Die endlose Seifenoper bei der Walt Disney Co. hat einen neuen Hauptdarsteller. Sein Name: Bob Iger, Nachfolger des langjährigen Disney-CEO Michael Eisner. Vom Charakter her taugt Iger auf den ersten Bick eher für die Nebenrollen – loyal, sorgfältig, geduldig, immer adrett aussehend. Das Scheinwerferlicht hat er seinem Ex-Chef jedenfalls nie gestohlen. Im Gegenzug hat Eisner seinen Lieblingskandidaten aber früh dem Verwaltungsrat schmackhaft gemacht. Iger seinerseits umgarnte erfolgreich die Investoren und wurde fast zwangsläufig Konzernlenker, als sämtliche potenziellen Rivalen nach und nach aus dem Rennen fielen.
So bewundernswert Igers charakterliche Attribute auch sind – bei der Steuerung des riesigen Entertainment-Imperiums werden sie ihm nur bedingt nutzen. Um Disney wieder zur alten Stärke zu führen, muss Iger grosse Ziele erreichen: Erstens muss er die zerrüttete Unternehmenskultur reparieren. Zweitens muss er die neuen digitalen Technologien in den Griff bekommen, die derzeit die Medienwelt revolutionieren. Und drittens muss er die kreative Wiedergeburt der Firma schaffen.
Schaut man sich Igers Karriere genauer an, deutet nur wenig darauf hin, dass er diese Herkulesaufgabe meistern kann. Fairerweise muss man ihm aber zugute halten, dass er lange im Schatten gestanden hat und nie wirklich zeigen konnte, was in ihm steckt. In seinen dreissig Jahren beim Fernsehsender ABC und bei Disney erklomm Iger die Karriereleiter, indem er sich die Unterstützung einflussreicher Mentoren sicherte: etwa Roone Arledge von ABC Sports and News oder Tom Murphy, Chef von Capital Cities/ABC. Ihnen gefiel seine Energie und sein sicheres Urteilsvermögen auch in brenzligen Situationen. Ab 2000 diente dann Iger – eher unspektakulär – als Präsident, Chief Operating Officer und zuverlässiger Adlatus seinem Meister Eisner, jenem gleichermassen dominierenden wie angriffslustigen CEO. Iger erklärte seinen Erfolg einmal so: «Mit grosser Arbeitsethik habe ich meinen eher durchschnittlichen Intellekt kompensiert.»
Geht alles nach Plan, wird der 63-jährige Eisner seinen Job am 30. September dieses Jahres an Iger abtreten – zur Freude jener Aktionäre, die lange für seine Entlassung plädiert haben. Den Verwaltungsrat soll Eisner im Jahr 2006 dann ebenfalls verlassen. Die VR-Mitglieder haben Iger gedrängt, sofort die Zügel in die Hand zu nehmen.
Zunächst wird sich Iger auf Reparaturarbeiten an Disneys angeschlagener Unternehmenskultur konzentrieren. Auch deshalb, weil er hier zügig Akzente setzen kann. Sein Intellekt mag durchaus «Normalmass» haben, wie er selbst sagte, aber er bringt zweifellos die emotionale Intelligenz mit, sensible Egos zu beruhigen und in erbitterten Grabenkriegen zu vermitteln. Er ist ruhig, diplomatisch, ein guter Zuhörer. Ein Mann, der Sympathien auslöst – Merkmale, über die Eisner nie wirklich verfügte.
Bei Cap Cities lernte Iger, wie man eine dezentralisierte Kultur führt, indem man Managern weit reichende Beschlussfassung überträgt, sie später aber auch für Erfolg oder Misserfolg ihres Bereichs verantwortlich macht. Bei Disney verlor er etwas von dieser Fähigkeit, war Chef Eisner doch für ständiges Einmischen berühmt und gefürchtet. Dieser pflegte Verantwortlichkeiten zu verwischen und schob die Schuld gern auf andere. Eines ist sicher: Unter Igers Ägide wird Disney ein kollegialerer Arbeitsplatz sein – auch weil am Ende der Ära Eisner das Betriebsklima nur noch besser werden kann.
