Als gestern das Zurich Film Festival (ZFF) für zehn Tage seinen grünen Teppich beim Sechseläutenplatz ausrollte, da hatte NZZ-Chef Veit Dengler einen Logenplatz. Er kann von seinen Bürofenstern aus dem Treiben zusehen und schauen, wie sich das jüngste Mitglied in seiner NZZ-Familie entwickelt. Dengler ist überzeugt, mit dem Kauf des ZFF ein gutes Geschäft gemacht zu haben. Vielleicht auch deshalb, weil sich seit Bekanntgabe des Deals alle bei ihm melden und Tickets von ihm wollen, wie er schmunzelnd erklärt.
Gegründet wurde das Zurich Film Festival 2005 von Nadja Schildknecht und Karl Spoerri, 2008 stieg als «stiller Gesellschafter» Thomas Sterchi ein, der Gründer des Stellenportals Jobs.ch, der mit Spoerri auch die in der Zwischenzeit operativ stillgelegte Filmproduktionsfirma Millbrook betrieb. «Hier habe ich mein Lehrgeld bezahlt, aber immerhin hat uns Millbrook ein paar Türen in Hollywood geöffnet, wovon letztlich auch das Zurich Film Festival profitieren konnte», sagt Sterchi.
Zwei Aktiengesellschaften
Jetzt geben die drei ZFF-Besitzer die Mehrheit an die NZZ ab. «Wir wollten die Verantwortung für das Festival breiter abstützen, damit dessen Zukunft langfristig gesichert bleibt», erklärt Spoerri.
Die meisten Filmfestivals werden von Trägervereinen oder Stiftungen geführt, doch die drei ZFF-Besitzer schlugen einen anderen Weg ein. Sie wandelten Ende April ihre Spoundation Motion Picture GmbH in zwei Aktiengesellschaften um: in die nicht gewinnorientierte Zurich Film Festival AG und die Vermarktungsgesellschaft Spoundation Motion Picture AG.
Ende August haben sie nun je 52 Prozent der beiden Aktiengesellschaften an die NZZ verkauft. Schildknecht, Spoerri und Sterchi, die bis dahin je ein Drittel am ZFF besassen, bleiben Minderheitsaktionäre und halten je 16 Prozent. Über den Kaufpreis wurde Stillschweigen vereinbart. Sterchi betont nur, dass der Erlös «im Verhältnis» zu seinem Investment ins ZFF stehe. «Ich bin zufrieden.»
Auch Ringier war interessiert
Die NZZ-Gruppe war nicht die einzige Interessentin. Gemäss Informationen der «Bilanz» hätte auch Ringier das ZFF gerne gekauft. Ringier-Konzernchef Marc Walder soll vier Monate mit der Festivalleitung verhandelt und sich danach zurückgezogen haben.
Zwei Gründe sollen ihn abgeschreckt haben: die zu hohe Preiserwartung der ZFF-Spitze sowie die starke Abhängigkeit des Festivals von den beiden prägenden Personen Spoerri und Schildknecht, die über ein unverzichtbares Kontaktnetz verfügen – er in der Filmindustrie, sie in der Welt der Sponsoren. Weder der Ringier-Konzern noch Spoerri wollten sich dazu äussern.
Schrittweise Übernahme
Bei der NZZ hat man sich abgesichert. Spoerri und Schildknecht haben Mehrjahresverträge erhalten und werden die nächsten Jahre an Bord bleiben. Vielleicht fünf Jahre, so war es jedenfalls beim Swiss Economic Forum (SEF). Die Mediengruppe hatte 2011 zuerst 33 Prozent des Wirtschaftsanlasses in Interlaken erworben und danach ihren Anteil sukzessive erhöht. Im Juni 2015 gaben die beiden SEF-Gründer Stefan Linder und Peter Stähli die operative Leitung ab, im Juli 2016 ihr letztes Aktienpaket und ihre Verwaltungsratssitze. Jetzt gehört das SEF zu 100 Prozent der NZZ. Ein Modell, das der Medienkonzern wohl auch für die vollständige Integration des ZFF verfolgt.
Erste Schritte sind bereits eingeleitet: Monica Dell’Anna, die Mitte März von der BKW-Geschäftsleitung zur NZZ gekommen ist und die Sparte Business Medien führt, übernimmt das ZFF-Präsidium, ebenfalls vom NZZ-Konzern Einsitz nehmen Caroline Bjönness-Vetter und Steven Neubauer. Die Minderheitsaktionäre sind mit Schildknecht, Spoerri und Beat Arnold, dem Finanzchef von Sterchis Firmengruppe Tom Talent, vertreten.
