Äussert sich Klaus-Michael Kühne, der Chef des Schweizer Logistikkonzerns Kühne+Nagel, über seine Konkurrentin Deutsche Post World Net, tönt es wenig schmeichelhaft. Besonders sauer aufgestossen ist Kühne die bevorstehende Übernahme der britischen Exel Plc für 5,5 Milliarden Euro durch die weltgrösste Logistikfirma. Schon in den Monaten und Jahren zuvor hatte die deutsche Briefmonopolistin, die vornehmlich unter dem Kürzel DPWN auftritt, eine Transport- und Logistikfirma um die andere geschluckt.

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Kühne sieht in der Einkaufstour von DPWN (Umsatz: 70 Milliarden Franken) «eine ernsthafte Bedrohung des freien Wettbewerbs». Er wirft dem gelben Riesen vor, seine Monopolstellung zu missbrauchen. «Auf Grund des bis 2007 verlängerten Briefmonopols in Deutschland verfügt das Unternehmen jährlich über Milliardeneinnahmen, die es für die Expansion in andere Geschäftsbereiche verwendet», moniert er. Die Kassandrarufe des deutschen Speditionspatrons mit Sitz in Schindellegi SZ dürften folgenlos verhallen. DPWN, aber nicht nur sie, mischt unter dem Mantel staatlicher Protektion den Logistikmarkt neu auf.

Die harsche Reaktion auf den Exel-Deal ist unter diesen Auspizien verständlich. In der internationalen Speditionsbranche herrschen raue Sitten. Wer Schwäche zeigt, aber doch Entwicklungspotenzial hat, gerät ins Visier der Akquisitionsspezialisten. «Die angelaufene Merger- und Akquisitionswelle wird ungebrochen weitergehen», sagt Britta Simon, Transportanalystin der Bank Sarasin. Allein im vergangenen Jahr haben Übernahmen in der Grössenordnung von 20 Milliarden Euro stattgefunden. Die Deutsche Bahn (DB) übernahm die US-Firma BAX Global für 1,1 Milliarden Euro, während Kühne + Nagel eine halbe Milliarde Euro für den Kauf der französischen ACR Logistics aufwarf. Und Dubai Ports World übernahm die englische P&O zum Preis von fünf Milliarden Euro. Gegen 35 Milliarden Euro haben die grössten Logistikkonzerne allein in den letzten fünf Jahren in die Ausmarchung untereinander investiert.

Trotz Muskelspiel der Grossen: «Der internationale Logistikmarkt ist stark fragmentiert», sagt Karl J. Deutsch, Vice President der internationalen Beratungsfirma A.T. Kearney. Viele kleine Spediteure – wie es früher simpel hiess – und hoch spezialisierte Nischenanbieter arbeiten erfolgreich in ihren Segmenten. Der globale Logistikmarkt hingegen wird von einer relativ kleinen Zahl von Grosskonzernen dominiert. Dazu gehören die beiden deutschen Konzerne Post und Bahn, die mittlerweile alle überragen. Ganz vorne mit dabei sind auch TNT, die einstmalige niederländische Post, die amerikanischen Expressdienste UPS und FedEx, Nippon Express sowie die französische Geodis.

Zu den Weltmarktführern gehören die Schwyzer Kühne + Nagel sowie die Basler Panalpina, zwei Schweizer, die sich auf Grund des kleinen Heimmarktes schon früh auf der Weltbühne etablieren mussten. Kühne+Nagel ist mit ihrer hohen Profitabilität und Finanzkraft eine der Perlen der Speditionsbranche, während Panalpina sich in den letzten Jahren herausgeputzt und insbesondere seit dem Börsengang im letzten September einen Gang höher geschaltet hat. Die Anfang Januar aufgeflogene Bilanzfälschung durch einen Kadermitarbeiter und der nachfolgende Rücktritt des erfahrenen Konzernchefs Bruno Sidler lassen die Zukunft der Firma indessen in einem weniger günstigen Licht erscheinen.

