zu RBS, HBOS oder BNP. Etwas besser, bei den Gewinnstrebern, positionieren sich die Kantonalbanken und die PostFinance. In den letzten fünf Jahren haben sie ihre Gewinnsituation markant verbessert, stehen aber beim Einnahmenwachstum auf dünnem Eis. Eine Ausnahme bildet der Verbund der Raiffeisenbanken. Sie haben es zwar ins obere Mittelfeld geschafft, dürften aber als reine Inlandbank im globalen Konzert kaum eine tragende Rolle spielen.

Die Analyse von A.T. Kearney zeigt eines deutlich auf: In der anhaltenden Konsolidierung der globalen Bankbranche haben Helvetiens Kreditinstitute relativ schlechte Karten. Die Schweizer Banken tragen zwar einen hohen Anteil von elf Prozent zur hiesigen Wirtschaftsleistung (BIP) bei. Vier Billionen Franken (4000 Milliarden) liegen in Schweizer Kundendepots. Was zeigt: Die Finanzindustrie ist eine der bedeutendsten Schweizer Branchen überhaupt. Doch der inländische Markt stagniert auf hohem Niveau, im Durchschnitt der letzten fünf Jahre ist er gar um 0,3 Prozent pro Jahr zurückgegangen. Der kumulierte Jahresgewinn ist ebenfalls gesunken. Er hat sich um 9,7 Prozent auf 15,6 Milliarden Franken verschlechtert.

«Insbesondere das Offshore-Banking ist rückläufig», sagt Christian Frey, Bankenspezialist beim Swiss Economic Research der UBS. Reiche Ausländer, so der Trend, bringen ihr Geld nicht mehr so reichlich in die Schweiz zur Vermehrung. Sie wollen die Finanzdienstleistungen an ihrem Wohnsitz haben, in Dubai, Hongkong, Shanghai, São Paulo oder wo auch immer.

Rückläufige Umsätze, steigende Kosten und sinkende Erträge: Die Bereinigung im Schweizer Bankenmarkt ist bei weitem nicht ausgestanden. Wie turbulent sie indessen noch sein wird, ist stark umstritten. Bei den Privatbanken müsse noch etwas geschehen, ist etwa zu hören. Die Gerüchteküche um die Basler Privatbank Sarasin zum Beispiel brodelt mehr denn je. Andere Spezialisten sind überzeugt, dass die Kantonalbanken als Staatsinstitute längerfristig nicht überleben werden. Entweder sie schliessen sich zu grösseren Einheiten zusammen, oder sie werden Übernahmekandidaten. Nicht eingetreten sind die tiefschwarzen Prognosen von Beat Bernet, Bankenspezialist der Uni St. Gallen. Der HSG-Professor sorgte 2003 für ganz fette Schlagzeilen, als er in einer Studie der Finanzbranche einen enormen Personalabbau prophezeite. Bis zu 60 000 der ursprünglich 120 000 Stellen hätten wegbrechen sollen. Tatsächlich sind seit 1999 netto knapp 9000 Jobs wegrationalisiert worden. Der Personalaufwand dagegen hat in diesem Zeitraum zugenommen. Die Kostenschere geht damit wieder auf.

Stark gesunken ist auch die Anzahl der Banken, welche die SNB-Statistik ausweist. Waren zu Beginn der neunziger Jahre noch über 600 Banken im Geschäft, so sind es derzeit noch etwas über 300 – ein Minus von fast 50 Prozent. Dennoch gilt die Schweiz nach wie vor als «overbanked». Der Konkurrenzkampf um die einheimischen Kunden, insbesondere im Hypothekargeschäft, ist entsprechend harsch. Und trotzdem ist der Markt relativ hoch konzentriert. Der Marktanteil der beiden Grossbanken beträgt über 50 Prozent.

