Mehr als jeder zweite US-Bürger hat 2016 Ferien verfallen lassen. Im Durchschnitt kamen US-Amerikaner darum auf nur 16,8 Tage Ferien pro Kopf, wie neue Zahlen der Marktforschers GfK zeigen. In der Schweiz sind für Angestellte über 20 Jahre mindestens vier Wochen jährlich gesetzlich vorgeschrieben, jüngere erhalten fünf Wochen.
Es ist dabei nicht so, dass US-Bürger keine Ferien mögen oder ihn für nebensächlich halten. 96 Prozent der Befragten sagten, dass ihnen die Verwendung ihres bezahlten Urlaubs wichtig sei. Warum machen dann so wenige von ihren Ansprüchen Gebrauch?
Der Grund ist einfach: Anders als in der Schweiz und allen anderen Industrieländern kennen die USA keinen gesetzlich vorgeschriebenen Anspruch auf bezahlten Urlaub. Es hängt darum von der Stimmung im Unternehmen ab, ob Angestellte und Manager sich frei nehmen, selbst wenn die Ferien im Vertrag stehen.
Negatives Image
Hier zeigt sich eine Diskrepanz. Laut Umfrage befürworten zwar 82 Prozent der Manager Urlaub als gesundheitsfördernd und motivierend. Doch berichten 66 Prozent der Befragten zugleich, dass im eigenen Unternehmen mindestens ambivalent oder negativ über Ferien gesprochen würde.
US-Arbeitnehmer zögern also, ihre Ferien zu nehmen. Das zeigen auch die Gründe, die sie für den Verfall ihrer Ansprüche angeben. Am häufigsten fürchten sie, dass sich bis zu ihrer Rückkehr viel Arbeit anstaue (43 Prozent). An zweiter Stelle folgt die Einschätzung, dass niemand sie vertreten könne (34 Prozent). Jeder vierte möchte mit dem Freizeitverzicht sein umfassendes Engagement beweisen.
Verjährung möglich aber unwahrscheinlich
Auch in der Schweiz gibt es ähnliche Fälle. «Es kommt sehr selten vor, dass Arbeitnehmer ihren Ferienanspruch verfallen lassen. Es kommt aber vor», sagt Thomas Geiser, Professor für Privat- und Handelsrecht an der Universität St. Gallen. Manchmal zögen Angestellte die Arbeit der Zeit mit der Familie vor oder langweilten sich ohne Arbeit. «Es kann auch vorkommen, dass sie Angst vor Veränderungen im Unternehmen während ihrer Abwesenheit haben.»
Häufig kommt es vor, dass Arbeitnehmer zum Ende ihres Arbeitsverhältnisses noch Anspruch auf Ferien haben. Dieser Anspruch sei dann in Geld auszubezahlen, sagt Geiser.
Grundsätzlich verjährt in der Schweiz Urlaub nach fünf Jahren. Dass ein Arbeitnehmer seinen Anspruch tatsächlich verliert, ist aber unwahrscheinlich. «Die älteren Ferien sind zuerst zu beziehen, sofern die Arbeitgeberin nichts anderes anordnet», sagt Geiser. Dadurch kann der Arbeitnehmer die Ferien immer vor sich hin schieben.
Aufopfern rächt sich
Seinen Urlaub zu lange aufzuheben, lohnt sich allerdings nicht, wie Zahlen aus den USA zeigen. Wer auf Urlaub verzichtet, damit sein Chef die Einsatzbereitschaft bemerkt, hat laut der GfK-Umfrage in den vergangenen drei Jahren seltener eine Gehaltserhöhung bekommen als Mitarbeiter, die besser auf sich schauen (79 Prozent versus 84 Prozent). Auch eine Beförderung erreichten sie nicht häufiger (beide Gruppen 28 Prozent).
Darüber hinaus sinkt die Leistung von Angestellten, die ihre Urlaubstage verfallen lassen. Diese Mitarbeiter berichten häufiger von Stress und Problemen bei der Arbeit (74 Prozent gegenüber 68 Prozent bei Mitarbeitern, die ihren kompletten Urlaub nehmen). Die repräsentative Studie wurde im Auftrag von Projekt: Time Off erstellt, einer Nichtregierungsorganisation, welche die Einstellung zum Urlaub in den USA ändern will.
Wirtschaft nimmt Schaden
Laut Berechnung des Projektes kosten die verfallenen Ferien die US-Wirtschaft ausserdem Milliarden Dollar. Zwar bringen die eingesparten Ferien den Unternehmen Gewinn. Die Urlaubstage, die US-Amerikaner 2016 ungenutzt verfallen liessen, entsprechen einem Gegenwert von 66,4 Milliarden US-Dollar (64,7 Milliarden Franken). Dem gegenüber stehen aber hochgerechnet 236 Milliarden Dollar (230 Milliarden Dollar), die der US-Wirtschaft an Tourismusausgaben verloren gegangen sind.
Urlaub verfallen zu lassen, so die Argumentation, belastet also die Arbeitnehmer und schädigt die Wirtschaft. Welche Rechte und Pflichten die Schweizer in Bezug auf ihre Ferien haben, zeigt die Bildergalerie oben.