Die Schweiz ist wie ein Millionär, der das Matterhorn besteigen will. Er übernachtet in Zermatt im Luxushotel. Aber weil er untrainiert ist, schafft er den Aufstieg auf den Berg nicht.» Der das sagt, gilt als Enfant terrible der Nation: Mit einer Flut von Sachbüchern schreibt Walter Wittmann an gegen die direkte Demokratie, den Föderalismus, die Trägheit der Schweiz und den Staatsprotektionismus. «Der Schweiz geht es nicht schlecht», gibt der emeritierte Wirtschaftsprofessor zwar zu. «Aber in 30 Jahren ist das Land kaum vorwärts gekommen. Uns fehlt das Fundament für einen langfristigen Aufschwung», ist er überzeugt. Dieses Fundament ist laut Wittmann nur durch eine bedingungslose Öffnung des Schweizer Binnenmarktes, eine Reform der Sozialwerke sowie eine Öffnung gegenüber der Europäischen Gemeinschaft zu er-

reichen.

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Doch als wichtigste Voraussetzung für mehr Wachstum in der Schweiz gilt seines Erachtens der Wettbewerb. «Nur Wettbewerb fördert Innovation. Und Innovation führt zu einem Wachstum, das nicht einmal durch eine hohe Steuerbelastung gedämpft werden kann», glaubt er.



Viel Lärm um wenig

Tatsächlich sind die Volkswirtschaften in den stark liberalisierten Hochsteuerländern Dänemark, Norwegen und Schweden massiv stärker gewachsen als die Wirtschaft in der Schweiz. Im vergangenen Jahr 3,3, 4,2 respektive 2,9% gegenüber 2% Wachstum in der Schweiz. Ausserdem wird – im Verhältnis zum BIP – in Dänemark und Schweden so viel Geld wie nirgends sonst in Europa über Private Equity investiert. Allerdings: Um überhaupt etwas in Gang setzen zu können, ist nach Ansicht des Ökonomen erst einmal eine Steuersenkung angesagt. «Nur so», meint Wittmann, «können mehr Mittel für Forschung und Entwicklung freigesetzt werden.»

Gegenwärtig hämmert die Schweizer Steuerpolitik auf verschiedensten Baustellen: Die Unternehmenssteuerreform II soll Aktionäre durch eine Dividendenteilbesteuerung entlasten und die Möglichkeit schaffen, die Gewinnsteuer an die Kapitalsteuer anzurechnen. Weiter brachte Bundesrat Hans-Rudolf Merz im Steuerstreit mit der EU kürzlich die Idee einer «autonomen Steuerreform» auf. Diese sollte die Gewinnsteuer auf Bundesebene senken.

Ausserdem steht die Einführung eines Einheitssatzes für die Mehrwertsteuer zur Diskussion. Und schliesslich prüfen mehrere Kantone die Einführung von Flat-Rate-Tax-Modellen bei der Einkommenssteuer. Diese sollen mit einem einheitlichen Besteuerungssatz an die Stelle der progressiven Besteuerung treten.

Eigentlich ein Schlaraffenland für Wittmann. Doch weit gefehlt: «Das kommt alles nicht durch», prophezeit der umtriebige Rentner und verweist darauf, dass die Unternehmenssteuerreform bereits seit den 1960er Jahren diskutiert wird. Zudem bemängelt er, dass das Flat-Rate-Tax-Modell, wie es im Kanton Obwalden eingeführt werde, kein echtes sei. Denn hier werde es weiterhin eine Progression in den unteren Einkommensklassen geben.



Sozialstaat soll nur ergänzen

«Keine Doppelbesteuerung, keine Ehepaarbesteuerung und keine Progression» hält Wittmann für das einzig richtige Rezept. Aber eigentlich würde der Anhänger des Ordoliberalismus – der Lehre von der Demonopolisierung und der sozialen Marktwirtschaft also – gerne noch weiter gehen.

Etliche der heute erhobenen Steuern müssten seines Erachtens abgeschafft werden. «Vermögenssteuern, Emissionsabgaben, Doppelbesteuerungen der Gewinne oder Stempelsteuern und Eigenmietwert sind ungerechtfertigt», findet der Professor.

Mit dieser Aussage stützt er sich auf Adam Smith, den Vater der klassischen Nationalökonomie. Dieser stellte im Jahr 1776 vier Grundsätze zur Besteuerung auf: Die Gleichmässigkeit der Steuern im Verhältnis zum Einkommen, die Transparenz über Zahlungstermin, -art und -betrag, die für die Bürger bequemste Art der Erhebung und möglichst tiefe Kosten, wenn Steuern erhoben werden. «Steuern auf das Kapitalverkehrssystem sind hier nicht vorgesehen», poltert Wittmann.

Das Argument der steigenden Sozialkosten lässt er nicht gelten. «Ich bin gegen den Wohlfahrtsstaat. Ich bevorzuge einen Sozialstaat als Ergänzung zum Markt», sagt Wittmann. Am liebsten würde er alle Sozialwerke zu einem zusammenstreichen und dieses als «Einkommensausfallversicherung» betiteln.

Will heissen: Wohlfahrtsleistungen würden nur noch jenen Menschen gewährt, die unter einem bestimmten Existenzeinkommen liegen. Alle anderen müssten selbst für ihr Alter, ihre Gesundheit oder eine allfällige Invalidität sparen. Staats- und Arbeitgeberbeiträge gäbe es nicht mehr. Alle Leistungen würden nur mehr durch die Beiträge der Erwerbstätigen finanziert.

Den Einwand von massiven Finanzierungslücken wischt Wittmann vom Tisch. «Wenn die Sozialwerke einmal bankrott gehen, werden selbst diejenigen nichts mehr kriegen, die auf die Mittel angewiesen sind. Deshalb müssten wir jetzt etwas tun», warnt er und verweist darauf, dass nach Berechnungen des Bundesamtes für Sozialversicherungen der AHV-Fonds im schlimmsten Fall bereits im Jahr 2017 in die roten Zahlen kippen kann.

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Serie: Reformdebatte (1) – Walter Wittmann

Der Artikel über die Reformideen von Walter Wittman für das Schweizer Steuersystem ist der Beginn einer Serie. Nächste Woche stellt die «Handelszeitung» die Reformideen von George Sheldon, Ökonomieprofessor an der Universität Basel, für den Schweizer Arbeitsmarkt vor.

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Fakten: Zur Person

Walter Wittmann: Der emeritierte Professor für öffentliche Finanzen der Universität Freiburg ist auch Autor diverser Sachbücher, unter anderem von «Der nächste Crash kommt bestimmt», «Helvetische Schlagworte», «Helvetische Mythen und «Direkte Demokratie». Wittmann ist 72 Jahre alt.



Das Steuersystem

Die Probleme: Die Schweiz muss für ihre steuerliche Attraktivität kämpfen. Als eines der letzten OECD-Länder führt sie noch eine Doppelbesteuerung bei ausgeschütteten Unternehmensgewinnen. Die SP hat gegen eine Minderung dieser Steuerbelastung auf Bundesebene das Referendum ergriffen. Im Bereich der Privatsteuern behindert der Bundesgerichtsentscheid gegen das degressive Einkommensbesteuerungsmodell des Kantons Obwalden weitere Reformvorschläge: Es ist zu erwarten, dass diese künftig alle auf ihre Verfassungskonformität überprüft beziehungsweise angepasst werden müssen.

Wittmanns Lösungen

• Doppelbesteuerung vollständig aufheben.

• Keine Besteuerungen im Kapitalverkehr.

• Ehepaarbesteuerung zu Gunsten einer Individualbesteuerung oder eines Vollsplittings aufheben.

• Proportionale Einkommenssteuern.

• Mehrwertsteuer mit einem einzigen Satz ohne Ausnahmen.

• Wohlfahrtsstaat zu einem Sozialstaat mit rein subsidiärem Charakter umstrukturieren.