Herr de Silva, unter Ihnen hat sich die Formensprache der Audi-Modelle völlig verändert – und nicht nur vorne am Kühler. Warum?

Sicher stand am Anfang aller Überlegungen der einteilige „Singleframe“-Grill. Aber es steckt mehr dahinter. Wir wollen stärker die Rolle der Marke Audi betonen. Ein heutiger Audi, sei es ein A3, der neue TT oder der Q7, zeigt eine stimmige Formensprache. Front, Heck, Seiten, die ganze Architektur strahlt eine Gesamtheit aus. Er ist an seinen Proportionen sofort als Audi erkennbar. Die Magie aller Audi-Modelle entsteht aus dem Industrie-Design und daraus, durch dieses Design etwas auszusagen. Das Fahrzeug steht jeweils für sich, aber auch für Audi.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Audi sei weg vom Bauhaus-Stil, heisst es manchmal. Die neuen Autos sind wuchtiger, aggressiver, die Karosserie zeigt mehr Wölbungen. Was soll das Design aussagen?

Als mein Design-Team und ich anfingen, haben wir die geometrischen Formen von früher etwas aufgegeben. Um diese Designwelt in Worte zu fassen, wurde das manchmal mit Bauhaus gleichgesetzt. Aber das war zuwenig - ich bin eher der Meinung, dass Audi bisher sehr klare, saubere Linienführungen hatte. Ich finde übrigens nicht, dass das neue Design unsere Autos aggressiver macht, sondern eher zeigt es eine starke Persönlichkeit. Ich unterscheide zwischen Aggression und starker Persönlichkeit. Wir sind jetzt etwas skulpturenhafter geworden, haben vielleicht auch mehr Sex-Appeal, und das entspricht ja dem heutigen Lebensgefühl.

BMW hat für das Design viel Kritik eingesteckt. Denken Sie beim Gestalten auch daran, das Auto optisch gegenüber Konkurrenten wie BMW zu positionieren?

Dazu möchte ich zwei Dinge sagen. Erstens habe ich diese Kritik nie geteilt. Wir bei Audi gehen unseren eigenen Weg, BMW geht seinen. Zweitens – wenn ich an einem neuen Modell arbeite, muss ich mir natürlich die Wettbewerber anschauen. Ich habe Achtung vor den Designerkollegen bei anderen Herstellern. Man muss aufpassen, dass man nicht nur deshalb etwas ablehnt, weil man es vielleicht persönlich nicht mag. Für den Erfolg ist es wesentlich, dass man die anderen versteht und respektiert.

Mit wem kommunizieren Sie, wenn Sie ein Auto gestalten? Sicher mit dem CEO Martin Winterkorn, aber wer sind die weiteren Ansprechpartner?

Das Design findet im Grunde genommen gemeinsam statt, mit Marketing, Vertrieb, Produktion, Qualitätskontrolle, Technik, Innovationsabteilung. Für uns ist dieser integrierte Prozess normal. Martin Winterkorn will diese Teamarbeit, damit eine gemeinsame Vision entsteht. Der Prozess, kann man also sagen, ist demokratisch. Die Entscheidung ist nicht demokratisch. Im Design kann man nicht demokratisch vorgehen (lächelt). Beim Design muss man mit Kopf und Herz entscheiden. Die endgültige Entscheidung trifft dann ein kleiner Kreis.

Zeichnen Sie viel oder leben Sie von spontanen Eingebungen?

Seit dem 2. April bin ich 34 Jahre im Designgeschäft. Ich zeichne zirka zwei Stunden am Tag, inzwischen habe ich sicher mehrere zehntausend Skizzen. Skizzen sind keine fertigen Zeichnungen, sondern eher wie Stichworte für einen Schriftsteller. Und ich bin keiner, der an Inspirationen glaubt. Ich habe fünf Kinder, und meine Freizeit möchte ich eigentlich gern mit meiner Familie verbringen. Aber ich arbeite schon zehn Stunden am Tag. Zeichnen ist ein Training, es setzt Kreativität frei. Aber man muss dabeibleiben. Wie ein guter Klavierspieler. Der muss auch täglich üben, damit er gut bleibt. Ich mag keine unbewohnten Inseln oder grossartige Panoramen, das sind für mich keine Inspirationsquellen. Ich arbeite, ich zeichne, ich stehe im Dialog, und das Ganze führt dann zu Kreativität und Pragmatismus. Und natürlich habe ich ein hervorragendes Team.

Mode ist vergänglich. Bei den Autos gibt es aber Klassiker, die man heute noch gern anschaut. Wie haltbar ist Auto-Design? Und wie hält man Kunden über viele Jahre bei einer Marke?

Die Grundlage ist eine gute Architektur. Auch beim Auto beginnt alles mit der Architektur. Sie muss ausgewogen sein, Gültigkeit haben, und die Zeit kann dann vergehen, aber der Gedanke bleibt. Wenn wir uns diese Schreibtischlampe hier anschauen (eine Artemide Tizio, die Red) – sie wurde vor 30 Jahren entworfen, und bleibt trotzdem gültig. Bei Autos gibt es ganz wichtige Beispiele: Citroen DS, den Mini, den Fiat 500; das sind Ikonen, weil sie eine architektonische Grundlage haben. Wenn man schnelle Stylingmassnahmen ergreift, dann enden die nach einer Saison. Sie haben keine Gültigkeit. Stücke, die man in den Museen findet, beruhen auf einer perfekten Architektur.

Der Singleframe-Kühlergrill kann auf dem wichtigen US-Markt optisch gut wirken. In Europa wird er vom Kennzeichen durchbrochen. Wie sehr ärgert Sie das?

(lacht). Nun ja – ich kann sagen, dass mir die vorderen Kennzeichen nicht gefallen. Ich denke auch nicht, dass sie notwendig sind. Der Gesetzgeber ist da anderer Meinung, ich glaube aber, dass es andere Lösungen gibt. Man könnte etwa ein Kürzel unter der Windschutzscheibe anbringen. Sicher ist der Singleframe-Grill ohne das Kennzeichen schöner. Er ist reiner, faszinierender, extremer. Aber man muss die Dinge akzeptieren, wie sie sind, in Europa gehören die Front-Kennzeichen eben dazu. Vielleicht finden wir in Zukunft mit ein bisschen gutem Willen eine andere Lösung.