Spätestens als das Gesicht von Ren Zhengfei formatfüllend auf ihren Fernsehern auftauchte, wussten die Zuschauer, dass etwas nicht stimmte. Nie zuvor hatte der Gründer von Huawei, inzwischen 74 Jahre alt, ein Interview im Fernsehen gegeben. Nun aber durfte eine Reporterin des chinesischen Staatssenders CCTV den Chef des Technologie-Unternehmens aus Shenzhen vor laufender Kamera befragen.
Die Kommunikationsabteilung seines Hauses habe ihn dazu genötigt, sagte er später. Also beantwortete Zhengfei die Frage, ob sein Unternehmen wegen der Spionagevorwürfe nun in Nordamerika, in Europa, Australien und Neuseeland boykottiert werde. «Sie wären dumm und würden Geld verlieren», sagte Ren Zhengfei, «wenn sie unsere Produkte nicht kauften.»
Grosser Druck von den USA
Doch sein Unternehmen steht unter grossem Druck, und der kommt insbesondere aus den USA. Wer Huawei nutze, laufe Gefahr, dass der chinesische Staat Zugriff auf seine Netze bekomme, beispielsweise über Hintertüren in der Software des Unternehmens. So in etwa geht der Vorwurf. Es ist eine Vermutung, eine Angst, Beweise gibt es keine.
Doch die US-Regierung drängt seit Monaten ihre Verbündeten in aller Welt, auf Huawei-Technik beim Ausbau der nächsten Mobilfunkgeneration (5G) zu verzichten. Und mehrere Länder haben inzwischen signalisiert, Huawei aus ihren Netzen auszuschliessen, Australien und Neuseeland etwa. Auch in Europa prüfen Regierungen ihren künftigen Umgang mit dem chinesischen Hersteller – darunter Deutschland.
Harter Schlagabtausch
Der Konflikt wird zunehmend öffentlich ausgetragen. Eine Woche nach Zhengfeis TV-Interview traten US-Handelsminister Wilbur Ross, Heimatschutzministerin Kirstjen Nielsen und der Generalbundesanwalt Matthew Whitaker gemeinsam vor Fernsehkameras und verkündeten eine Anklage gegen Huawei und seine Finanzchefin Meng Wanzhou, die in Kanada unter Hausarrest steht.
Die USA verlangen ihre Auslieferung. Das alles allein wäre so schon politisch brisant. Es wird noch vertrackter dadurch, dass Wanzhou als mögliche Nachfolgerin an der Spitze Huweis gilt – und Zhengfeis Tochter ist.
Huawei: «Die Situation ist bei uns anders»
So oder so droht Huawei nach Ansicht von Experten eine ernsthafte wirtschaftliche Gefahr. Dan Wang etwa vom unabhängigen Pekinger Analysehauses Gavekal Dragonomics sagt: «Die Anklage – Finanzbetrug, Diebstahl von Geschäftsgeheimnissen, Verschwörung, Behinderung der Justiz und Verstösse gegen Sanktionen – ähnelt denen, die im vergangenen Jahr bei zwei anderen chinesischen Technologieunternehmen angewendet wurden, und dürfte zur Einführung von US-Exportkontrollen führen, die das Überleben von Huawei gefährden.»
Damit könnte Huawei ein ähnliches Schicksal ereilen, wie dem chinesischen Netzausrüster ZTE im vergangenen Jahr. Weil er die Sanktionen gegen Iran und Nordkorea verletzte, belegte die US-Regierung ihn mit einem Zuliefererstopp. Sie untersagte US-Firmen, Komponenten an ZTE zu verkaufen.
Einen Monat später teilte ZTE mit, seinen Betrieb weitgehend einstellen zu müssen. Das Unternehmen mit 80'000 Mitarbeitern war stark von US-Komponenten abhängig, darunter Chips. Mit anderen Worten: ZTE war zum Spielball des eskalierenden Handelsstreits zwischen den USA und China geworden.
Am Ende intervenierte US-Präsident Donald Trump, auf Drängen von Chinas Präsident Xi Jinping und verhinderte das endgültige Aus von ZTE. Unter Bedingungen allerdings: ZTE musste beispielsweise eine Milliardenstrafe zahlen und sämtliche Mitglieder im Verwaltungsrat auswechseln.
