Die Fusion zwischen der Bahntechniksparte von Siemens – Siemens Mobility – und Alstom droht zu scheitern. Nun schalten sich Deutschland und Frankreich ein, um EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager von einem Verbot abzuhalten.
Im September 2017 hatten der deutsche ICE-Hersteller Siemens und der französische TGV-Produzent Alstom ihre Fusionspläne für einen «europäischen Champion» bekanntgegeben, um der wachsenden Konkurrenz durch den chinesischen Weltmarktführer CRRC standzuhalten. Mit einem Umsatz von rund 15 Milliarden Euro wäre das neue Unternehmen etwa halb so gross wie CRRC.
Doch die Europäische Kommission könnte die Fusion der beiden führenden europäischen Zughersteller verbieten, denn sie sieht den Wettbewerb gefährdet. Zudem befürchten die Wettbewerbshüter weniger Innovationen und Anbieter und letztlich höhere Preise für europäische Konsumenten.
Seit rund einem halben Jahr prüft die Europäische Kommission den geplanten Zusammenschluss eingehend. Besonders kritisch ist die Behörde gegenüber der Zusammenlegung der Hochgeschwindigkeitssparte. Doch auch bei der Signaltechnik würde das neue Unternehmen den Markt in einigen Ländern dominieren und einen Marktanteil erreichen, der dreimal grösser als der des nächsten Wettbewerbers wäre. Ausserdem schätzt die Europäische Kommission den europäischen Markteintritt globaler, insbesondere chinesischer Konkurrenten als unwahrscheinlich ein.
Genau davor wollen sich die beiden europäischen Marktführer wappnen: Konkurrenz durch den chinesischen Staatsriesen CRRC. Der Umsatz des grössten Zugherstellers der Welt liegt bei rund 30 Milliarden Dollar im Jahr. Im Vergleich: ICE-Hersteller Siemens erzielt über 8 Milliarden Euro – und ist damit weltweit an zweiter Stelle – gefolgt von Alstom mit knapp 7 Milliarden Euro. Viertgrösster Bahntechnikkonzern der Welt ist Bombardier aus Kanada. Der Schweizer Hersteller Stadler Rail spielt mit einem Umsatz von 2,4 Milliarden im Jahr 2017 auch in den Top Ten weltweit mit.
Für Stadler Rail interessant
Im Dezember stellte die EU-Kommission Auflagen an die beiden Unternehmen. Um den Zusammenschluss zu genehmigen, müssten sie gewisse Geschäftsbereiche an Konkurrenten verkaufen. Dies betrifft insbesondere die Signaltechnik – andere Zughersteller bringen sich schon in Stellung. So soll etwa Stadler Rail bereits ein Gebot unterbreitet haben. Das Thurgauer Unternehmen hat dies zwar nicht bestätigt, aber laut Medienberichten dürfte sich Stadler um die Zugleitsysteme bemühen. Für den Schweizer Konzern wäre dieser Zukauf von Signaltechnik ein sehr grosser Deal. Das Geld dafür könnte er durch den Gang an die Börse erhalten: Bekanntlich liebäugelt CEO Peter Spuhler mit einem IPO.
Siemens und Alstom haben der Kommission angeboten, Teile des Signaltechnikgeschäfts zu verkaufen und der Konkurrenz Technologie für den Bau von Hochgeschwindigkeitszügen zur Verfügung zu stellen. Zu den grössten Zugeständnissen sind beide Unternehmen bei der Signatechnik bereit – in diesem Bereich gilt der Wettbewerb in Europa als vergleichsweise schwach: Siemens hat Veräusserungen im Wert etwa 600 Millionen Euro angeboten – rund 4 Prozent des Umsatzes des neuen Unternehmens.
Bisher reichen der EU-Kommission diese Zugeständnisse wohl nicht, sie fordert laut Insidern auch Zugeständnisse im Bereich der Hochgeschwindigkeitstechnik. Siemens habe zwar dem Verkauf seiner älteren Velaro-Technologie, die beispielsweise im ICE der dritten Generation zum Einsatz kommt, zugestimmt. Doch die Kommission will, dass die Konzerne der Konkurrenz Zugriff auf neuere Technologien für den Bau von Hochgeschwindigkeitszügen für zehn Jahre gewähren und die Technik selbst nicht nutzen.
Scheitert die Fusion, hätte das kurzfristig wahrscheinlich wenig Auswirkungen auf die Unternehmen. Sowohl Alstom als auch Siemens Mobility stehen wirtschaftlich gut da: Beide steigerten Umsatz und Ergebnis zuletzt deutlich. Siemens erwägt für den Fall des Scheiterns unter anderem den Börsengang für die Zugsparte Siemens Mobility. Dies sagte Siemens-Chef Joe Kaeser letzte Woche am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos.
Politik greift ein
Mittlerweile hat sich auch die Politik aktiv eingeschaltet. Vor einigen Tagen trafen sich Wirtschaftsminister Bruno Le Maire und EU-Kommissarin Marghrete Vestager. Ob der Einsatz zu spät kommt? Bisher hatte die Kommissarin keine Anzeichen gemacht, dem Druck der beiden Regierungen nachzugeben. Man könne keine Champions aufbauen, indem man den Wettbewerb unterminiere, hat Vestager immer wieder gesagt. «Wir haben uns die chinesische Präsenz im Markt genau angesehen. Alstom und Siemens aber sind bereits Weltmeister in ihrem Geschäft, nicht nur Europameister».
Zudem ist die EU-Kommission nicht die einzige skeptische Wettbewerbsbehörde in dieser Sache: Auch das deutsche Bundeskartellamt äusserte Bedenken gegen das Vorhaben – ebenso wie Behörden in Spanien, Belgien, den Niederlanden und Grossbritannien.
Um die Fusion zu retten, haben Alstom und Siemens nun doch noch etwas eingelenkt und weitere Zugeständnisse gemacht. Der französische Konzern hat dies heute bestätigt, ohne weitere Details zu nennen: Das neue Paket erhalte den «wirtschaftlichen und industriellen Wert des Zusammenschlusses». Das heisst, dass Siemens und Alstom Verkäufe im Wert von 4 Prozent des neuen Unternehmens tätigen, darunter weitere Signaltechnik-Geschäfte. Laut «Reuters» seien beide nun Konzerne zudem bereit, ihre Technologie für zehn Jahre und ausserhalb Europas zu lizensieren.
Spannung auch in der Schweiz
Ob die neuen Zugeständnisse ausreichen, ist unsicher. Der französische Finanzminister Le Maire zeigt sich am Sonntag gegenüber dem Radiosender «France Inter» zuversichtlich. Und EU-Kommissarin Vestager versichert, die neuen Vorschläge zu prüfen. Ob sie ihre Meinung nochmals ändert, ist jedoch fraglich. Denn gemäss EU-Regeln müssten die Wettbewerbsbedenken komplett ausgeräumt werden, um die Europäische Kommission zu diesem späten Zeitpunkt überhaupt noch zu überzeugen.
Nun bleibt wohl nur die Entscheidung in rund drei Wochen abzuwarten. Das Ergebnis dürfte nicht nur in Deutschland und Frankreich mit Spannung erwartet werden, mit Stadler Rail hat auch ein Schweizer Unternehmen Interesse an der Fusion.