Doch auch die Giganten brillieren nicht mit hohen Marktanteilen. Sowohl in der See- wie in der Luftfracht verfügen sie kaum über mehr als 25 Prozent des Transportkuchens, den grossen Rest teilen sich die kleinen und mittleren Anbieter. Kühne+Nagel, die Nummer eins in der Seefracht, kommt auf 4,8 Prozent Volumenanteil, DHL/Danzas von der Deutschen Post auf 3,6 Prozent, während Schenker (Deutsche Bahn) und Panalpina sich mit 2,6 Prozent begnügen müssen. Exel, die Fünftplatzierte zur See, ist in der Luftfracht die Nummer zwei nach DHL/ Danzas, vor Panalpina und Kühne+Nagel. Wie schnell die Positionen wechseln können, stellt der Exel-Deal von DPWN unter Beweis, sofern die EU-Wettbewerbsbehörde der Übernahme ihr Plazet nicht verweigert. Die beiden DPWN-Töchter DHL/ Danzas und Exel werden Kühne+Nagel als Seefrachtleader vom Podest stossen.

Die Grossen fressen die Grossen. Dabei ist der Logistikmarkt immens und bietet enorme Wachstumschancen. Genaue Zahlen über das globale Geschäftsvolumen existieren zwar nicht, doch Schätzungen beziffern dieses auf rund 3430 Milliarden Dollar – eine gigantische Summe.

Allein in den USA beläuft es sich auf rund 900 Milliarden Dollar. Und der Markt wächst mit hoher Kadenz, weit stärker als die Weltwirtschaft. Das globale Sozialprodukt legt in diesem und in den kommenden Jahren um vier bis fünf Prozent zu, der Transportmarkt dagegen durchschnittlich um sechs bis acht Prozent.

Wachstumssegment par excellence ist die so genannte Kontraktlogistik mit jährlichen Zunahmen von 15 Prozent und mehr. Unter Kontraktlogistik versteht die Branche die langjährigen Geschäftsbeziehungen, die Spediteure zu ihren Grosskunden aufgebaut haben. Dabei bietet die Firma dem Kunden sämtliche Dienstleistungen rund ums Frachtgeschäft an. Auch die Seefracht kommt auf stattliche Zunahmen. Gemäss einer Prognose der Bank Vontobel dürfte dieses Segment im Zeitraum von 2005 bis 2009 um rund elf Prozent wachsen, während die Luftfracht gegen sechs Prozent zulegen wird. Zum Expressgeschäft dagegen sind keine Angaben erhältlich.

Mit 20 Prozent das stärkste Wachstum verzeichnet gegenwärtig die Seefracht nach Asien, die indessen mit zunehmenden Engpässen konfrontiert ist. Selbst die grossen Hafenanlagen reichen bald nicht mehr aus, das riesige Volumen zu bewältigen. Dazu kommen Ungleichgewichte in der Auslastung der Containerschiffe. Schon jetzt beansprucht der Verkehr von Asien nach Europa und den USA über 50 Prozent der Ladungen. Zurück geht nur ein Bruchteil davon.

Wenig Potenzial haben dagegen die Postmärkte und damit die grossen Staatskonzerne. In den nächsten Jahren wird nach der Paketpost auch das Briefgeschäft liberalisiert, womit den Monopolisten die Erträge wegbrechen dürften. Den Postkonzernen droht von zwei Seiten Gefahr: Zum einen nimmt das Briefvolumen mit dem Vormarsch von E-Mail und Internet ab, und zum anderen verschärft sich die Konkurrenz durch die agilen und schnellen Expressdienste wie UPS, FedEx oder TNT.

