Dieser Mann lässt sich nicht wegdrücken. Dies signalisiert bereits seine Statur. Kräftig, fast massiv wirkend, die Lesebrille baumelt über der mächtigen Brust – Walter Kielholz ist ein Mann, der physische Präsenz ausstrahlt. Ein Schwergewicht ist er auch in übertragenem Sinne: Kein anderer Wirtschaftsführer ist besser verankert in der wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Elite der Schweiz. In einer zunehmend globalisierten Welt verkörpert er wie kein Zweiter den Typus des eng in der Schweiz verwurzelten Chefs. Er ist Dreh- und Angelpunkt eines Wirtschaftsgeflechts, das mit dem Fall der Swissair schon untergegangen zu sein schien.

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Gleich bei zwei Schweizer Konzernen ist Kielholz der Taktgeber, bei der Grossbank Credit Suisse als Präsident und beim Rückversicherungskonzern Swiss Re als exekutiver Vizepräsident. Doch auch an der Schnittstelle zur Politik ist er auffallend präsent, als Ausschussmitglied beim Wirtschaftsdachverband Economiesuisse, als Gründungsmitglied der Vereinigung Freunde der FDP wie auch als Stiftungsratspräsident der Denkfabrik Avenir Suisse. Dass er in diesem Übergangsbereich aktiv – und mitunter wenig zimperlich – auch Machtpolitik betreibt, zeigt seine Rolle in der Auseinandersetzung um den Präsidentenposten bei Economiesuisse, für den er einer seiner Vertrauten, den umstrittenen Ex-Kuoni-Präsidenten Andreas Schmid, portierte, der aber nach Widerstand im Verband und nach dem Verlust seines Jobs beim Reiseveranstalter abwinkte.

Und als ob all diese Aktivitäten noch nicht genug wären, gehört Kielholz auch noch zur Hand voll Manager, die auch im kulturellen Bereich Schlüsselstellen besetzen, wirkt er doch als Präsident der Zürcher Kunstgesellschaft, die unter anderem das Kunsthaus betreibt. Hinzu kommen allerlei informelle Beziehungen, etwa durch seine Mitgliedschaft beim Rotary Club Zürich oder bei der Zürcher Zunft zur Meisen. Kielholz ist heute wohl die einflussreichste Persönlichkeit des Landes an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Politik.

BILANZ: Herr Kielholz, wie sind Sie in diese Rolle hineingewachsen?

Walter Kielholz: Ich habe mich schon immer für politische Fragen interessiert, habe mich beispielsweise in der Studentenpolitik engagiert. Nur hat früher niemand zugehört. Jetzt hören die Leute plötzlich zu.

Wie kommt das?

Ich denke, das hat natürlich allein mit meiner Funktion zu tun. Da soll man sich nichts vormachen. Ich bin Präsident der Credit Suisse, und die Credit Suisse gehört zum Kern der Schweizer Wirtschaft. Daher kommt meinen Aussagen ein Gewicht zu, das über meine Person weit hinausgeht.

Kielholz wurde 1951 in Zürich geboren, besuchte dort auch die Schulen und studierte dann in St. Gallen Betriebswirtschaft. 1977 heuerte er beim US-Rückversicherungskonzern General Re an, wo er bis 1986 blieb. In jenen Jahren bewegte er sich auch in der kulturellen Szene: Mit seiner Frau versuchte er sich als Galerist. «Es war eine Fehlüberlegung von mir, zu glauben, dieses Geschäft sei bereichernder als andere», sollte Kielholz später in einem Interview über diese Zeit sagen.

1986 kam er zu jener Firma, die er heute präsidiert: Als Vizedirektor der Schweizerischen Kreditanstalt (SKA), wie die CS damals hiess, betreute er die grossen Versicherungskunden.

1989 wechselte er zur Schweizer Rück. Dort machte er rasant Karriere. Als der damalige CEO, Lukas Mühlemann, 1997 an die Spitze der CS wechselte, wurde Kielholz der Chefposten übertragen. Als derselbe Mühlemann nach Milliardenverlusten und Reputationsproblemen seinen Job bei der CS aufgab, war es wieder Kielholz, der in seine Fussstapfen trat: Gedrängt vom Verwaltungsrat der Bank, übernahm Kielholz Ende 2002 den Präsidentenstuhl bei der CS.