«Die Banken müssen wachsen, das ist zu wenig der Fall», sagt ZKB-Analyst Christoph Ritschard. Dazu sind sie aber nicht gut genug gerüstet:

– Beispiel Auslandexpansion: Lediglich die Grossbanken sind im Ausland so stark vertreten, dass sie im globalen Konkurrenzkampf mithalten können. Wobei die UBS klar die Nase vorn hat. Ihr Auslandgeschäft beträgt 63,6 Prozent, während die CSG über fast 40 Prozent verfügt. Mittun kann auch die Bank Bär, insbesondere nach der Fusion mit dem Privatbankgeschäft der UBS. Ihr ausländischer Geschäftsanteil beläuft sich mittlerweile auf rund 40 Prozent, während die Privatbanken Sarasin und Vontobel auf 25 und 12 Prozent kommen. In keiner Weise mithalten können die Kantonal-, die Raiffeisen- und Regionalbanken sowie die PostFinance: Auslandanteil gleich null.

Eine Ausnahme bildet lediglich die Banque Cantonale Vaudoise (BCV) mit zwei Prozent Geschäftsvolumen in Frankreich. Die ausländische Konkurrenz schneidet in den meisten Fällen zwar nicht besser ab, ausser die HSBC mit 70 Prozent. Aber die Zuwachsraten sind höher. Die RBS hat einen Auslandanteil von 23 Prozent, wächst aber mit 34 Prozent. Die HBOS hat ein Auslandgeschäft von knapp 10 Prozent, legte aber um 24 Prozent zu.

– Beispiel Cost-Income-Ratio (CIR): Die Kennzahl bezeichnet das Verhältnis von Kosten zu Erträgen. Je tiefer sie ist, desto rentabler präsentiert sich die Firma. «Herausragend sind die britischen Banken, die sowohl eine niedrige CIR ausweisen und diese in der betrachteten Zeitperiode auch noch verbessert haben», sagt A.T.-Kearney-Berater Deutsch. Die Halifax verfügt über eine CIR von knapp 38 und die RBS von 54 Prozent. Die Schweizer Institute dagegen haben, gemessen am Einkommen, generell zu hohe Kosten. Am vorteilhaftesten präsentiert sich die Basler Kantonalbank mit einer CIR von 43 Prozent, während Sarasin mit 80 Prozent enorm schlecht dasteht.

Recht ungemütlich ist es auch für die UBS, die mit 70 Prozent im obersten Drittel rangiert. Die Credit Suisse dagegen steht nach der Basler Kantonalbank und den Raiffeisenbanken mit 59 Prozent an dritter Stelle. «Wenn die CSG dereinst die ‹Winterthur› verkauft hat, ist sie fürs Merger-Endgame besser aufgestellt als ihre Konkurrentin UBS», sagt Deutsch. Ein Satz, der verwundert, galt die CSG doch bis vor einiger Zeit noch als Übernahmekandidat für einen grossen Ausländer.

– Beispiel Wachstumsmärkte: Die Bedeutung der Wachstumsmärkte in Asien, Lateinamerika, Osteuropa und im Nahen Osten nahm in den letzten Jahren markant zu. Gemäss Expertenschätzung wird der chinesische Markt für Finanzdienstleistungen 2010 so gross sein wie der italienische, «spätestens im Jahr 2020 wird er auch den deutschen überflügeln», sagt Deutsch. Die Schweizer können hier zumindest in Teilbereichen nicht mehr mitreden.

UBS und CSG liegen zwar in Asien, im Nahen Osten und in Südamerika gut im Rennen. In China steht die UBS bei der Bank of China in den Startlöchern, und die CSG hat die China Construction Bank im Visier. Doch in Osteuropa haben sie den Zug verpasst. Dort beträgt der Anteil der ausländisch beherrschten Banken inzwischen mehr als zwei Drittel, hier und da sogar bei 90 Prozent, wie ein Bericht der Europäischen Kommission zeigt. Doch die Schweizer Finanzinstitute sind nicht dabei. Die Kantonal- und Raiffeisenbanken können im internationalen Wettbewerb aus strukturellen Gründen nicht mithalten, und die Privatbanken sind – ausser der fusionierten Bank Bär – zu klein fürs Merger-Endgame.

– Beispiel Regulierungsdichte: Der Regulierungstrend der vergangenen Jahre wird anhalten oder sich gar akzentuieren. «Er entwickelt sich zunehmend zu einem zweischneidigen Schwert: Positiven Regulierungseffekten steht immer mehr auch eine teilweise hausgemachte Regulatory Burden gegenüber», heisst es in der Studie «Das schweizerische Bankenwesen im Jahr 2010». Insbesondere das «fortlaufende Schliessen von Gesetzeslücken hinsichtlich Wirtschaftskriminalität, Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung» berge die Gefahr der Überregulierung mit negativen wirtschaftlichen Auswirkungen.

