Walter Kielholz ist immer wieder für eine Überraschung gut. In seiner Funktion als Swiss-Re-Präsident beförderte er vor zwei Jahren nicht etwa den jüngeren, aufstrebenden Christian Mumenthaler oder den bestens vernetzten Thomas Wellauer an die Spitze des Rückversicherers. Er wählte den 58-jährigen Luxemburger Michel Liès, der dem Unternehmen seit über 30 Jahren die Treue hält.
Damit verblüffte er die ganze Branche. Das hat Methode. Als Verwaltungsratspräsident der Credit Suisse orchestrierte Kielholz von 2003 bis 2008 auch die Absetzung des damals neben Oswald Grübel amtierenden Co-Chefs John Mack. Der Amerikaner war nicht länger opportun, weil er mit seinen notorischen Übernahmegelüsten die CS allzu sehr in Richtung Risiko trieb. Als Kielholz im Mai 2004 dem ahnungslosen Banker morgens vor einer Verwaltungsratssitzung in New York eröffnete, dass er nicht mehr erwünscht sei, war die Nachricht schon an die Medien verschickt worden. Zudem hatte man Macks Abgangsentschädigung fixiert und seinen Nachfolger bestimmt -Brady Dougan. Dem perplexen Amerikaner blieb nichts anderes übrig, als die bittere Pille zu schlucken.
Abbild eines masslosen Managers
«Wenn ihm etwas nicht passt, greift er zum Telefon und lässt seine Beziehungen spielen», sagt einer, der mit ihm zusammenarbeitet. Dass Kielholz mit seinen 60 Jahren im Geschäft bestens vernetzt ist, erstaunt kaum. Doch gerade weil seinem Schalten und Walten auch eine Spur Machiavellismus anhaftet, hat er sich nicht nur Freunde gemacht. Für seine Kritiker ist er das Abbild des masslosen Managers, der Aktionärswerte vernichtet und sich und seinen Leuten exorbitante Saläre zuschanzt.
Und wenn Kielholz mit einem Gehalt von 8,5 Millionen Franken im Jahr 2004 auf der Titelseite des «Blick» verkündet: «Von Gier kann keine Rede sein», braucht er sich nicht zu wundern, dass der Berufspolemiker und SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli umso wilder seine verbale Moralkeule herumschwingt: «Kielholz liess sich sein Lebenswerk mit weit über 100 Millionen vergolden. Sein todsicheres Rezept: Von zwei Firmen kassieren, links reden, rechts abzocken.»
Permanente Belastung eines Verwaltungsrats
Kielholz schüttelt den Kopf: «Schön wärs. Aber dazu sage ich nichts. Das ist mir zu blöd.» Nach einer Weile Überlegen fragt er: «Glauben Sie, früher waren die Lohnunterschiede kleiner? Die Verwaltungsräte haben ihre Tantiemen kassiert, nur hat man darüber nicht gesprochen. Oder haben Sie das Gefühl, all die Villen am Zürichsee seien mit dem Sparbüchlein entstanden?», fragt er in breitestem Zürcher Dialekt. «Im internationalen Vergleich stehe ich an der unteren Grenze», meint Kielholz. Er betont, dass die permanente Belastung eines Verwaltungsrats heute enorm geworden sei.
Die Einschätzung steht in krassem Gegensatz zur Aussage seines früheren Untergebenen Oswald Grübel. Der sagte einmal, Verwaltungsräte würden sich massiv überschätzen. Zwischen den beiden Alpha-Tieren besteht seit Jahren eine Art Hassliebe. Beide haben voneinander profitiert, wenngleich es Kielholz war, der den ambitionierten Grübel als CS-Präsidenten mit verhinderte.
In die Karriere hineingerutscht
Im Gespräch gibt sich der 60-jährige Stadtzürcher jovial und gemütlich. Nicht ungern kokettiert er mit seiner Karriere und versichert, dass er sie nie gesucht habe. Vielmehr sei er in sie hineingerutscht. Die anderen, erzählt er, seien immer «hinter den Säulen verschwunden», wenn es einen neuen Chef gebraucht habe. Das mag aufopfernd klingen, doch rein zufällig ist Kielholz wohl auch nicht zu einem der einflussreichsten Wirtschaftsmagnaten avanciert.
Seine schiere Machtfülle ist so vielgestaltig wie der Blick durch ein Kaleidoskop: Banker, Versicherer, Kunstförderer, Mitglied der Altherren-Zunft zur Meisen, des Rotary Clubs und der Denkfabrik Avenir Suisse. Obendrein sitzt er in unzähligen internationalen Gremien wie dem Institute of International Finance oder einer Erfahrungsgruppe, die den Bürgermeister von Schanghai berät. 2005 wurde er sogar in die Insurance Hall of Fame aufgenommen.
Er wollte Hoteldirektor werden
Ursprünglich wollte Kielholz Hoteldirektor werden, weil sein Vater gerne in schönen Hotels Ferien machte. Später schrieb er Theaterkritiken und zog eine diplomatische Karriere in Betracht. Am Ende riet ihm sein Vater, der als Unternehmer in der Textilbranche tätig war, zum Studium der Betriebswirtschaft an der Hochschule St. Gallen. Einige Jahre arbeitete er beim Schweizerischen Studentenreisedienst SSR, bevor er 1976 beim Rückversicherer General Re anheuerte. Später wirkte er als Galerist, wechselte dann aber zur CS, 1989 zur Swiss Re.
Man könnte behaupten, Kielholz habe seinen Durchbruch vor allem einer Person, seinem einstigen Kameraden aus dem Gymnasium, zu verdanken: Lukas Mühlemann. Im Jahr 1996 steht Josef Ackermann an der Konzernspitze der CS, während die Swiss Re unter den Fittichen von Mühlemann steht. Als sich Ackermann mit CS-Übervater Rainer E. Gut verkracht, transferiert Gut den Vorzeigemanager Mühlemann zur CS. Kielholz erklimmt so die Spitze der Rück - 1999 schafft er es auch in den Verwaltungsrat der CS, dem er heute noch als gewöhnliches Mitglied angehört.
Kaum im Amt kam ein neues Bonusprogramm
Im Jahr 2003 hält Mühlemann erneut die Steigbügel bereit. Nach dem Swissair-Debakel muss er gehen. Weil der vom CS-Verwaltungsrat portierte Nestlé-Chef Peter Brabeck auf keinen Fall das Präsidium übernehmen will, wird Kielholz dazu verknurrt. «Er hatte die schlechtesten Ausreden», sagt einer, der damals dabei war. Kaum im Amt, führt er ein neuartiges Bonusprogramm ein, damit die besten Leute nicht abspringen. Geld gibt es erst nach fünf Jahren. Noch ahnt niemand, was das Programm dereinst auslösen wird. Tatsächlich führt der überraschend gute Geschäftsgang dazu, dass CS-Chef Dougan mehr als 70 Millionen Franken einstreicht - Kielholz wird zum Buhmann. Später sagt er, das Entschädigungspaket sein ein Fehler gewesen.
Die Wirren der Subprime-Krise meistert der Konzern zwar gut, doch muss er sich nach dem Kollaps der US-Bank Lehman Brothers vorwerfen lassen, Anleger mit riskanten Finanzprodukten über den Tisch gezogen zu haben. In die Amtszeit von Kielholz fällt auch die Fusion der CS-Privatbankentöchter zur Clariden Leu; ein Projekt, das am Ende zur Aufgabe der ältesten Schweizer Bankmarke Leu führt.
Hilfe von Warren Buffett
Dass die UBS in jener Zeit tiefer im Sumpf steckt und der damalige CS-Chef Oswald Grübel mit seiner kauzigen Art für mehr Aufsehen sorgt, kommt Kielholz gelegen. Doch während die CS die Klippen der Krise umschiffen kann, schlittert die Swiss Re, wo Kielholz von 2003 bis 2009 als Vizepräsident die Strategie mitverantwortet, umso ärger ins Verderben.
Der Rückversicherer hat sich mit Finanzderivaten verspekuliert und droht bankrott zu gehen. Der Börsenwert schrumpft zeitweilig um mehr als 80 Prozent. Die Wut der Aktionäre ist gigantisch, der Druck auf Kielholz immens. Doch wieder ist es dieser Hang zum Machiavellistischen, der Kielholz vor Schlimmerem bewahrt. Nicht er, sondern Verwaltungsratspräsident Peter Forstmoser geht, während Kielholz das Zepter übernimmt.
Verdacht alter Seilschaften
Sogleich lässt er seine Beziehungen spielen. Mittels einer 3 Milliarden schweren Wandelanleihe hilft Uralt-Investor Warren Buffett aus der Patsche. Kaum überm Berg, kann es Kielholz nur recht sein, wenn die Swiss Re mit einigen Verbündeten aus CS-Zeiten bestückt wird. Sukzessive wechseln David Blumer, Thomas Wellauer und Renato Fassbind zum Rückversicherer, sodass sich Kielholz dem Verdacht aussetzt, alte Seilschaften zu alimentieren. Ende 2011 quittiert Konzernchef Stefan Lippe den Dienst.
Nun hört Kielholz zusammen mit Nestlé-Chef Peter Brabeck auch bei der Credit Suisse auf. «Walter Kielholz und Peter Brabeck haben als grosse Führungspersönlichkeiten innerhalb eines starken Verwaltungsrates die Credit Suisse während eineinhalb Jahrzehnten geprägt», kommentiert CS-Präsident Urs Rohner.
«Nur Golf zu spielen, kann ja keine Alternative sein»
Kielholz wird aber nicht ruhen. Bei der Swiss Re bleibt er noch mindestens bis 2015 Präsident. Und auch wenn er dann zurücktritt, wird er weitermachen. «Man muss ja etwas Gescheites anfangen mit seiner Zeit. Nur Golf zu spielen, kann ja wohl keine Alternative sein», sagt er und erwähnt, dass sein Vater bis 80 gearbeitet habe. «Im Prinzip könnte ich noch eine neue Karriere anfangen», sagt einer der mächtigsten Manager im Lande. Das wäre dann eine ganz grosse Überraschung.