Eine Volksabstimmung hat der Europäischen Union 2016 ein schwarzes Jahr beschert: Mit Grossbritannien entschied sich erstmals ein Land, aus der EU auzutreten. Durch den Brexit-Entscheid im Juni verlor die EU nicht nur eines ihrer wichtigsten Mitgliedsländer. Es entstand auch ein Unruheherd. Die Loslösung von Grossbritannien wird die Gemeinschaft lange bremsen.

Auch dieses Jahr finden Abstimmungen statt, die der EU schaden könnten: Mit den Niederlanden, Frankreich und Deutschland führen gleich drei wichtige EU-Länder Wahlen durch. Auch Italien könnte noch in diesem Jahr seine Regierung neu bestimmen. Auswirkungen hat die politische Unsicherheit auch auf die Schweiz. Denn bislang galt: Je stärker die EU in Gefahr, desto eher wertete der Franken auf.

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Ein weiterer Exit ist nicht in Sicht

Zwar droht nach dem «Brexit» jetzt nicht ein »Frexit» oder «Italexit»: Dass ein weiteres Land aus der EU austritt oder sich von der Euro-Währung trennt, sei kurzfristig unwahrscheinlich, erwarten die Ökonomen der Agentur Moody’s. Das Risiko bleibe tief – aber die Wahrscheinlichkeit nehme zu, schreiben sie in einer neuen Analyse.

Sicher ist: Alle Wahlgänge werden in der EU für Unruhe sorgen, denn überall sind die Parteien von EU-Kritikern im Aufwind. Zu den bisherigen Problemen Brüssels – die Rettung Griechenlands, die Flüchtlingskrise, der Brexit oder die überschuldeten italienischen Banken – könnten weitere dazukommen.

Geert Wilders mit guten Karten

Den Anfang machen die Niederlande Mitte März: Dort dürfte die Partei des EU-Gegners Geert Wilders zahlreiche Sitze im Parlament hinzugewinnen. Auch in Frankeich winkt EU-Gegnern ein Erfolg an der Urne: Viele Franzosen werden bei den Präsidentschaftswahlen für Marine Le Pen stimmen. Die Rechtspopulistin könnte am 23. April sogar das beste Resultat erzielen. Dass Le Pen Anfang Mai im zweiten Gang zur Präsidentin gewählt wird, halten Meinungsforscher aktuell aber nicht für das wahrscheinlichste Szenario.

An den Finanzmärkten herrscht dennoch Nervosität. Die Zinsspanne zwischen französischen und deutschen Staatspapieren ist so gross wie noch nie seit 2012. Frankreich hat höhere Finanzierungskosten, weil Anleger eine Risikoprämie verlangen.

Harvard-Ökonom warnt

Auch Fachleute warnen. «Wir stecken mitten in einer Welle des Populismus», sagte Harvard-Ökonom Ken Rogoff Anfang Jahr. «Der Brexit war der Startschuss, jetzt haben wir Trump – und andere Länder werden folgen, möglicherweise Italien oder Frankreich», prognostiziert der frühere Chefökonom des Internationalen Währungsfonds.

«Meine Freunde in Frankreich sagen ja, Marine Le Pen werde niemals zur Präsidentin gewählt. Ich weiss nicht, wie oft ich das in den Monaten vor der US-Wahl über Trump gehört habe.»

Die AfD im Umfragehoch

In der grössten Volkswirtschaft des Kontinents ist ebenfalls Vorsicht geboten: In Deutschland werden scharfe EU-Kritiker voraussichtlich in den Bundestag einziehen. Bei den Parlamentswahlen im September wird die Protestpartei AfD nach neuen Umfragen zu drittstärksten Kraft. Sollte Italien noch dieses Jahr Wahlen durchführen, könnte die Fünf-Sterne-Bewegung am besten abschneiden. Die Partei und ihr Chef Beppe Grillo fordern einen Austritt Italiens aus der Euro-Zone.

In wichtigen EU-Ländern werden EU-kritische Kräfte mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zulegen. Doch ob diese politischen Risiken auch die Konjunktur beeinträchtigen, ist fraglich: In vielen Ländern hat sich die Wirtschaftslage zuletzt verbessert, die Unternehmensgewinne steigen.

Der Euro bleibt krisenanfällig

Für die Weiterentwicklung der EU ist dieser Wahlmarathon dennoch problematisch. «Damit bleiben die Grundprobleme der EU ungelöst», heisst es bei Moody’s.

Die EU verharrt dadurch im Ungleichgewicht, mit wirtschaftlich erfolgreichen Ländern wie Deutschland und kriselnden Staaten wie Portugal oder Griechenland. Und der Euro bleibt anfällig, weil jedes Mitglied im Währungsraum seine eigene Steuerpolitik betreibt.

Der EZB-Chef muss es richten

Wegen des politischen Stillstands kommt der Europäischen Zentralbank (EZB) weiterhin eine Schlüsselrolle zu: Die EZB musss wie bis anhin mit ihrer Geldpolitik grössere wirtschaftliche Verwerfungen in der Währungsunion verhindern.

«Die EZB kann aber das interne Ungleichgewicht in der Euro-Zone nicht angehen, ohne eine stärkere politische Rolle einzunehmen», schreibt Moody’s. Das Dilemma, eine Geldpolitik für Länder mit unterschiedlichen Bedürfnissen zu machen, wird EZB-Chef Mario Draghi auch in diesem Jahr Kopfzerbrechen bereiten.

Der Franken bleibt stark

Und auch die Schweizerische Nationalbank wird wegen dieser politischen Risiken in der EU unter Druck bleiben. Aufgrund der Unsicherheit dürfte sich der Franken aufwerten. Vielleicht muss die SNB wieder stärker auf dem Währungsmarkt intervenieren – und dadurch in Kauf nehmen, dass ihr Devisenberg weiter ansteigt.

Sehen Sie in der Bildergalerie unten, welche Uhren die mächtigen Politiker tragen: