Sie sagt gerne, was sie denkt. Und das am liebsten in kurzen, direkten Sätzen. So antwortete die BKW-Chefin Suzanne Thoma auf die Frage, ob der Kanton Bern die Aktienmehrheit am Stromkonzern verkaufen solle, ohne Umschweife mit: «Oui, j’y suis favorable» – ja, ich bin dafür. Ein Tabubruch, monieren Kritiker. Es gehöre sich nicht, dass leitende Angestellte sich zu den Eigentumsstrukturen äussern. Insbesondere nicht bei Unternehmen, die sich ganz oder mehrheitlich im Besitz der öffentlichen Hand befinden.

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Gegenüber «Le Matin Dimanche» sprach Thoma erstmals öffentlich aus, was sie im direkten Gespräch schon mehrmals angedeutet hatte. Und nicht wenige sind ihr dankbar dafür. Denn sie hat gewagt zu sagen, was viele nur denken: dass die Zeit vorbei ist, in der die von der öffentlichen Hand kontrollierten Konzerne alles gleichzeitig sein können – nimmermüde Dividendenlieferanten, sozialpartnerschaftliche Musterschüler, regionalpolitische Vorzeigeunternehmen und dankbare Vehikel für die Umsetzung allerlei politischer Ideale.

Schrumpfende Gewinne

Nicht bei allen Staatskonzernen ist der Drang – oder die Notwendigkeit – zu mehr Freiheit gleich stark ausgeprägt. Die Fesseln lösen wollen nebst der BKW heute vor allem die Ruag und die Postfinance. Die konkreten Gründe dafür sind je nach Unternehmen sehr unterschiedlich, doch es gibt auch Parallelen. So sehen alle drei Firmen in ihrem angestammten Geschäft die Gewinne schrumpfen: Im Zinsdifferenzgeschäft schmelzen die Margen dahin, die Stromproduktion ist wegen der tiefen Preise gar defizitär – und das Rüstungsgeschäft wird durch immer neue Restriktionen eingeschränkt.

Seit der Bundesrat in seinen neusten strategischen Zielen für die Ruag festgeschrieben hat, dass der Rüstungskonzern «unabhängig vom Standort der Geschäftseinheiten im Einklang mit den Grundsätzen der schweizerischen Aussenpolitik, namentlich in Bezug auf die Ausfuhr von Kriegsmaterial und doppelt verwendbaren Gütern», tätig sein müsse, hat der Umsatz mit den militärischen Gütern noch stärker abgenommen als zuvor schon und beträgt heute noch rund 40 Prozent. Tendenz sinkend.

Ruag
Quelle: Bilanz

Neue Etragsquellen

Die Märkte der genannten Unternehmen haben sich in den letzten Jahren radikal verändert, ihre Geschäftsmodelle wurden auf den Kopf gestellt. Also sind neue Ertragsquellen gefragt. Doch spätestens hier fangen die Schwierigkeiten an: Suzanne Thomas Expansion ins Dienstleistungsgeschäft wird von konstanter Kritik insbesondere aus Gewerbekreisen begleitet, Postfinance-Chef Hansruedi Köng leidet angesichts der Tiefst- und Negativzinsen immer stärker unter dem im Gesetz verankerten Kreditverbot. Und Ruag-Lenker Urs Breitmeier wird etwa mittels rigiderer Vorgaben zur Verschuldung daran gehindert, Investitionen zu tätigen, welche die Ruag vor allem in ihren zivilen Kompetenzbereichen Weltraum, Cybersecurity und Flugzeugbau vornehmen möchte.

Die Ruag müsse die Gelder dort investieren, wo sie auch eine Chance sehe, Gewinne erwirtschaften zu können, betont Breitmeier. Das sieht auch Thoma so und baut mittels Zukäufen ihre BKW weiter um – vom Strom- zum Dienstleistungsunternehmen. In den letzten vier Jahren hat sie rund 40 Ingenieur- und Gebäudetechnikfirmen im In- und Ausland übernommen. Und die Shoppingtour geht weiter.

Sinkende Zinserträge

Schwieriger ist die Situation für die Postfinance. Köng hat zwar diesen Sommer ein grosses Umbauprogramm lanciert, mit dem er die Bank konsequent auf die Digitalisierung ausrichten und neue Geschäftsfelder erschliessen will. Doch im Kerngeschäft kann er, ausser Kosten zu drücken und Gebühren zu erhöhen, wenig tun. Er ist gezwungen, zuzuschauen, wie seine Zinserträge weiter sinken – von gut 1,4 Milliarden Franken 2012 auf unter eine Milliarde im laufenden Jahr. Und das bei immer mehr Kundengeldern.