Einige Postkonzerne wie die Schweizer Post werden sich unter dem Monopol (bis 100 Gramm ab 1. April) noch einige Zeit halten können. Fällt das Briefmonopol definitiv, werden diese Firmen zu Übernahmekandidaten der grossen Logistiker respektive Expressdienste. Und die haben eine enorme Potenz. Nur vier Expressfirmen teilen 85 Prozent des globalen Marktes unter sich auf. Marktführer ist wiederum die Deutsche Post mit ihrer Tochter DHL, gefolgt von FedEx, UPS und TNT. Letztgenannte will sich ganz auf den Expressdienst fokussieren und bietet derzeit ihr Logistikgeschäft für rund eine Milliarde Euro zum Kauf an.

Gewinner oder Verlierer im internationalen Transport-Monopoly? Die Frage drängt sich für alle Player auf. In diesem Überlebensspiel haben die Schweizer Konzerne keine schlechten Karten. Zu diesem Schluss kommt eine Untersuchung der Beratungsfirma A.T. Kearney. Diese hat den internationalen Logistikmarkt der letzten fünf Jahre unter die Lupe genommen. Sie untersuchte, wie stark die Firmen beziehungsweise ihre einzelnen Divisionen zwischen 1999 und 2004 bei Umsatz und Ertrag gewachsen sind (siehe Grafik).

Das Resultat zeigt, dass allein Kühne + Nagel aus eigener Kraft markant schneller gewachsen ist als der Markt und zugleich eine gesunde Bilanz zu präsentieren vermag. Die Börse hat den Konzern entsprechend mit starken Kursavancen ihrer Valoren honoriert. Der Logistiker aus dem Schwyzer Steuerparadies verfolgt eine Doppelstrategie: organisches Wachstum durch innovative, IT-gestützte Logistiklösungen und strategische Übernahmen in Bereichen, wo die Firma Schwächen aufweist. Durch die Übernahme eines der führenden Kontraktlogistiker (ACR Logistics) ist er mit drei Milliarden Umsatz die Nummer fünf in einem Segment geworden, das überproportional wächst. Die Research-Firma Helvea (Pictet) schrieb im Oktober: «Kühne + Nagel ist gut positioniert, um von der zunehmenden Nachfrage nach Logistiklösungen zu profitieren.»

Nicht schlecht schneiden auch der Logistikbereich von TNT und der Expressdienst FedEx ab. FedEx profitiert vom hohen Segmentwachstum und von der Zusammenarbeit mit grossen Firmen, die Volumen generieren, wie Microsoft, Louis Vuitton oder Pentax. Ihre Strategie ist organisches Wachstum, Internationalisierung, Operations Excellence und der Aufbau komplementärer Servicestrukturen (Drucken, Kopieren usw.).

Die beiden grossen Sieger im Fünfjahresvergleich, DPWN und DB, setzen voll auf ihre Finanzkraft, die sie der Dimension des Heimmarkts und ihrer monopolistischen Stellung verdanken. «Die Deutsche Post ist auf massiver Akquisitionstour und baut ein Unternehmen mit einem breiten Serviceportfolio auf», sagt A.T.-Kearney-Berater Deutsch. Hauptproblem der Deutschen Post wird es künftig sein, die Übernahmen zu integrieren und Synergieeffekte zu nutzen. Zugleich muss sie ihre Bilanz wieder in Ordnung bringen. Die Hunter-Strategie nicht honoriert haben die Anleger. Der Aktienkurs stagniert seit rund fünf Jahren mehr oder minder.

Die Deutsche Bahn verfolgt eine ähnliche Aufbaustrategie wie die Post. Die Übernahmen von Schenker und BAX Global haben sie im Bereich Logistik zum führenden Anbieter weltweit gemacht. «Die Deutsche Bahn ist lediglich durch Akquisitionen zum Value Grower geworden», urteilt Deutsch. Echt profitabel ist lediglich die international agierende Logistiksparte. Der Konzern selbst gehört zu den Firmen, die zwar überdurchschnittlich wachsen, dabei aber zu wenig profitabel sind.