Die Autoren der Studie sind auch davon überzeugt, dass sich die Schweiz dem Druck der EU-Regelungen wird beugen müssen, der Sonderfall Schweiz mithin ein Auslaufmodell ist. Zudem werde das Bankgeheimnis an Bedeutung verlieren, auch wenn es formal bestehen bleibe. Für die Bankbranche heisst dies, dass sich der Rückgang im Offshore-Banking weiter akzentuieren wird und der Gang ins Ausland für eine Wachstumsstrategie unabdingbar ist.

«Grösse bringt auch im Bankensektor Vorteile», sagt Deutsch, «grössere Institute haben in der Regel mehr Know-how, können mehr innovative Produkte entwickeln und damit den Umsatz steigern.» Für Deutsch sind Merger und Übernahmen für die Konsolidierung der Branche unerlässlich. Organisches Wachstum allein genüge nicht mehr, um im internationalen Wettbewerb vorn dabei zu sein. Alle Value-Grower seien durch Übernahmen entstanden. Auffallend ist, dass fünf von sechs dieser Institute europäische Banken sind, und nur zwei, Wells Fargo und HBOS, wachsen im Heimmarkt schneller als im Ausland. Drei der sechs machen über 25 Prozent ihres Gewinns im Investment-Banking, alle haben einen hohen Anteil im Retail-Geschäft und bieten auch Versicherungen an.

Die Value-Grower verfolgen in den meisten Fällen eine ausgeprägte Wachstumsstrategie. Die meisten haben mindestens einen Mega-Merger hinter sich. Crédit Agricole akquiriert komplementäre Geschäfte wie Versicherer und hat Crédit Lyonnais übernommen, HSBC hat in den letzten fünf Jahren 56 kleinere Akquisitionen getätigt, BNP Paribas dringt aggressiv in Wachstumsmärkte vor, und die RBS kumuliert weltweit Marktanteile. «Die Konsolidierungsphase geht weiter», sagt auch Bank-Leu-Analyst Thomas Schudel, «die M&A-Aktivitäten nehmen weltweit zu.»

Erstaunlich deshalb, dass die beiden Grossbanken nicht mithalten wollen. Walter Berchtold, CEO der Credit Suisse, betonte jüngst in einem BILANZ-Interview, dass erstens die One-Bank-Strategie oberste Priorität habe und zweitens «kleinere Akquisitionen nicht ausgeschlossen» seien. Und die UBS, das haben die vergangenen zwei Jahre gezeigt, verfolgt eine dezidierte Strategie der kleinen Übernahmen – wiewohl immer wieder Gerüchte eines Mega-Mergers die Runde machen. Für A.T.-Kearney-Spzezialist Deutsch ist nicht von der Hand zu weisen, dass «langfristig eine grosse Akquisition unvermeidlich ist, wenn die beiden Grossbanken aus dem globalen Merger-Endgame als Value-Grower hervorgehen wollen».

Will Marcel Ospel der Grösste bleiben, muss er bei seiner Expansionsstrategie der kleinen Schritte wohl oder übel nochmals über die Bücher.

BILANZ-Serie Wachstum

Seit den neunziger Jahren leidet die Schweiz an einer chronischen Wachstumsschwäche, eine Besserung ist nicht in Sicht. Liegt es an den sich verschlechternden staatlichen Rahmenbedingungen, oder ist die Schweizer Wirtschaft im internationalen Vergleich zu wenig agil? In Zusammenarbeit mit der internationalen Beratungsfirma A.T. Kearney hat BILANZ eine Diagnose der Schweizer Schlüsselbranchen vorgenommen.

Bisher erschienen: Die Schweizer Versicherungen haben viele Chancen fahrlässig verpasst.

In der nächsten Ausgabe: Der Schweizer Pharmaindustrie droht international der Abstieg ins Mittelfeld.

Schweizer Banken hinken hinterher