Dieser Trend wird sich bei anhaltenden Negativzinsen fortsetzen, denn der Zugang zum vergleichsweise lukrativen Hypothekarkreditmarkt – immerhin rund 1000 Milliarden Franken schwer – ist ihm politisch untersagt. Die Folge: Die Postfinance, die bisher gut geölte Gewinnmaschine der Post, gerät langsam ins Stocken. 2017 wird sie zwar – auch dank mehreren Sondereffekten – noch einen stolzen Gewinn ausweisen. Aber ab 2018 dürfte die Kurve nach unten zeigen. «Das Kreditverbot gefährdet unsere Rentabilität substanziell», sagt Köng. «Wenn die Teilprivatisierung der Preis ist für die Aufhebung des Kreditverbots, dann sollten wir diesen Schritt zumindest diskutieren.»

Postfinance
Quelle: Bilanz

Grundsätzlich ist die Postfinance zufrieden mit ihrem staatlichen Aktionär. Auch BKW und Ruag kritisieren nicht den Eigentümer als solchen. Es ist eher die politische und regulatorische Begleitmusik, die sie hadern lässt. Und die Angst vor immer neuen Auflagen. In der Tat meinen viele Politiker, dass die Mehrheitsbeteiligung der öffentlichen Hand das Recht beinhalte, eine politische Agenda umzusetzen. Das mag bei der Ruag und der Postfinance noch funktionieren, schwieriger wird es bei der BKW, die bereits teilprivatisiert ist. «Wir sind ein börsenkotiertes Unternehmen, das unternehmerischen Grundsätzen folgt – und folgen muss», betont Thoma. «Und wir sind auch von Gesetzes wegen allen Aktionären gleich verpflichtet.» Ihr Ziel lautet deshalb: den Unternehmenswert steigern. Also mehr Umsatz, mehr Gewinn, mehr flüssige Mittel für Investitionen. «Der Kanton Bern kann eine Energiepolitik festlegen, die BKW ist aber nicht das Vehikel zu deren Umsetzung», sagt die Konzernchefin.

1,7 Milliarden verloren

Weil das Verständnis dafür in der Politik eher bescheiden ist, sieht Thoma den Ausweg in einer «weitergehenden Privatisierung». Vorübergehend Unterstützung erhielt sie dabei von der Berner Kantonsregierung, die mit dem neuen BKW-Beteiligungsgesetz die Grundlage schaffen wollte, damit sie die Aktienmehrheit am Stromkonzern verkaufen könnte – wenigstens bis zu einer Sperrminorität von 34 Prozent. Doch die Vorlage scheiterte Ende November am Widerstand von links und der SVP. Die Kantonspolitiker haben offenbar vergessen, wie viel Volksvermögen sie durch ihren Widerstand gegen die BKW-Privatisierung bereits verbrannt haben: stolze 1,7 Milliarden Franken.

Denn hätten sie vor rund zehn Jahren Hand geboten, als die bernische Regierung schon einmal einen Verkaufsplan vorlegte, dann hätten sie für den BKW-Aktienanteil von gut 52 Prozent rund 3,5 Milliarden Franken gelöst – Geld, das dem hoch verschuldeten Kanton durchaus gedient hätte. Jetzt ist das Aktienpaket nur noch etwa halb so viel wert. Und der Verlust wäre noch grösser, wenn es Thoma in den letzten vier Jahren mit ihrer Transformationsstrategie nicht gelungen wäre, den Wert der Aktien von 30 auf 60 Franken wieder zu verdoppeln. Zuvor war der Kurs der Wertpapiere infolge der absehbaren partiellen Strommarktöffnung 2009, der Stromschwemme und des GAU von Fukushima regelrecht zusammengebrochen.

BKW
Quelle: Bilanz

Eine beachtliche Wertvernichtung droht auch bei der Postfinance. Doch Privatisierungsdiskussionen bei der Post-Tochter werden meist mit dem Hinweis «politisch chancenlos» bereits im Keim erstickt. Vielleicht aber kommt nächstes Jahr doch etwas Bewegung ins Dossier – und zwar wegen des «Notfallplans», den das systemrelevante Finanzinstitut bis im Sommer vorlegen muss. Wegen der «Too big to fail»-Auflagen dürfte die Postfinance ersten Schätzungen zufolge über die kommenden Jahre bis zu zwei Milliarden Franken an zusätzlichen Eigenmitteln beschaffen müssen. Woher, ist derzeit noch unklar. Gut möglich, dass das Finanzdepartement lieber über eine Teilprivatisierung spricht, bevor es seine Tresorerie öffnet.