In den rund dreissig Jahren, welche die Karriere von Kielholz bisher andauert, hat sich die Rolle der helvetischen Eliten stark gewandelt. Noch bis in die frühen neunziger Jahre war die Schweizer Wirtschaft geprägt durch drei voneinander getrennte Machtblöcke, deren Zentren die drei damaligen Grossbanken Credit Suisse, Bankgesellschaft und Bankverein bildeten. Die CS war dabei das Gravitationszentrum des Zürcher Wirtschaftsfreisinns mit engen historischen, personellen und finanziellen Verflechtungen zur Schweizer Rück und zu den lokalen Erstversicherern «Zürich» und Rentenanstalt. Die Bankgesellschaft, entstanden im 19. Jahrhundert aus dem Zusammenschluss der Bank in Winterthur und der Toggenburger Bank, stand der Winterthur-Versicherung nahe. Derartige Zugehörigkeiten wurden auch durch die gegenseitige Einsitznahme in den Verwaltungsräten untermauert. Das dritte Machtzentrum hatte sich um den Basler Bankverein gebildet, der traditionell enge Kontakte mit der lokalen chemischen Industrie unterhielt.

Dieses Gefüge begann auseinander zu driften, als die Versicherungspartner in den drei Machtzentren fremdgingen, nachdem es 1995 zum grossen Knall gekommen war. Damals hatte die Bankgesellschaft hinter dem Rücken von «Winterthur»-Chef Peter Spälti den Schulterschluss mit der Rentenanstalt gesucht und damit den althergebrachten Versicherungspartner desavouiert. Die «Winterthur» lehnte sich daraufhin an die CS an. Parallel zu diesem Prozess der machtpolitischen Neuordnung erfolgte eine personelle Rochade in den Verwaltungsräten der Schweizer Grossunternehmen, wie sie noch nie vorgekommen war in den Aufsichtsgremien der börsenkotierten Grosskonzerne im Land.

Den Untergang der alten Ordnung nützten neue Player zum Knüpfen eigener Netzwerke. Neuer starker Mann auf dem Schweizer Finanzplatz Mitte der neunziger Jahre war BZ-Banker Martin Ebner, der das geschwächte Establishment attackierte, unter anderem mit seinem Angriff auf die Bankgesellschaft. Eng verbunden mit Ebner war zu jener Zeit der heutige Bundesrat Christoph Blocher. Der Industrielle, der sich die Chemiefirma Ems einst mit Hilfe der Grossbanken unter den Nagel gerissen hatte, wurde 1993 aus dem VR der SBG hinausgedrängt, weil man seiner Verbindung zu Ebner nicht traute. Dieses Erlebnis hat die kritische Haltung Blochers gegenüber der Schweizer Elite bis heute geprägt.

Um Blocher und Ebner entstand in den neunziger Jahren ein Gegennetzwerk, das ideologisch der SVP nahe stand. Der FDP schadete dies zunächst nur wenig, zu dominant war sie im Wirtschaftsestablishment verankert. Vor allem zu den Wirtschaftsführern der grossen Zürcher Konzerne bestanden enge Verbindungen. So sass etwa FDP-Nationalrat Ulrich Bremi im Verwaltungsrat der CS Holding und war Präsident der Schweizer Rück. Auch FDP-Ständerätin Vreni Spoerry hatte Einsitz im CS-Verwaltungsrat. Der starke Mann auf Seiten der Wirtschaft war CS-Präsident Rainer E. Gut, nebenbei auch noch in entscheidender Position in den Verwaltungsräten von Swiss Re, Nestlé oder Swissair. Guts Einfluss wirkte weit über die CS hinaus, gut sichtbar etwa bei der Swissair, wo er als VR-Mitglied in den neunziger Jahren die Strategie der Airline entscheidend mitbestimmte. Ebenfalls im VR der Swissair Einsitz hatten FDP-Ständerätin und CS-Verwaltungsrätin Vreni Spoerry sowie Bénédict Hentsch, seines Zeichens VR bei der Swiss Re. Präsident der Swissair war bis Frühling 2001 der langjährige Zürcher FDP-Regierungsrat Eric Honegger.