Nicht zu den Siegern gehörte in den letzten fünf Jahren die Panalpina. Sowohl beim Umsatz- wie beim Ebit-Wachstum lag sie unter dem Branchendurchschnitt. «Aber jetzt legt sie erfolgreich aus eigener Kraft zu», sagt Deutsch. Panalpina ist die Nummer zwei bei der Luftfracht und seit vielen Jahren Marktführer im Öl- und Gasgeschäft. Die Firma setzt nicht auf grosse Übernahmen. Sie visiert selektive Akquisitionen zur Stärkung ihrer regionalen Präsenz und zur Arrondierung ihrer Dienstleistungsbereiche an. Von grossen Übernahmen hält Panalpina nicht viel, was Analysten als Schwäche auslegen. «Die Gruppe spielt keine aktive Rolle im laufenden Konsolidierungsprozess», sagt Sarasin-Analystin Britta Simon. Damit könnte sie – nach den aktuellen Turbulenzen und dem Absturz des Aktienkurses – zum Übernahmeobjekt werden.

«Es werden zuletzt nur wenige genuin global aktive Logistikgesellschaften übrig bleiben», schreibt Simon in ihrer Analyse zum Börsengang der Panalpina. Die gegenwärtige Aufgeregtheit in der Branche scheint diesem Befund Recht zu geben. Allenthalben sprechen die Logistikspezialisten davon, dass die Übernahmewelle bei den Grossen noch nicht zu Ende sei. «Skaleneffekte», sagt A.T.-Kearney-Berater Deutsch, «sind auch in dieser Branche unabdingbar.»

Die Giganten profitieren am meisten von der Globalisierung. Die Kunden wollen vermehrt alle Dienstleistungen rund um den Globus aus einer Hand. Zugleich spielen die teuren Informationstechnologien eine immer entscheidendere Rolle für die Effizienz der Transport- und Lagersysteme. Dies vermag nur ein grosser Anbieter zu leisten.

Die Entwicklung prägen werden in naher Zukunft auch die Emerging Markets. Der Zug nach Asien dürfte weitergehen. China hat als Wirtschaftsmacht jüngst Italien überholt und wird bald auch Frankreich und England hinter sich lassen. Die Märkte im Osten wachsen mit einer atemberaubenden Kadenz – nicht nur China. Auch die Industrien in Indien, Korea, Thailand, Vietnam und neuerdings wieder in Japan lassen die Handelsströme weiter anschwellen. Der fortschreitende Abbau von internationalen Handelsbarrieren führt bei den Transportkapazitäten nochmals zu einem Nachfrageschub. Durch den systematischen Einsatz von effizienteren Logistiksystemen (satellitenbasierte Transportsteuerung) lassen sich Waren in noch kürzerer Zeit rund um den Globus verschieben.

Diese Trends führen zur Entstehung neuer Nischenmärkte. Neben den integrierten Geschäftsmodellen (One-Stop-Shops) sind künftig auch hoch spezialisierte Logistiker gefragt, die in bestimmten Schlüsselindustrien wie Hightech, Automotive, Health Care oder Erdölförderung die gesamte Logistikkette betreuen – von der Beschaffung bis zum Endkunden. Und vielleicht auch ein wenig mehr.

Höhere Ansprüche der Kunden fördern die Spezialisierung zusätzlich. So wird der traditionelle Spediteur zum multifunktionalen Dienstleistungsbetrieb. Er bewirtschaftet nicht nur das Ersatzteillager für seinen Kunden, beispielsweise einen Autokonzern, sondern baut die Teile auch selbst in die lädierte Karosse ein, bevor er diese weiterspediert. Die Zukunft in der Logistikbranche hat schon längst begonnen.

BILANZ-Serie Wachstum

Seit den neunziger Jahren leidet die Schweiz an einer chronischen Wachstumsschwäche, eine Besserung ist nicht in Sicht. Liegt es an den sich verschlechternden staatlichen Rahmenbedingungen, oder ist die Schweizer Wirtschaft im internationalen Vergleich zu wenig agil? In Zusammenarbeit mit der internationalen Beratungsfirma A.T. Kearney hat BILANZ eine Diagnose der Schweizer Schlüsselbranchen vorgenommen.

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