Als der Bundesrat am Mittwoch seinen Appell zum Stromsparen verkündet hatte, liefen die Turbinen der Wasserkraftwerke auf Hochtouren. Gut 4 Gigawatt speisten die Speicherkraftwerke am frühen Abend ins Netz, mehr als alle Schweizer Atomkraftwerke zusammen. Die Schweiz produzierte zu der Zeit mehr Strom, als sie brauchte: Rund 3 von insgesamt mehr als 10 Gigawatt Inlandproduktion wurden exportiert. Vermutlich zu lukrativen Preisen.
Das war keine Ausnahme, sondern die Regel. Im Sommer exportiert die Schweiz Strom – auch im Mangeljahr 2022. Bloss spät in der Nacht fliesst gelegentlich Strom aus dem Ausland in unsere Netze.
Sparappelle und gleichzeitig Überschüsse exportieren? Wie geht das zusammen? Eigentlich gar nicht. Das zeigt der Blick in die Statistik des Bundes – und in die Schweizer Stauseen. Denn Kilowattstunden, die heute eingespart werden, können noch gar nicht für den Winter gespeichert werden. Das bestätigt auf Anfrage der «Handelszeitung» auch das Bundesamt für Energie (BFE).
Der Grund ist einfach: In den Alpen-Stauseen hat es gar nicht genug Platz, um alles Wasser zu speichern, das noch bis zum Winter in die Seen fliesst. Insgesamt fassen die Seen Wasser mit einem Energiewert von gut 8800 Gigawattstunden (GWh). Derzeit sind die Seen recht gut gefüllt: Knapp 7000 GWh waren Ende August in den Stauseen gebunkert, die Seen waren zu 80 Prozent gefüllt. 1800 GWh hätten derzeit also noch Platz, die man für den Winter ansparen kann. Oder so viel, wie die Schweiz in insgesamt zehn Tagen verbraucht.
Aber: Dieser freie Raum reicht gar nicht, um all das Wasser zu speichern, das noch in Form von Regen und Schmelzwasser in die Seen fliessen wird. Letztes Jahr strömte allein von September bis Dezember Wasser im Gegenwert von 4200 GWh in die Seen. Wiederholten sich die damaligen Werte im laufenden Jahr, wären die Stauseen theoretisch bereits Ende September randvoll.
Und so laufen die Turbinen weiter und die Schweiz exportiert wertvollen Strom, während Private und Unternehmen dazu angehalten werden, ihren Konsum zu drosseln. «Klar exportiert die Schweiz derzeit Strom, das ist im Sommer praktisch immer der Fall», sagt BFE-Sprecherin Marianne Zünd. Damit erbringe die Schweiz aber auch einen wichtigen Dienst an die Nachbarländer, die im gemeinsamen Stromnetz stecken.
Mit den Exporten bewirke man auch, dass im Ausland weniger Gasstrom produziert werden müsse, sagt Zünd. Und damit können Gasreserven für den Winter aufgebaut werden. Denn Deutschland produziert derzeit viel Gasstrom für Frankreich, weil ein grosser Teil der französischen AKW wegen Wartung und Sicherheitsproblemen stillsteht. Wird also weniger Gas verstromt, ist das eine Entlastung für ganz Europa. «Das nützt am Ende auch der Schweiz, damit die beschafften Gasreserven in den ausländischen Speichern dann im Winter tatsächlich ins Land kommen.»
Anders gesagt: Die Sparmassnahmen in der Schweiz kommen zwar in erster Linie dem Ausland zugute. Damit bezahlt das Land aber auf sein diplomatisches Konto ein, um später vom Goodwill zu zehren, wenn die Schweiz im Winter auf Importstrom und Gas angewiesen ist.
Die Leistung eines Kraftwerks oder den Verbrauch einer Maschine misst man in Watt, Kilowatt, Megawatt oder Gigawatt (jeweils mal Tausend). Ein Staubsauger verbraucht 500 bis 1000 Watt, ein grosses Atomkraftwerk produziert 1 Gigawatt (GW) und könnte damit also mehr als eine Million Staubsauger versorgen. Der Physiker nennt das die Leistung.
Die Energiemenge, die über die Zeit verbraucht wird, etwa um eine ganze Wohnung zu putzen, misst man dagegen in Wattstunden. 500 Watt eine Stunde lang beansprucht macht 500 Wattstunden. Oder eine halbe Kilowattstunde. Will man also ausdrücken, wie viel Strom die Wasserkraftwerke in einem Jahr insgesamt produzieren, drückt man dies in Gigawattstunden (GWh) aus. Physikalisch spricht man dabei von Arbeit.
Gleichzeitig bestätigt das BFE, dass es bei den Sparkampagnen auch darum geht, die Schweizerinnen und Schweizer frühzeitig auf den Sparkurs einzuschwören, damit das nicht mehr nötig ist, wenn es wirklich knapp wird. «Das braucht eine gewisse Vorlaufzeit,» sagt Zünd. «Allenfalls kaufen sich nun einige noch einen Wasserspar-Duschkopf oder Steckerleisten oder Deckel für die Töpfe oder sie schauen in der Gebrauchsanleitung der Waschmaschine nach, wie das Eco-Programm eingeschaltet werden muss.»
Eine eingesparte Kilowattstunde ist ein gutes Geschäft für die Stromversorger
Profiteure dieser frühzeitigen Sparaktionen sind die Stromkonzerne. Verbraucht das Land kurzfristig weniger Strom als geplant, kann die Differenz zu den aktuell hohen Preisen am Strommarkt verkauft werden. Ein Überschuss von 3000 MW während einer Abendstunde ist derzeit rund 1,6 Millionen Franken wert. Am Markt verdient ein Stromversorger kurzfristig mehr als mit seinen eigenen Kunden.