BILANZ: Woher kommt die enge Verknüpfung der Wirtschaftselite mit der FDP?

Walter Kielholz: Die Bedeutung der FDP in Zürcher Wirtschaftskreisen lässt sich nicht nur durch die parteipolitische Ausrichtung erklären. In Zürich hat das viel mit dem bürgerlichen Milieu zu tun. Die führenden politischen Kräfte in Zürich auf der bürgerlichen Seite waren die Liberalen beziehungsweise nachher die Freisinnigen. Andere bürgerliche Parteien wie die CVP spielten kaum eine Rolle. Auf der Gegenseite gab es eine starke Sozialdemokratische Partei. Also hat sich das bürgerliche Zürcher Milieu automatisch um das Protestantisch-Freisinnige in der FDP geschart.

Die SVP ist in Zürich aber auch stark.

Basis der SVP war ja lange ein ganz anderes Milieu, das des Kleingewerblers. Christoph Blocher hat diese Partei dann für seine Zwecke umfunktioniert und in eine rechtsbürgerliche Kampfpartei verwandelt. Damit ist das klassische Milieu der SVP auseinander gebrochen. Heute spielt weniger das Milieu als vielmehr die politische Ausrichtung beim Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Partei eine Rolle. Aber dies war lange nicht so.

Seit dem Untergang der Swissair ist die FDP angeschlagen. Auseinandersetzungen um die politische Ausrichtung und Personaldiskussionen prägten das Bild. Die SVP nutzte die Schwäche der FDP aus, um in die Bresche zu springen. Das Machtvakuum machten sich unter anderem auch Vertreter der UBS zu Nutze, deren Chefs politisch lange im Schatten der CS-Fürsten gestanden hatten. So verschaffte sich UBS-Präsident Marcel Ospel, der als SVP-nahe gilt, mehr Gehör. 2003 brachte er sich durch eine Reihe von Vorträgen zur Ausrichtung der Schweizer Wirtschaft in Position, und im Herbst 2003 forderte er die Wahl von Christoph Blocher in den Bundesrat. Mit SVP-Nationalrat Peter Spuhler hievte Ospel im Frühling 2004 zudem einen der wichtigsten Repräsentanten der «neuen» SVP in den Verwaltungsrat der UBS.

«Mit der Erstarkung der SVP ist Pluralismus in das System hineingekommen – unterschiedliche Netzwerke, die zum Teil gegeneinander arbeiten», sagt der Soziologe und Buchautor Michael Nollert, der sich an der Universität Freiburg mit Unternehmensverflechtungen beschäftigt. Dabei beurteilen viele Wissenschaftler die Existenz von Netzwerken nicht per se als negativ. So ist Nollerts Kollege Kurt Imhof gar ein Verfechter des viel geschmähten Filzes in der Schweiz. «Ich glaube nicht, dass die Schweiz ohne Filz überleben kann», sagte er gegenüber dem «Magazin» des Zürcher «Tages-Anzeigers». «Das helvetische Erfolgsmodell hat auf der Halbstaatlichkeit öffentlicher Dienstleistungen beruht, die für alle Beteiligten profitabel waren, ob Kantonalbanken, Radio und Fernsehen, Flugverkehr, Post, Bahn oder Energieversorgung. Auf dem Kompromiss zwischen Linken und Bürgerlichen. Filz macht pragmatisch, Filz ist antiideologisch, Filz ist schweizerisch.»

Konnte das SVP-Netz vor allem nach der Krise um die Swissair an Bedeutung zulegen, so macht das FDP-Netz seit zwei Jahren wieder Boden gut. Dies vor allem durch den Auftritt neuer, unbelasteter Personen. So begann neben Kielholz auch UBS-CEO Peter Wuffli seine politischen Kreise zu erweitern, im Gegensatz zum UBS-Präsidenten Ospel allerdings mit Nähe zur FDP. Wuffli, seit der Jugend FDP-Mitglied, begann 2004 auf den Trümmern des zerbröckelnden Parteinetzwerks um Gut und Bremi einen neuen Zirkel FDP-naher Wirtschaftsführer aufzubauen, den Verein Freunde der FDP. Von der Swissair-Krise nicht tangierte, jüngere Manager wie Swiss-Life-Chef Rolf Dörig als Vizepräsident gaben dem Zirkel rasch neue Glaubwürdigkeit.

