Armin Meyer, der Zauderer. Eigentlich weiss der Ciba-Chef genau, dass er um die 500 Millionen Franken abschreiben müsste. Um so viel ist der Wert der Division Textile Effects mittlerweile geschwunden. In den Büchern ist die Textilfarbensparte mit rund 1,2 Milliarden Franken bewertet, der faire Preis ist aber laut einer Studie der Bank Sarasin auf 702 Millionen Franken gesunken.

Handlungsbedarf wäre vorhanden. Doch Meyer zögert den definitiven Entscheid, was mit der Textilsparte geschehen soll, immer wieder hinaus. Schon im Herbst 2004 war der Restrukturierungsbedarf offensichtlich geworden. In den europäischen Werken herrschten Überkapazitäten, das Textilgeschäft hatte sich grossenteils in Richtung Asien verzogen. Der Umsatz der Sparte ist seit 2000 von 1,8 auf 1,3 Milliarden Franken eingebrochen, die Ebitda-Marge von 15 auf 9 Prozent abgesackt. Ciba gleiste das Projekt Shape auf, das bis spätestens 2007 Remedur schaffen soll – mit dem Abbau von rund 1000 Arbeitsplätzen und jährlichen Einsparungen von 180 Millionen Franken.

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Doch die Restrukturierung trägt keine Früchte. Periodisch liess Meyer zwar verlauten, Ciba sei «on track». Im Februar 2005 war «die Repositionierung des Textilgeschäfts» auf gutem Weg. Im August hiess es, «die Prüfung von strategischen Optionen ist weit fortgeschritten». Von einer internen Lösung bis zu einem Verkauf sei alles möglich. Anfang November dann schrieb die Konzernleitung: «Die finanziellen Auswirkungen der Repositionierung von Textile Effects sind derzeit noch nicht quantifizierbar, im vierten Quartal wird jedoch eine signifikante Wertberichtigung erwartet.»

Armin Meyer schiebt Entscheide vor sich her und bringt so die Firma nicht aus dem Tief. Die Sarasin-Analysten schreiben: «Cibas Ebitda-Marge sinkt seit fünf Jahren ununterbrochen.» Es sei der Firma offensichtlich nicht gelungen, auf die geänderte Marktsituation, die gestiegene Preismacht der Rohmaterial-Lieferanten und Kunden sowie auf die schärfere Konkurrenz zu reagieren. Der Basler Chemiekonzern wurde von der Börse denn auch brutal abgestraft. Innert zwei Jahren ist die Aktie um 13 Prozent getaucht, während der SMI um 36 Prozent stieg.

Ein hartes Verdikt der Anleger. Doch Ciba befindet sich nicht allein auf dem Weg durchs Tal der Tränen. Die Baselbieter Clariant steht auch nicht blendend da. Gemäss Sarasin-Analysten ist die Firma unterdurchschnittlich profitabel, hat einen schwachen Cashflow und ein beschränktes Wachstumspotenzial. Jetzt soll es der ehemalige ABB-Manager Jan Secher richten, der im nächsten Frühling das Ruder des von Liquiditätsengpässen geplagten Konzerns übernimmt.

Fast alle grossen Schweizer Chemiefirmen sind in den letzten Jahren durch eine Krise gegangen. Der Konjunkturhimmel war lange Zeit trüb, die Rohstoffpreise stiegen unaufhörlich, und der Dollar sackte ab. In der Erfolgsrechnung der Schweizer Chemiekonzerne hinterliessen diese Rahmenbedingungen tiefe Spuren. Auch Lonza-Chef Stefan Borgas sagt: «Das Unternehmen ist durch schwere Zeiten hindurchgegangen.» Doch jetzt dürfte die schlimmste Krisenlage überstanden sein.

Ist die Schweizer Chemie wirklich auf Kurs in Richtung Wachstum von Umsatz und Gewinn? Fest steht: Auf die Branche kommen gigantische Herausforderungen zu. Und die Schweizer Chemie ist noch immer stark mit sich selbst beschäftigt. Die globale Industrie dagegen ist in einem rasanten Wandel begriffen. Grosse Teile des Geschäfts wandern in die Region Asien/Pazifik ab. In schneller Folge drängen neue Konkurrenten mit billigeren Produkten auf den Markt – neben China zunehmend auch Indien. Die Spezialitäten fallen immer schneller der «Kommodisierung» anheim, das heisst, sie werden zu billigen Massengütern – Commodities eben. Die Spezialitätenchemie gerät zunehmend in eine Sandwichposition zwischen der marktmächtigen Basischemie und den ebenso mächtigen Endverbrauchern. Preis- und Margendruck werden in den kommenden Jahren enorm zunehmen. Ein radikaler Umbau insbesondere der europäischen Chemie wird unumgänglich.