Dazu muss man wissen: Regionalwerke wie die Elektrizitätswerke Zürich (EWZ) oder die Industriellen Werke Basel (IWB) beschaffen den Strom für ihre Kundschaft langfristig. Entweder über Beteiligungen an Kraftwerken, über direkte Lieferverträge oder über Termingeschäfte am Markt.
Die grosse Kunst liegt darin, die Nachfrage möglichst genau zu modellieren, zu antizipieren. Teuer wird es für den Versorger, wenn die Stromnachfrage kurzfristig über der Prognose liegt. Zum Beispiel, wenn die halbe Schweiz wegen einer Hitzewelle die Klimaanlagen anschaltet. Wird jedoch plötzlich weniger Strom nachgefragt, kann der Stromversorger den Überschuss an der Börse verkaufen. Denn lagern lässt sich Strom nicht. Was heute von einem Kraftwerk eingespeist wird, muss auch heute von jemandem verbraucht werden.
Stromversorger mit eigenen Stauseen können in solchen Situationen ihre Turbinen drosseln oder ganz stoppen. Das Wasser bleibt dann so lange in den Seen, bis der Strom wieder gebraucht wird. Oder bis der See überläuft.
Wenn der See leer ist, pumpt man einfach wieder Wasser hinauf. Korrekt?
Ja und nein. Die meisten Schweizer Stauseen bedienen reine Speicher-Kraftwerke. Diese können mit ihren Turbinen zwar steuern, wann wie viel Strom aus dem gespeicherten Wasser hergestellt werden soll. Das ist lukrativ, denn so kann immer dann produziert werden, wenn die Preise hoch sind. Einmal abgelassen, ist das Wasser jedoch weg.
Nur Pumpspeicher-Kraftwerke können Wasser wieder hochpumpen, wenn zu viel Strom im Netz ist – beziehungsweise die Preise eher tief sind.
Eigentlich produzieren diese Kraftwerke gar nicht viel Strom. Denn das Hochpumpen braucht mehr Elektrizität, als beim Runterlassen generiert wird – natürliche Zuflüsse ausgeschlossen. Normalerweise liegt dieser Verlust bei 20 bis 30 Prozent. Für die Kraftwerke geht die Rechnung trotzdem auf, wenn die Preisdifferenz am Strommarkt grösser ist als dieser Verlust. Und in der Regel ist das der Fall. Derzeit schwanken die Strompreise am kurzfristigen Spotmarkt etwa zwischen 400 und 800 Euro pro MWh.
Eignen sich Pumpspeicher-Werke zur langfristigen Absicherung der Versorgung? Nein. Damit Wasser nach dem Turbinieren wieder hochgepumpt werden kann, braucht es jedoch einen zweiten Stausee unterhalb der Turbinen. Und dieser ist meist kleiner als der grosse See in den Alpentälern. Das wahre Potenzial dieses Pumpspeicher-Betriebs liegt daher eher im kurzfristigen Stromhandel als in der langfristigen Absicherung der Versorgung.
4 Kommentare
Mit der Cash-Finanzierung der Axpo und diesem Stromspartheater kommt mir der Verdacht auf, dass wir als Bürger wieder einmal mehr für dumm verkauft werden und der allgemein bekannte Alarmismus dafür sorgt, alles zu glauben, was offiziell erzählt wird.
Wir bezahlen mindestens doppert bis dreifach: als "Stromkunden", Steuerzahler und Konsumenten. Wie lange braucht es, bis wir wieder Politiker haben, die nicht nur für den Eigennutz schauen? Sind wir wirklich auch eine solche Bananenrepublik wie die EU? Warum werden links wie rechts nur Politiker gewält, die uns am Ende nur hohe Kosten und Belastungen verschaffen? Warum haften Politiker wie Unternehmensleitungen nicht für ihre Fehlentscheide?
Mit dem Wissen darum, dass die Stromversorger mehr oder weniger im Besitz der "öffentlichen Hand" (Kantone, Gemeinden etc.) sind, wäre der nächste logische Schritt nach den Öffentliche-Hand-Spar-Apellen, gerade jetzt die Stromtarife NICHT zu erhöhen und die entstehenden Über-, Zufalls- oder Wie-auch-immer-genannten Gewinne zu Gunsten der Kunden (und eben nicht der Dividenden!) 'auf die hohe Kante' zu legen.
Oder habe ich da die falsche Vorstellung davon, wie man GEMEINSAM eine Krise bewältigen könnte?
Wahrscheinlich ist das aber alles zu einfach oder aber zu komplex, sicher aber wesentlich schwerer, als später dann als Energieversorger hinzustehen und staatliche Hilfen, Absicherungen und Kredite einzufordern, weil man ja so systemrelevant ist ......
Gemeinsam bedeutet doch, dass am Ende beide Seiten profitieren, und nicht nur einer dem anderen in die Tasche greift?
dieser Meinung bin ich auch und plädiere für die nächsten Wahlen zur Abwahl der Regierungsräte, die in den Verwaltungsräten von AXPO, BKW etc. sitzen.
Oder den Herren Regierungsräten mal wieder ihre Auftraggeber = Bürger in Erinnerung rufen. Der Staat braucht die Bürger - Die Bürger brauchen den Staat nicht ...