Dass die CS in diesem neuen Netzwerk nicht vergessen geht, dafür sorgt Kielholz, der als Gründungsmitglied der Freunde der FDP an vorderster Front dabei ist.

Dabei spielte Kielholz noch bis Ende der neunziger Jahre im Netzwerk der Schweiz AG kaum eine Rolle. Er war 1999 als CEO der CS-nahen Swiss Re zwar auch zum CS-Verwaltungsrat erkoren worden, doch konzentrierte er sich vornehmlich auf seine Aufgaben als Versicherungsmanager. Politisch vernahm man von Kielholz wenig. Bénédict Hentsch, der Kielholz auf Grund seiner langjährigen Tätigkeit als Verwaltungsrat der Swiss Re gut kennt, glaubt, Kielholz habe die heute so dominante Rolle nicht aktiv gesucht, sie habe sich vielmehr «einfach so ergeben». Als Ziehsohn der abtretenden starken Männer Rainer E. Gut und Ulrich Bremi sei Kielholz «in die Fussstapfen des Establishments getreten». Kielholz sehe dies wohl auch als Verantwortung, die mit dem Präsidentenjob bei einer der grössten Schweizer Banken verbunden sei.

Kielholz nahm in den letzten drei Jahren Stück für Stück die zum Teil zerrissenen Fäden des alten CS/FDP-Netzwerkes auf und knüpfte daraus ein neues Netz – diesmal mit ihm in zentraler Position. Jene Repräsentanten des alten Netzwerkes um Rainer E. Gut mit bis heute ungetrübter Reputation, etwa den Wirtschaftsanwalt und Swiss-Re-Verwaltungsratspräsidenten Peter Forstmoser, baute er in sein neues System ein. Doch auch ganz eigene, persönlichere Vertraute baute er auf, bei der Credit Suisse etwa Urs Rohner, ehemals Chef von ProSieben / Sat 1, der als COO und General Counsel der Bank amtet und so zusammen mit Kielholz ein Gegengewicht zur Fraktion um CS-CEO Oswald Grübel bildet. Bei anderen neuen Exponenten in seinem Machtnetz zeigte Kielholz indes eine weniger glückliche Hand. So versuchte Kielholz seinen Vertrauten Andreas Schmid im Schweizer Wirtschaftsestablishment in entscheidende Position zu bringen. Der ehrgeizige Anwalt Schmid war als Präsident von Kuoni und des Flughafenbetreibers Unique ein Schnellaufsteiger, der Kielholz beeindruckte. Als Mitglied des Beirats der Credit Suisse, als Angehöriger des Kreises der Freunde der FDP und als Stiftungsrat bei Avenir Suisse stand Schmid Kielholz besonders nahe. Diesen Sommer portierte Kielholz Schmid für den Job des Verbandspräsidenten im Vorstand des Wirtschaftsdachverbandes Economiesuisse – gegen den Widerstand vieler Industrievertreter im Gremium, verbunden mit zum Teil heftigen persönlichen Attacken gegen renitente Economiesuisse-Vertreter.

Dass sich Kielholz dabei für den falschen Mann stark gemacht hat, zeigte sich nur wenig später. Am 21. August musste Schmid seinen Präsidentensessel bei Kuoni räumen, weil er hinter dem Rücken des Kuoni-Managements Fusionsgespräche mit einem britischen Reiseveranstalter geführt hatte. Gleichzeitig gab Schmid auch bekannt, er verzichte nun auch auf den Job des Präsidenten von Economiesuisse. Im Verband herrschte Konsternation, aber auch Erleichterung, denn Schmid hatte im wichtigsten Wirtschaftsverband der Schweiz enorm polarisiert und Industrielle wie Johann Schneider-Ammann, Nicolas Hayek oder Oscar Kambly gegen sich aufgebracht. Es ist eine empfindliche Niederlage für Kielholz, der erstmals erfahren musste, dass er beim Knüpfen seines Netzwerkes an Grenzen gestossen war.