Und die Schweizer haben nicht die besten Karten. Global gesehen sind die hiesigen Chemiefirmen Winzlinge. In der Weltrangliste sind sie nicht unter den Top 30 zu finden, die von Giganten wie BASF, Dow Chemical, Bayer und DuPont angeführt werden. Die deutsche BASF setzte im Jahr 2004 rund 51 Milliarden Dollar um, Clariant 8,5 Millarden – Franken notabene. Clariant schafft es in der Rangliste auf Platz Nummer 32, Syngenta kommt auf Platz 37, Ciba ist die 46 und Lonza die Nummer 92.

Der internationale Chemiemarkt ist gigantisch. Das Volumen beträgt laut europäischer Branchenorganisation Cefic 1776 Milliarden Euro, wovon je etwa ein Drittel auf Europa, die USA und Asien/Pazifik fällt. Zwischen 1999 und 2004 ist das Marktvolumen pro Jahr um 3,9 Prozent gewachsen – mit zunehmenden Wachstumsdisparitäten. Der chinesische Markt legte in diesem Zeitraum jährlich um 13,4 Prozent zu, Europa um rund 2, die USA um 1,5 und Japan um 1,3 Prozent. Folge: Die Marktanteile haben sich dramatisch verschoben. Vor zehn Jahren produzierte Europa noch 32 Prozent des globalen Marktvolumens, jetzt sind es noch 28 Prozent. Asien (ohne Japan) dagegen hat seinen Anteil von 13 auf 24 Prozent gesteigert. Bis 2015 wird Asien die wichtigste Region sein und Europa auf 23 Prozent absinken. Die Cefic rechnet damit, dass in Europa ein Drittel aller Arbeitsplätze verschwinden werden.

Doch nicht überall entscheidet schiere Grösse über Aufstieg oder Fall eines Unternehmens. Die Fein- und Spezialitätenchemie ist – ausser im Agrobereich – stark fragmentiert. In der Schweiz beispielsweise sind über 90 Prozent der Firmen KMU. Die Chemie ist mit elf Prozent die drittgrösste Exportbranche, die fünf Prozent zum BIP beiträgt. Sie beschäftigt in der Schweiz in ungefähr 1000 Betrieben 30 000 Angestellte.

Mit Spezialisierungs- und Innovationsstrategien haben es die Schweizer Spezialitätenchemiefirmen an die Weltspitze gebracht. Ihre Stärke ist die Innovation. Sie geben rund vier Prozent des Umsatzes für Forschung und Entwicklung aus, ein internationales Spitzenergebnis. Syngenta hat es geschafft, sich im Agrobusiness unter den Top 5 zu positionieren. Dasselbe gilt für Lonza, Ciba und Clariant in der Fein- und Spezialitätenchemie.

Die meisten unter ihnen sind als Spin-offs einst integrierter Pharma- und Chemiekonzerne entstanden. Syngenta beispielsweise ist ein Merger der Agrobusiness-Sparten von Novartis und AstraZeneca aus dem Jahr 2000. Dass diese Firmen mehrere Jahre für die Konsolidierung ihres Geschäfts brauchen würden, war von vornherein evident. Clariant hat mehrere Bereiche verkauft, die nicht zum Kernbusiness gehörten, und Lonza beginnt jetzt mit der Fokussierung auf Life-Science-Produkte.

Die Schweizer Chemie ist im Restrukturierungsfieber. Der Markt indessen gönnt ihr keine Schonfrist. «Die Schweizer Firmen sind zu spät in den Restrukturierungsprozess eingestiegen», sagt Karl J. Deutsch, Vice President der international tätigen Beratungsfirma A.T. Kearney. Die Börse jedenfalls hat die Schweizer Chemie trotz ihren Mühen rücksichtslos abgestraft. Nicht nur Ciba SC, auch Lonza ist mit Kursverlusten konfrontiert. Ihre Valoren sanken in zwei Jahren um fast neun Prozent, während der SMI 60 Prozent vorwärts machte – eine Differenz von fast 70 Prozent. Clariant wiederum legte zwar zu, aber gerade mal drei Prozent. Börsenstars dagegen sind Syngenta und Ems-Chemie. Syngenta stieg im selben Zeitraum mit plus 96 Prozent wie eine Rakete ins Firmament, und Ems legte innert Jahresfrist mit beachtlichen 15 Prozent auch ganz schön zu.

Dass die Börse mit ihren Buhmännern und Favoriten nicht ganz daneben liegt, zeigt eine Untersuchung von A.T. Kearney, die der BILANZ exklusiv vorliegt. Die Beratungsfirma hat die wichtigsten globalen Player der Chemieindustrie auf die Wachstums- und Gewinnentwicklung der letzten fünf Jahre hin untersucht, dabei wurden die Segmente Agrobusiness und Spezialitätenchemie separat betrachtet (siehe Grafik). Fazit: Nur zwei Schweizer Firmen können vorne bei den Value-Growers mithalten. Hervorragend positioniert sind Syngenta und Ems-Chemie, die beide hoch profitabel sind und über die letzten fünf Jahre markant an Umsatzwachstum zulegten. Ems hat rigorose Kostensparprogramme durchgezogen. Längerfristig hat sie indessen ein geografisches Problem. Sie produziert zu 65 Prozent in der Schweiz und setzt 95 Prozent ihrer Ware in Europa ab.

Syngenta wiederum ist der Star der Schweizer Chemieszene. Nach einer grösseren Portfoliobereinigung zwischen 1999 und 2001 kam es zunächst zu einem Umsatzeinbruch, dann aber folgten eine wesentliche Ertragsverbesserung (Ebit: 12,3 Prozent) und ein Wachstum von 9 Prozent zwischen 2002 und 2005. Doch auch Syngentas Schwäche liegt bei den lediglich 13 Prozent betragenden Exporten nach Asien – und dies unverändert seit fünf Jahren.

Weniger gut im Rennen liegt Clariant. Sie ist stark wertorientiert und fährt einen Ebit von 13,5 Prozent des Umsatzes ein. Sie fällt indessen beim Volumenwachstum zurück, das im Zeitraum von fünf Jahren nicht wesentlich über zwei Prozent pro Jahr stieg. Die ausgeprägte Wachstumsschwäche wird verstärkt durch westwärts orientierte Absatzkanäle, die drei Viertel der Verkäufe ausmachen.

Neben der weit abgeschlagenen Ciba SC gehört Lonza zu den eindeutigen Verlierern. Auch bei den Absatzkanälen von Lonza dominieren die wenig wachsenden Märkte in Europa und den USA mit 85 Prozent. Der Ebit vom Umsatz beträgt knapp zehn Prozent, zwischen 2000 und 2004 ist die Firma pro Jahr zwei Prozent gewachsen. Lonza könnte wie Ciba SC für die grossen internationalen Konzerne ein Akquisitionskandidat werden.

Anders die Value-Growers unter den internationalen Konzernen. BASF, Dow Chemical oder Sumitomo setzen alle auf eine ausgeprägte Wachstumsstrategie. Sie pushen den Umsatz im asiatisch-pazifischen Raum, wo insbesondere Indien auf dem Vormarsch ist und China als Wachstumstreiber in der Chemieproduktion in den nächsten Jahren ablösen wird. Sumitomo beispielsweise steigerte ihren Umsatz in Asien 2004 um 55 Prozent, Dow um 34 Prozent, und BASF legte um 20 Prozent zu.

Der US-Gigant Dow setzt auf eine aggressive Wachstumsstrategie: Dow hat nicht nur Asien, sondern sämtliche Wachstumsmärkte im Visier. Mittels Mergers und Joint Ventures baut sie ihr Geschäft systematisch aus. Durch permanente Restrukturierungsprogramme hat sie die Produktivität der Mitarbeiter seit 1992 um acht Prozent pro Jahr gesteigert. Die Kunden werden konsequent in die Entwicklung neuer Produkte eingebunden. Die Firma scheut auch nicht davor zurück, gewisse Produkte mit Konkurrenten wie BASF gemeinsam zu vermarkten. Dow hat 2004 den Absatz durch ein aggressives Preis- und Volumenmanagement um 19 Prozent gesteigert. «Die US-Firmen», sagt A.T.-Kearney-Berater Deutsch, «gehen viel schneller und radikaler ans Werk als die Europäer.»

Das Fazit für die Schweizer Chemie: «Die Zukunft für die Schweizer Chemiefirmen kann nur durch gleichzeitige massive umsatz- und kostenseitige Anstrengungen gesichert werden», sagt Deutsch. Bahnbrechende Innovationen, der Fokus auf Asien, das Eingehen von Joint Ventures und ein rigides Kostenmanagement seien unabdingbare Voraussetzungen, um nicht von der Weltkarte zu verschwinden. Nur so könne den aggressiven asiatischen Wettberwerbern Paroli geboten werden, die mit ihren hochwertigen, aber kostengünstigen Produkten die Märkte im Westen aufs Korn genommen haben.

BILANZ-Serie Wachstum

Seit den neunziger Jahren leidet die Schweiz an einer chronischen Wachstumsschwäche, eine Besserung ist nicht in Sicht. Liegt es an den sich verschlechternden staatlichen Rahmenbedingungen, oder ist die Schweizer Wirtschaft im internationalen Vergleich zu wenig agil? In Zusammenarbeit mit der internationalen Beratungsfirma A.T. Kearney hat BILANZ eine Diagnose der Schweizer Schlüsselbranchen vorgenommen.

In den letzten Ausgaben:

Versicherungen (BILANZ 16/05)
Banken (BILANZ 17/05)
Pharmaindustrie (BILANZ 18/05)
Maschinenindustrie (BILANZ 19/05)

In der nächsten Ausgabe: Die Schweizer Energiebarone tun sich auf dem Weg in den europäischen Markt schwer.

Schweizer Chemie: Gemischtes Doppel auf Verlierer- und Gewinnerseite