Zuschauerzahl hat sich verzehnfacht
Eines ist klar: Dengler hat mit dem Zürcher Filmtreffen noch einiges vor. «Da hat es Potenzial nach oben», wie er sagt. Das heisst: Das Festival muss wachsen. Und das sei auch möglich. Der Ort sei perfekt. In der Tat hat Zürich im Bereich der Infrastruktur alles zu bieten, was eine Stippvisite für Stars und Sternchen attraktiv macht: einen grossen internationalen Flughafen und eine breite Hotelauswahl.
Und Zürich hat einen weiteren Trumpf: den Kalender. Der Kinoherbst steht vor der Tür, die Hollywood-Aushängeschilder sind auf Promo-Tour durch Europa für ihre neusten Streifen und machen Stopps an den Filmfestivals von San Sebastián und Zürich, wie dieses Jahr etwa der Schauspieler Hugh Grant oder der Regisseur Oliver Stone.
Das gefällt auch dem Publikum. Seit den Anfängen des Festivals hat sich die Zuschauerzahl auf rund 85'000 verzehnfacht, das Budget ist von ursprünglich unter 500'000 auf über 7 Millionen Franken geklettert. Über die Hälfte des Budgets stammt heute von der fast nicht enden wollenden Liste der Sponsoren, vor allem von den vier Hauptpartnern UPC, BMW, Etihad Airways – und natürlich der Credit Suisse, die von Schildknechts Lebenspartner Urs Rohner präsidiert wird. In der Filmbranche spottet man deshalb gerne über den «CS-Anlass» oder das «Sponsoren-Festival».
Begehrte Kultursubventionen
Das Zurich Film Festival ist zu einem «vergleichsweise kleinen Teil» von öffentlichen Geldern abhängig, wie Karl Spoerri betont. Auch Dengler betont den hohen Eigenfinanzierungsgrad. Doch trotz der verbalen Distanzierung: Letztlich hätten die Festivalbesitzer gerne mehr Geld vom Staat erhalten.
Als jedenfalls das Bundesamt für Kultur (BAK) diesen Sommer bekannt gab, dass es den jährlichen Fixbetrag für das ZFF für die Jahre 2017 bis 2020 von 150'000 auf 250'000 Franken erhöhen werde, reagierten Spoerri und seine Mitstreiter nicht etwa erfreut, sondern enttäuscht. Sie hatten mehr beantragt, schätzungsweise doppelt so viel. Ihre Argumentation: Gemessen an den Besucherzahlen sei das Zürcher Festival nach Locarno die Nummer zwei in der Schweiz, also hätte es auch den zweithöchsten Subventionsbeitrag verdient. Das BAK sieht es anders und gibt dem Filmfestival von Locarno mit jährlich 1,51 Millionen Franken, dem Dokumentarfilmfestival Visions du Réel in Nyon mit 530'000 und den Solothurner Filmtagen mit 440'000 Franken deutlich mehr Kulturgelder.
Im laufenden Jahr steuert die öffentliche Hand insgesamt 810'000 Franken oder gut elf Prozent zum ZFF-Budget bei: Die Stadt Zürich gibt mit 350'000 Franken den grössten Brocken. Der Kanton zahlt 250'000 und der Bund 210'000 Franken – nebst dem Fixbetrag von 150'000 nochmals 60'000 Franken für spezielle Projekte. Doch diese Gelder sind jetzt durch den Eigentümerwechsel gefährdet. Beim Kanton Zürich seien die Abklärungen «noch ganz am Anfang», hält Madeleine Herzog fest, Direktorin der Fachstelle Kultur.
Nicht gewinnorientiertund unabhängig
Bei der Stadt Zürich prüften die Juristen, ob es aufgrund des Besitzerwechsels für die versprochenen Unterstützungsbeiträge bis 2018 einen neuen Beschluss des Stadtparlaments brauche, sagt Sprecher Nat Bächtold. Und er ergänzt: «Für die Stadt Zürich ist wichtig, dass in den Statuten der Zurich Film Festival AG steht, dass die AG keinen Gewinn ausschüttet und dass die künstlerische Freiheit des Festivals gewährleistet ist.»
An detaillierteren Informationen interessiert ist man auch beim zuständigen Bundesamt für Kultur. Die Verordnung über die Filmförderung hält fest, dass Bundesgelder nur an Institutionen ausbezahlt werden können, die «bei ihrer Tätigkeit programminhaltlich und redaktionell unabhängig sind von Unternehmen, die Filme oder audiovisuelle Medieninhalte produzieren, mitfinanzieren, bewerben oder auswerten» und die «selber keine zur Auswertung bestimmte Filme oder audiovisuelle Medieninhalte produzieren, mitfinanzieren oder bewerben».