Die Auseinandersetzung im Rahmen der Economiesuisse hat einer breiten Öffentlichkeit nicht nur einmal mehr die wirtschaftspolitischen Ambitionen von Kielholz vor Augen geführt, sondern auch Fragen nach der Motivation für seinen Einsatz aufgeworfen. Geht es dem Bankpräsidenten wirklich nur um das wirtschaftliche Gesamtwohl der Schweiz, oder vertritt er eben doch in erster Linie die Interessen seiner Branche?

BILANZ: Die Bankeninteressen und die Interessen des Werkplatzes Schweiz sind offenbar nicht deckungsgleich. Welche Anliegen sind wichtiger für die Zukunft der Schweiz?

Walter Kielholz: Einen Gegensatz zwischen Finanzplatz und Industrie zu konstruieren, ist heutzutage doch Unsinn. Das hätte man vielleicht in den siebziger Jahren behaupten können, als der starke Schweizer Franken der Exportwirtschaft Schwierigkeiten machte. Aber doch nicht heute.

Aber die Industrievertreter werfen Ihnen vor, Partikularinteressen zu vertreten.

Das ist nicht wahr. Man schaue nur, was der Finanzplatz allein 2005 etwa für die Durchsetzung der bilateralen Verträge gemacht hat, die der Industrie ein besonderes Anliegen waren. Der Finanzplatz ist hingestanden und hat politisch durch alles hindurch die Bilateralen II verteidigt. Und der Gegensatz Finanzplatz–Werkplatz stimmte nicht einmal in der Vergangenheit. Die Probleme vieler Industrieunternehmen – vor allem in den siebziger und achtziger Jahren – entstammen sicher nicht einer mangelnden politischen Unterstützung seitens des Finanzplatzes, sondern weil viele der Industrievertreter zu wenig in Produktinnovationen investiert haben und stattdessen zu lange auf billige Arbeitskräfte aus dem Ausland gesetzt haben.

Zu Zeiten Alfred Eschers, den Ihre Bank anlässlich der 150-Jahr-Feier so auf den Schild gehoben hat, marschierten Banken und Industrie aber noch einvernehmlich im Gleichschritt.

Man darf nicht vergessen: Die Banken sind damals gegründet worden, um die grossen Infrastruktur- und Industrievorhaben zu finanzieren. Man musste Institute haben, die Spargelder sammeln, ausländische Investoren ins Land holen und das Geld in Form von Krediten oder Beteiligungen zur Verfügung stellen. Heute ist das anders. Heute ist das Bankwesen im Wesentlichen ein globales Vermögensverwaltungs- und Investment-Banking-Geschäft.

In den letzten 150 Jahren war die Schweiz nicht nur durch sehr enge personelle Verbindungen, sondern lange Zeit auch durch eine grosse Nähe der einzelnen Wirtschaftssektoren wie Industrie und Finanzwelt geprägt. Ein Beispiel dafür ist Kreditanstalt-Gründer und Eisenbahnpionier Alfred Escher, der in einer markanten Doppelrolle in politischen und wirtschaftlichen Ämtern wirkte. Unternehmerisch war er parallel bei der Kreditanstalt, der Rentenanstalt, der Gotthardbahn und der Nordostbahn tätig. Politisch war Escher ebenso umtriebig: rund 40 Jahre lang als Grossrat im Kanton Zürich sowie 34 Jahre lang als Nationalrat in Bern. Während acht Jahren wirkte er zudem als Regierungsrat in Zürich.

Auch andere Gründerfiguren der Schweiz waren politisch aktiv. Migros-Stammvater Gottlieb Duttweiler etwa gründete 1935 gar eine eigene Partei, den Landesring der Unabhängigen (LdU).