Igers Fähigkeiten dürften freilich schnell auf den Prüfstand kommen. Dann nämlich, wenn er versuchen wird, das gestörte Verhältnis von Disney zu den Pixar Animation Studios zu glätten. Die vertragliche Partnerschaft läuft 2006 aus; Pixars Kassenschlager wie «Toy Story», «Findet Nemo» oder «Die Unglaublichen» waren zuletzt die einzig wirklichen Gewinnbringer der Disney Studios und konnten die kreative Dürre im Zeichentrickbereich zumindest zeitweilig übertünchen. Iger muss hier eine Menge zerschlagenes Porzellan kitten, denn Pixar-Chef Steve Jobs konnte Eisner nicht ausstehen (Jobs schickte Iger nach dessen Ernennung zum CEO eine Glückwunsch-E-Mail). Freilich hält Jobs das klar bessere Blatt in den Händen, wenn sich die beiden Männer demnächst an den Verhandlungstisch setzen, um die künftigen Geschäftsbeziehungen zu erörtern. «Steve Jobs weiss ganz genau, dass es für Iger einer Katastrophe gleichkommen würde, wenn er keinen Vertrag mit Pixar zustande brächte. Der kreative Aderlass, den Disney in den letzten fünf bis sieben Jahren erlebt hat, war gewaltig», sagt Richard Greenfield, Analyst bei Fulcrum Global Partners. Tatsächlich aber dürfte Iger nur die Wahl zwischen einem für Disney wenig vorteilhaften und gar keinem Deal haben.
Eine weitere ernste Herausforderung für Iger bilden die neuen digitalen Technologien. Wenn Iger endlich Wege findet, wie man Filme oder Shows des Fernsehkanals ABC sicher über Breitbandnetzwerke an die Verbraucher schickt, könnte dies den Umsätzen einen schönen Schub bescheren – Mittelsmänner wie die Kabelbetreiber, die Videokette Blockbuster oder der Handelsriese Wal-Mart wären dann nämlich eliminiert. Die Crux ist, dass, sobald man Verbrauchern die Steuerung digitalen Contents überlässt, ihnen auch ermöglicht wird, die Werbung auszublenden. Oder schlimmer noch: Man öffnet dem illegalen Kopieren von Filmen und Fernsehshows Tür und Tor. Bis 2010 dürften die Medienkonzerne geschätzte 160 Milliarden Dollar an Unternehmenswerten verlieren, wenn Piraterie und Werbe-Ausblendung nicht unter Kontrolle gebracht werden, schätzt Tom Wolzien, Medienstratege bei Bernstein Research.
Angesichts dessen ist es nur schwer verständlich, warum der Disney-VR nicht stärker auf einen neuen CEO gedrängt hat, der nachgewiesenermassen Erfahrung im Medienbereich und im Technologiesektor mitbringt. Jemand wie Terry Semel von Yahoo etwa oder Meg Whitman von eBay. Diese war die einzige Anwärterin ausser Iger, die vom Verwaltungsrat überhaupt zum Gespräch gebeten wurde. Schwer verärgert darüber, lästerte der ehemalige Disney-Verwaltungsrat Stanley Gold, der sich einst gegen Eisner aufgelehnt hatte: «Meg Whitman hat eine der grossen Firmen der Welt quasi aus dem Nichts geschaffen. Und was hat Iger vorzuweisen?»
Die Frage scheint durchaus berechtigt. Weil in der Unterhaltungsindustrie strategische Entscheidungen gewöhnlich gemeinschaftlich gefällt werden, ist eine genaue Einschätzung von Igers Leistungsnachweis tatsächlich schwierig. Bei ABC, dem Arbeitgeber, unter dem er am längsten gedient hat, ist seine Bilanz allenfalls durchwachsen. In den frühen neunziger Jahren gelang es ihm als Programmchef, den Sender mit der Heimwerkerserie «Home Improvement» und der Ulk-Show «America’s Funniest Home Videos» auf den Spitzenplatz zu hieven. Aber nachdem Disney Capital Cities/ABC übernommen hatte, übersah er in verantwortlicher Position den langsamen, aber steten Abstieg des Senders. Damit nicht genug: Iger feuerte mit Susan Lyne und Lloyd Braun ausgerechnet jene kreativen Köpfe, die für die beiden einzigen Erfolgsshows verantwortlich waren. Die Schlussfolgerung: Bob Iger gelang es nicht, eine Atmosphäre zu kreieren, in der kreative Leute aufblühen und dann auch bei der Stange bleiben.
Das ist bedenklich, weil es Igers wichtigster Job bei Disney sein wird, das kreative Potenzial der Firma zu neuem Leben zu erwecken. In ihren Ruhmestagen brillierte Disney mit grossen Leinwand-Epen à la «König der Löwen» oder «Arielle die Meerjungfrau»: Sujets, die anschliessend über sämtliche Kanäle von Kino über Videos, Musik, Fernsehen in den Freizeitparks bis hin zum Merchandising ausgeschlachtet wurden. Mehr noch als andere Konzerne lebt Disney von Ideen. «Die müssen ständig neue Helden erfinden», konstatiert Rich Greenfield, «zuletzt waren sie dabei nicht sonderlich erfolgreich.»
Es steht ausser Frage, dass Bob Iger ein netter Typ ist. Aber das macht ihn nicht automatisch zu einem guten CEO. In ein paar Jahren wird man wissen, ob er tatsächlich die grosse Hauptrolle ausfüllen kann, die man ihm jetzt gegeben hat.