Klärungesbeadarf
Hier gibt es ein paar Fragezeichen. Immerhin stellt die NZZ-Gruppe durchaus audiovisuelle Inhalte her – auf NZZ.ch, aber auch mit «NZZ Format» oder «NZZ Standpunkte» für das Fernsehen. Jedenfalls besteht Klärungsbedarf, ein Treffen zwischen der Festivalleitung und dem Bundesamt ist bereits anberaumt und soll nach der ZFF-Ausgabe 2016 stattfinden, wie BAK-Filmchef Ivo Kummer ausführt.
Spoerri und Dengler betonen, dass sich durch den Besitzerwechsel faktisch nichts ändere. Und dass die ZFF AG nicht gewinnorientiert sei und ein Dividendenausschüttungsverbot habe. Zudem heben sie den «Kulturauftrag» hervor, den sie erbringen – für den Film im Allgemeinen und den Schweizer Film im Speziellen. Und sie sehen ihr Festival auch als «Standortfaktor» für Zürich.
Defizitgeschäft Filmfestival
Es ist nun mal so: Mit Filmfestivals verdient man kein Geld, es ist ein Defizitgeschäft. Aus diesem Grund braucht es ja die staatlichen Subventionen. Deshalb wundern sich viele über das neue «seltsame Paar» der Schweizer Medien- und Kulturwelt und fragen sich, welche Ziele die NZZ mit dieser Übernahme verfolgt. Ein Manager mutmasst, dass es Geschäftsleuten beim Film vielleicht so ergehe wie bei Flugzeugen: «Können sie hier investieren, dann verlieren sie ihren profitorientierten Sachverstand.»
Dengler glaubt, dass die Rechnung aufgeht. Das Festival werde nun in die Sparte Business Medien integriert, wo der Traditionsverlag Fachpublikationen wie die «Textil-Revue», Informationsdienste wie Moneyhouse und eben Veranstaltungen wie das SEF bündelt. Und diese Sparte müsse «ihre Kapitalkosten verdienen» – genauso wie die beiden anderen Geschäftsbereiche, NZZ Medien und Regionalmedien.
Für Dengler sind Veranstaltungen – nebst Print und Online – eine andere Form von Journalismus. Er spricht von «Live Journalism», der letztlich ebenfalls auf der Kombination von NZZ-Analysekompetenz und aktuellen Themen aus den Bereichen Wirtschaft, Finanzen oder Kultur beruhe. Und er verspricht, dass auch hier die journalistische Unabhängigkeit gewahrt werde.
Kritik gegnüber NZZ
Doch so einfach ist das nicht mit der Medienfreiheit. Bereits als die NZZ zusammen mit dem ZFF im Frühjahr 2014 die Filmzeitschrift «Frame» lancierte, rümpften viele in der kleinen und zuweilen auch überskeptischen Schweizer Filmszene die Nase. Jene, die in «Frame» das Propaganda-Vehikel des ZFF gegen die unliebsame Konkurrenz sahen, fanden genug Stoff für ihre Befürchtungen. So etwa durch einen Artikel Anfang 2015, als die «NZZ am Sonntag» schrieb, die Solothurner Filmtage «sind überflüssig». Oder diesen August, als die NZZ die Programmation auf der Piazza Grande von Locarno als «Erziehungsprogramm» geisselte.
Dengler verweist darauf, dass in den vergangenen Monaten in den verschiedensten NZZ-Medien etliche positive Artikel zu Locarno und anderen Festivals erschienen sind, und er versichert, dass ihre Filmredaktionen auch in Zukunft keine Weisungen von oben erhalten würden. Doch das ungute Gefühl kann er damit nicht ganz beiseiteschaffen, auch wenn er beteuert, dass er schon mehrfach unzufriedenen Anzeigenkunden, die sich bei ihm über die NZZ-Berichterstattung beschwert hatten, habe erklären müssen, dass er ihnen hier nicht helfen könne.
Veit Dengler ist sichtlich stolz auf seine Akquisition. «Das ZFF gehört zu Europas Top 10 der Filmfestivals», sagt er mit Verweis auf seine Kontakte in die Filmindustrie, die er noch aus seinen McKinsey- Zeiten hat. Und sollte er noch ein paar Tickets übrig haben, Abnehmer findet er bestimmt genug.