Nach dem Zweiten Weltkrieg sind solch dominante Figuren seltener geworden. Leute wie Ex-«Winterhur»-Chef Spälti, der nebst seinen Aufgaben an der Spitze der Versicherung viele Jahre für die FDP im Nationalrat wirkte, blieben die Ausnahme, und heute ist kein einziger Repräsentant einer Schweizer Blue-Chip-Firma mehr politischer Mandatsträger. Spälti bedauert diese Entwicklung: «An der Spitze eines Grossunternehmens geht sehr oft das Sensorium für die Anliegen der breiten Masse verloren. Ein politisches Mandat kann helfen, dieses Sensorium zu entwickeln. Es führt zu Kontakten zu jenen Teilen der Bevölkerung, die das Gros der Mitarbeiter ausmachen.» Zu Statements über heikle politische Fragen lasse sich kaum einer bewegen und erst recht nicht zu einem Mandat: «Das Risiko, eine Wahl zu verlieren, will man offenbar nicht eingehen», vermutet Spälti.

Da die Vertreter der Wirtschaft andererseits ihren politischen Einfluss nicht aufgeben wollen, sucht sich jeder seine persönlichen Fäden nach Bern. Weil dies im Gegensatz zur direkten Interessenvertretung à la Spälti weniger transparent ist, werden diese Bestrebungen mitunter misstrauisch verfolgt.

BILANZ: Ich würde Ihnen gerne zwei Zitate vorlesen. Das erste stammt von Peter Wuffli von der UBS. Er sagt: «Ich halte die enge Verflochtenheit, die in der Schweiz zwischen Politik und Wirtschaft existiert, für einen der wichtigsten Erfolgsfaktoren unseres Landes.» Das zweite von Christoph Blocher. Er sagt: «Politik und Wirtschaft dürfen sich nicht zu nahe kommen, denn das führt zu Filz und wirtschaftlichem Desaster.» Wer hat Recht?

Walter Kielholz: Alles, was Herr Blocher macht, ist natürlich kein Filz, das sind seine Freunde (lacht). Nein, im Ernst: Es kann doch kein Mensch seine Tätigkeit aufrechterhalten, wenn er nicht irgendwie vernetzt ist. Man braucht ein Netzwerk, auf das man rasch und ohne grosse Barrieren zurückgreifen kann. Insofern steht mir die Aussage von Herrn Wuffli sicher näher als die von Herrn Blocher.

Wann würden Sie von einem Netzwerk im positiven Sinne, wann von Filz sprechen?

Der Begriff Filz ist im Allgemeinen negativ besetzt. Was mich stört, ist, wenn der Begriff als Schlagwort benutzt wird. Doch wenn jemand das Wort Filz braucht, meint er oft das Beziehungsnetz des anderen, das er nicht durchdringen kann. Für mich ist Filz dann gegeben, wenn man Entscheidungen, vor allem personeller Art, auf Grund falscher oder unobjektiver Kriterien, etwa Loyalität, fällt. Das ist gefährlich.

Die Gruppe der eng vernetzten wirtschaftlichen und politischen Taktgeber ist klein. Braucht die Schweiz eine Elite, um zu funktionieren?

Dafür müsste man zuerst definieren, was Elite heisst.

Was heisst es für Sie?

Elite ist jene Gruppe von Leuten, die Entscheide fällen müssen oder auf die man hört, wenn Entscheide nicht gefällt werden. Das sind nicht nur Wirtschaftsvertreter oder Politiker, es sind auch Leute aus Wissenschaft, Kultur oder den Medien. Diese Gruppe von Entscheidungsträgern kennzeichnet sich dadurch, dass sie die wichtigen Fragen eines Landes irgendwie aushandeln muss. Die Leute treffen sich regelmässig, sei es formell oder informell, und diskutieren dann die Themen durch.

Natürlich haben sie dadurch einen hohen Wissensstand. Auch Glaubwürdigkeit?

Glaubwürdigkeit nicht unbedingt. Die Elite wird ja oft auch angegriffen. Ihre Glaubwürdigkeit sollte ja auch kontinuierlich hinterfragt werden. Dafür sind dann teilweise die Medien zuständig, aber nicht nur. Vor allem sind meiner Ansicht nach die nachkommenden Generationen dafür zuständig. Die Jungen sollten die Alten kontinuierlich hinterfragen.