Stillstand beim Ruag-Plan

Äusserst harzig verläuft die Diskussion bei der Ruag. Vor mehr als zwei Jahren wurde die Evaluation für eine Teilprivatisierung gestartet, es wurde eine Arbeitsgruppe aus Vertretern des Verteidigungsdepartements (VBS), des Finanzdepartements sowie der Ruag eingesetzt. Und es wurden Berge von Strategiepapieren, juristischen Gutachten und Analysen verfasst, bis vor gut einem Jahr der Leiter der Arbeitsgruppe, der Freiburger Wirtschaftsprofessor Rudolf Grünig, demissionierte, weil keine Fortschritte ersichtlich waren.

Das VBS versprach darauf, einen neuen externen Projektleiter einzusetzen, was bis heute nicht geschehen ist. Schlimmer noch: Vor den diesjährigen Sommerferien wurde die Übung vom Gesamtbundesrat gar sistiert. Offiziell deshalb, weil zuerst die digitalen Leitungen zwischen Ruag und VBS gekappt werden sollen – eine sicherheitspolitische Auflage, nachdem die Ruag im vergangenen Jahr Opfer eines Hackerangriffs geworden war. Die Befürworter einer Privatisierung sehen darin aber eher ein Manöver, um Privatisierungsentscheide hinauszuzögern oder schlimmstenfalls ganz zu begraben. Beim VBS braucht man offenbar mehr Zeit. Wofür genau, bleibt unklar.

Beim Industriekonzern Ruag sind die Privatisierungspläne aber noch nicht vom Tisch. Er hat sogar per 1. September den neuen Posten des «Vice President Eignerbeziehungen» geschaffen und diesen mit Alexandre Schmidt besetzt. Dieser soll den Dialog mit Bundesbern verbessern. Der frühere Stadtberner FDP-Finanzdirektor und persönliche Mitarbeiter von Bundesrat Hans-Rudolf Merz kennt nicht nur die Mechanismen der Politik, er hat zwischen 2008 und 2012 auch Erfahrungen mit Privatisierungen gesammelt: Als Direktor der Eidgenössischen Alkoholverwaltung hat er Teile davon in die Zollverwaltung integriert und den Verkauf des Ethanol-Lieferanten Alcosuisse an Private aufgegleist, der 2018 vollzogen werden soll.

Gegen den Zeitgeist

Schmidts Aufgabe wird nicht einfach. Privatisierungsdebatten haben es aktuell schwer, der Zeitgeist tendiert eher zu Abschottung, Bewahrung und Regulierung. Das war nicht immer so. Es gab Jahre, da wurden die Fragen angepackt, Mitte der wachstumsschwachen 1990er Jahre etwa.

Damals wurde nicht nur das Binnenmarktgesetz verabschiedet, sondern es wurden auch neue Grundlagen für mehrere Bundesbetriebe gelegt: 1998 wurde die PTT in Swisscom und Post aufgespalten, und das SBB-Bundesgesetz trat in Kraft. Ein Jahr später wurde die Ruag AG aus knapp einemDutzend Unterhalts- und Produktionsbetrieben der Schweizer Armee gezimmert, 2003 nahm die Bundespensionskasse Publica ihren Betrieb auf, und die BKW wagte den Börsengang. Spätestens mit dem Ausbruch der Finanzkrise und der Rettung der UBS im Oktober 2008 wurde das Fenster für Privatisierungsvorhaben aber wieder geschlossen.

Doch anders als bei den jüngsten, ergebnislosen Privatisierungsdebatten, die aus ordnungspolitischen Überlegungen in regelmässigen Abständen vom Freisinn, von Economiesuisse oder dem Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) angestossen werden, sind es diesmal die Konzerne selbst, die Druck machen. Ihnen steht das Wasser bis zum Hals. Und wenn die Politik den Hilferuf nicht versteht, dann sind sie vielleicht in ein paar Jahren nicht mehr da – oder wenigstens nicht mehr in ihrer heutigen Form.

«Ohne Transformation wäre die BKW heute tief in den roten Zahlen», sagt Suzanne Thoma. «Bestrebungen, die unternehmerischen Freiheiten einzuschränken, stehen im Widerspruch zum heutigen Gesetz. Wird dies geändert, würde das wesentliche Teile unserer Wirtschaft betreffen und mittelfristig das Überleben der Firmen gefährden.»

Auch Ruag-Chef Breitmeier betont: «Wir sind als internationaler Konzern zu mehr Wachstum verdammt. Und dazu täte uns mehr Spielraum gut.» Und er verweist auf das, was auf dem Spiel steht: Seine Ruag sei heute gemessen am Umsatz die Nummer fünf der Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie. Und er will, dass das so bleibt.

Dieser Text erschien in der November-Ausgabe 11/2017 der BILANZ.