Bekanntlich ist Griechenland das Land der Mythen. Zum Kampf der Titanen und den Wundern des Herakles gesellt sich in letzter Zeit auch der Mythos vom «starken Griechenland der gemeinsamen europäischen Währung», der vom früheren Ministerpräsidenten Kostas Simitis in die Welt gesetzt worden war. Dieser Mythos gründet auf der angeblichen Stabilität des Euro, der vermeintlich niedrigen Inflationsrate und einer kaum durchsetzbaren Transparenz der Marktpreise.
Die erhofften Vorteile lösten sich allerdings schon am ersten Tag der Einführung des Euro in Luft auf. Mit der neuen Währung verbunden waren auch einige Nachteile. Beispielsweise das niedrige Wachstum der Inlandproduktion bei einem gleichzeitig gestiegenen Konsum aufgrund niedrigerer Zinsen und erweiterter Darlehensaktivitäten. Die Arbeitslosenzahlen schnellten auf 575000 (eine Quote von 12%) und betrafen besonders die Jugendlichen und Frauen. Dazu kam die unruhige Preisentwicklung (Grundpreise steigen, sinkender «Arbeitskoeffizient», Wertverlust bei Spareinlagen).
Zwölf Mythen lassen sich um den Euro in Griechenland nach Abschaffung der Drachme im Jahr 2002 ableiten. Eine öffentliche Bewertung derselben hat allerdings nicht stattgefunden. Der Euro liegt im Interesse der Machtparteien, der Politiker und der im Filz organisierten Unternehmer, die sich an den EU-Geldern in Höhe von 16 Mrd Euro gesundstossen.
Anfänglich neigte der Euro zur Schwäche, gewann danach um gegen 60% an Wert, wodurch der griechische Export und Fremdenverkehr sehr geschädigt wurde. Die Preisentwicklung zeigt, dass der Euro merklich an Kaufkraft eingebüsst hat.
Im Jahr 2001 lag der Preis für Rohöl bei 40 Dollar pro Fass, und das Benzin kostete an der Tankstelle 150 Drachmen pro Liter. Ende 2004 lag der Rohölpreis genauso hoch, aber der Liter Benzin kostete 273 Drachmen oder 0,80 Euro. Ohne Kaufkraftverlust des Euro hätte der Benzinpreis bei etwa 185 Drachmen liegen müssen. Der Kaufpreisverlust beläuft sich auf gut 30%.
Preissteigerungen bei bestimmten abgepackten Lebensmitteln im Laufe der letzten drei Jahre verdeutlichen den Kaufpreisverlust des Euro in Griechenland: Der Brotpreis stieg um 135%, Fetakäse um 115%, Gruyère um 110%, Butter um 170%, Jogurt um 53%, Frischmilch um 54%, Eier um 46%. Diese Preissteigerungen wurden bei der Erstellung des Warenkorbs durch den griechischen Statistischen Dienst (ESYE) übersehen. Das Institut für Konsumentenschutz errechnete 2003 eine Steigerung der Verbraucherpreise um 17%, und Eurostat bezifferte die Preissteigerung bei Lebensmitteln zwischen 1996 und 2000 in Griechenland auf 13,7% gegenüber lediglich 3,6% im vereinten Europa. Natürlich wurden die immensen Preissteigerungen bei den Lebensmitteln wohlweislich verschwiegen. Vielleicht, weil das dem Euro-Mythos nicht dienlich gewesen wäre.
Die Preise für Obst, Gemüse und Treibstoffe sind im «vereinheitlichten Verbraucherpreisindex» nicht enthalten, da der Preisanstieg als saisonale Schwankung umgedeutet wird. Allerdings sinken die Preise eben nicht, wenn sie einmal ansteigen. Kirschen kosteten im letzten Sommer in Athen 4 Euro oder 1364 Drachmen, obwohl das Angebot hinreichend war. Weintrauben kosteten 2 Euro oder 681,5 Drachmen (was einer Steigung von 51% jährlich gleichkommt). Für einen Bund Petersilie mussten 50 Cent, also 72 Drachmen, gegenüber 50 Drachmen in der Zeit vor dem Euro entrichtet werden. Orangen, im Dezember 2004 «Saisonobst», kosteten 1,2 Euro pro Kilo, also 409 Drachmen gegenüber 120 Drachmen im Jahr 1999.
Das «Law of one price» funktioniert in der Wirklichkeit nicht. Effektiv weisen die Preise in der Eurozone Differenzen von bis zu 180% auf. Zum Beispiel kostet ein «Cappuccino» in Italien 1,5 Euro, in Griechenland hingegen zwischen 1,9 und 4,2 Euro oder 1432 alte Drachmen. Die Preise für Investitionsgüter wie etwa Autos differieren stark in den verschiedenen Ländern. Die Personenwagen sind in Dänemark am teuersten und im «armen» Griechenland am billigsten. Im Mittelmeerland wurden im letzten Jahr 300000 Einheiten verkauft.
Dies ist die süsse Last der griechischen Zentralbank, und sie steht gleichzeitig masslos inkompetent da. Griechenland trägt nach wie vor schwer am hohen Defizit seiner Handelsbilanz (21 Mrd Euro im November 2004, +11%). Wird es nicht bald reduziert, so riskiert das Land die gesamten Währungsreserven, die ohnehin schon um 60% auf 3 Mrd Euro gesunken sind.
Genauer gesagt, mit dem Euro kommt die Wettbewerbsfähigkeit abhanden. Griechenland weist eine Inflationsrate aus, die um 75% über dem Durchschnitt der Eurozone liegt. Dazu kommt die geringste Wettbewerbsfähigkeit unter den zwölf Mitgliedsländern der Eurozone.