Die Generationenfrage, Raumplanung, die Erhaltung der individuellen Freiheit oder die Öffnung der Schweiz nach aussen – politische Anliegen vertritt Kielholz viele. Zu fast allen Dossiers kann er sich kompetent äussern, er gilt als belesen und gut dokumentiert. Und dennoch geht ihm das innere Feuer eines Vollblutpolitikers ab. Was motiviert den Mann politisch? Bénédict Hentsch glaubt, dass Kielholz ganz einfach pragmatisch ist: «Walter Kielholz hat begriffen, dass ein Schweizer Wirtschaftsführer auch ein Bürger sein muss und nicht nur ein Manager.» Kielholz sei kein politischer Dogmatiker, «er will einfach, dass der Staat und die Gesellschaft funktionieren». Für Privatbankier und Bankiervereinigungspräsident Pierre Mirabaud, der mit Kielholz im Vorstand der Economiesuisse Einsitz hat, ist Kielholz «ein grosser Patriot». Mirabaud hält es für entscheidend, dass sich Wirtschaftsführer politisch einsetzen. Für ihn ist Kielholz jener Wirtschaftsführer, «der die Interessen der Schweiz am konsequentesten vertritt».

Dass Kielholz zwischen Wirtschaft und Politik eine so wichtige Mittlerrolle einnehmen konnte, liegt auch daran, dass er heute einer der wenigen Schweizer an der Spitze eines hiesigen Grossunternehmens ist. Der Nahrungsmittelgigant Nestlé und der Pharmakonzern Roche werden von Österreichern (Peter Brabeck beziehungsweise Franz Humer) geführt, die Zürich-Versicherung von einem Amerikaner (James Schiro), an der Spitze der Swisscom sitzt ein Deutscher (Carsten Schloter). Kielholz hat öffentlich stets betont, wie wichtig es sei, Schweizer an der Spitze der einheimischen Grosskonzerne zu haben. Doch wie sehr dieser Wunsch der Realität widerläuft, zeigt sich in seinem eigenen Wirkungskreis. Sein CEO bei der CS, Oswald Grübel, ist Deutscher, sein CEO bei der Swiss Re, Jacques Aigrain, Franzose. Das sei eben das Erfordernis der modernen Wirtschaft, so Kielholz. Bei global tätigen Firmen könne man den Mitarbeitern nur schwer vermitteln, dass der Chef ein Schweizer sein müsse. Er halte es aber für wichtig, dass immer mindestens einer der beiden Topjobs, also entweder der CEO oder der Verwaltungsratspräsident, ein Schweizer sei oder einen starken Bezug zur Schweiz habe.

Gut möglich, dass Kielholz hier bereits ein Rückzugsgefecht austrägt. Soziologe Nollert geht davon aus, dass die Trends zur Globalisierung sich auch auf das Networking auswirken werden. «Länderübergreifende Netzwerke werden in Zukunft die nationalen Verflechtungen ablösen», so der Wissenschaftler. Statt einer nationalen Elite würden sich transnationale Eliten formieren, etwa eine globale Bankenelite oder eine globale Pharmaelite. «Die Schweizer Elite wird sich in diesem Prozess immer mehr auflösen in Teileliten, die dann integriert sein werden in diese globalen Netze», so Nollert.

Wie dieses globale Networking funktioniert, kann man jedes Jahr am Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos beobachten, wo transnationale Elitebildung auf Schweizer Boden stattfindet. Kielholz nutzt – nicht nur am WEF – solche internationalen Netze bereits aktiv, ist er doch Ehrenpräsident der International Association for the Study of Insurance Economics, Vizepräsident der International Monetary Conference oder gern gesehener Gast im kleinen, aber feinen Zirkel der internationalen Bilderberg-Konferenz.

Einzelne Manager an der Spitze hiesiger Grosskonzerne, wie etwa Novartis-Chef Daniel Vasella, haben sich schon heute vom nationalen Diskurs weitgehend verabschiedet und konzentrieren sich auf ihre globale Rolle. Kielholz gehört nicht zu dieser Kategorie, und daher könnte ihm auch im zukünftigen System eine wichtige Rolle zukommen. Der Mann, der die lokale Verankerung in der Schweiz verkörpert, andererseits aber als Präsident der globalen Grossbank Credit Suisse auch als Teil der globalen Elite taugt, könnte eine wichtige Position zwischen den nationalen und internationalen Machtnetzen einnehmen. Und damit mithelfen, dass die Schweiz AG in die Welt AG eingegliedert bleibt.