Ausschlaggebend ist zunächst, welcher Einkommenskategorie (und welchem Land) der Bankkunde angehört. Ein Schuldner hat in Griechenland im Allgemeinen niedrigere Zinsen zu zahlen. Allerdings werden die Konsumkredite noch immer mit 15% belastet.
Der Gläubiger gehört zu den Verlierern. Unter Ausklammerung der Teuerung (real) muss er mit Negativzinsen vorlieb nehmen. Sein Kapital schmilzt.
Sollten die Zinsen auf ein europäisches Niveau ansteigen, werden viele Schuldner ernsthafte Schwierigkeiten haben, ihre Kredite zu bedienen. Die Verluste bleiben im Fall einer Zahlungsunfähigkeit an den Banken hängen. Da ein Einspringen der europäischen Zentralbank nicht in Frage kommt, liegt hier ein weiteres Risike, das mit dem Euro einhergeht. Die Staatsgarantie für Spareinlagen liegt bei 20000 Euro, gegenüber der unbegrenzten Bürgschaft zu Zeiten der Drachme.
Gemäss der griechischen Zentralbank ist die Investitionstätigkeit von 1999 bis 2003 um 36 Mrd Euro auf 99 Mrd Euro zurückgegangen, nicht zuletzt wegen der negativen Rendite. Die neue Regierung unter Kostas Karamanlis hat eine Steueramnestie erlassen (mit einer Besteuerung von 3%) für die Wiedereinfuhr des Kapitals bis zum Februar 2005. Umsonst, wie es scheint, denn kürzlich wurde eine dreimonatige Verlängerung beschlossen.
Ganz im Gegenteil. Das griechische Bruttosozialprodukt stagniert wenn es nicht sogar gefallen ist, und das Bruttonationaleinkommen wurde vom griechischen Statistischen Dienst falsch bewertet. Lediglich die Nachfrage ist gestiegen, und sie wird ausschliesslich durch Darlehen finanziert. Trotz des angeblich «steigenden Bruttosozialproduktes» ging die Zahl der Kleinunternehmen fühlbar zurück. Auch würden bei einem Anstieg der volkswirtschaftlichen Leistung die Arbeitslosenzahlen kaum nach oben schnellen.
Gemäss einer ICAP-Marktstudie sind «die privaten Investitionen im Verarbeitenden Sektor im Jahr 2002 um 30% gesunken». Diese Tendenz bleibt auch in den folgenden zwei Jahren der «Euromania» erhalten.
Dieses Argument ist seitens des griechischen Industriellenverbands oft zu hören. Die Wirklichkeit widerlegt allerdings das Argument: Dänemark und Schweden (beide nicht in der Eurozone) sind keinerlei Angriffen von Spekulanten ausgesetzt, und sie verfügen über ausserordentlich stabile Währungen. So auch die Schweiz, eine «Insel im Euroland», wie sie der Präsident der Schweizer Nationalbank, Jean Pierre Roth, letzten Mai in Athen bei einem Gespräch mit der Spitze der griechischen Zentralbank nannte: «Ich sehe keinen Grund, den Schweizer Franken an den Euro zu binden. Wir würden unsere tiefen Zinssätze aufgeben, ohne dafür mehr Stabilität zu gewinnen.»
Im Gegensatz dazu meint der Finanzexperte Joachim Fells von Morgan Stanley in der «Financial Times» (17.8.2004), Nobelpreisträger Milton Friedman habe die Lebensdauer der europäischen Gemeinschaftswährung auf höchstens 15 Jahre veranschlagt. Der französische Anthropologe und Historiker Emmanuel Todd ist der Ansicht, das «der Euro bis zum Jahr 2005 verschwunden sein wird». Und auch wenn diese Vorhersagen sich noch nicht zu bewahrheiten scheinen, so hat doch Ende 2004 die italienische Regierung unter Berlusconi eine massive Intervention des Klubs der acht reichsten Länder gefordert, um die Aufwertung des Euro zu stoppen.
Das bleibt ein frommer Wunsch, der vor der Wirklichkeit nicht lange bestehen konnte. Die einseitige währungspolitische Abrüstung dient nicht dem «Anschluss», aber den Interessen der Grossunternehmer im vereinten Europa. Das Wohlstandsniveau fiel durch den Rückgang des Bruttosozialproduktes auf 60% des Durchschnittswertes der zwölf Euroländer. Frankreich und Deutschland förderten die Schaffung von «Hyperunternehmen» in Europa in einer Weise, dass sogar der Wettbewerbswächter Fritz Bolkestein protestierte.
Der Schaden für die griechischen Konsumenten rührt von der irrigen Auffassung, dass 340,75 Drachmen einen höheren Kaufwert als ein Euro haben. Dies machte sich besonders auf dem Immobilienmarkt bemerkbar. Drei Jahre nach dem Beitritt zur Eurozone sind die Immobilienpreise um das Doppelte gestiegen, während sich die Löhne gleichzeitig nur um 17% erhöhten. Sein psychologischer Wertverlust ist der grösste Schwachpunkt des Euro. Einerseits steigen die Konsumentenpreise rasend schnell, andererseits wird die Arbeit schlechter bezahlt. Das ist das Schlimmste, was einer Währung passieren kann. Würde heute eine Volksabstimmung in Griechenland über den Austritt aus der Eurozone durchgeführt, so wäre es denkbar, dass aufgrund der schmerzhaften Erfahrungen mit dem Euro der Austritt beschlossen würde.