Solch ein Szenario hat Huawei längst durchgespielt, auch wenn Vertreter des Konzerns nicht öffentlich darüber sprechen wollen. Nur so viel: Der Konzern sei weniger abhängig als ZTE. «Die Situation ist bei uns anders», sagte Richard Yu, der das Huawei-Geschäft mit Privatkunden leitet, noch im September im Gespräch mit WELT AM SONNTAG. «Wir produzierten beispielsweise unsere eigenen Prozessoren, wir sind im Vergleich viel unabhängiger.»
Jeder dritte Huawei-Zulieferer ist ein US-Konzern
Das stimmt, aber nur zum Teil. Huawei entwickelt zwar eigene Prozessoren innerhalb seiner Chip-Design-Tochter HiSilicon. Aber produzieren kann sie Huawei nicht. Das lässt der Konzern von Unternehmen wie Taiwan Semiconductor Manufacturing Co. (TSMC) erledigen.
Und die meisten Chips kauft er nach wie vor ein, zum Beispiel von Broadcom im Netzwerkgeschäft. Auch im Smartphone-Geschäft hängt Huawei von den USA ab. Auf jedem Huawei-Handy läuft Googles Betriebssystem Android. Eine Alternative hat Huawei nicht.
Sollten also die Vereinigten Staaten Huawei mit einem Zuliefererstopp belegen, brächte das die Existenz des chinesischen Konzerns in Gefahr. Das belegt auch eine Liste der wichtigsten Zulieferer, die Huawei selbst im vergangenen November zum ersten Mal veröffentlicht hat: Von den 92 dort geführten Unternehmen ist jedes dritte aus den USA, darunter technologische Vorzeigekonzerne wie Qualcomm, Intel, Broadcom, Nvidia und Seagate.
Bedeutender Abnehmer von US-Technologie
In den vergangenen Jahren ist Huawei zu einem bedeutenden Abnehmer von US-Technologien geworden. Das heisst: Ohne die USA wird es schwierig für Huawei. Allerdings wird es auch für die Amerikaner schwierig ohne Huawei, ohne China.
Firmen wie NeoPhotonics, ein Hersteller von optischen Komponenten aus Kalifornien, machen fast ihren halben Umsatz mit Huawei. Nach der Festnahme der Huawei-Finanzchefin in Kanada stürzte der Aktienkurs von NeoPhotonics um mehr als 20 Prozent ab. Auch bei Qualcomm und Broadcom entfallen fünf und sechs Prozent des Umsatzes auf Huawei. Ohne das Geschäft mit China würden diese Unternehmen kollabieren.
Qualcomm ist Weltmarktführer bei Smartphone-Chips. Im vergangenen Geschäftsjahr fielen mehr als zwei Drittel seines gesamten Umsatzes auf das Geschäft mit Kunden in China. Sollte also die US-Regierung den Streit mit Huawei weiter eskalieren, könnten auch amerikanische Unternehmen grosse Probleme bekommen.
5G-Ausbau droht massiver Rückschritt
Wie weit die US-Regierung gehen will, ist noch nicht klar. Das Misstrauen gegenüber Huawei hatte lange vor Donald Trumps Präsidentschaft begonnen. Der Geheimdienstausschuss des US-Kongresses warnte schon im Jahr 2012 vor der Technik aus China. Huawei stelle eine Sicherheitsgefahr dar, hiess es damals. Es gab keine Belege, die öffentlich wurden. Dennoch haben die grossen Mobilfunkbetreiber in den USA Huawei längst aus ihren Netzen verbannt.
Offenbar hat die US-Regierung nun auch den Druck auf Verbündete erhöht, von Huawei abzulassen. Mit rabiaten Methoden. So berichtet die «New York Times», Regierungsvertreter hätten die Stationierung von US-Soldaten und eine dauerhafte Militärbasis in Polen von der Entscheidung der dortigen Regierung für oder gegen Huawei abhängig gemacht. Und das ist noch nicht alles.
Eine der Anschuldigungen, die auch Teil der Anklage ist, wirft Huawei vor, US-Banken belogen und sie somit trotz Sanktionen in die Finanzierung von Geschäften mit dem Iran gezogen zu haben. Das könnte dazu führen, dass Huawei in die SDN-Liste aufgenommen wird. Als «special designated nationals» bezeichnen die USA Personen und Unternehmen, die ihrerseits mit Sanktionen belegt werden. Die Folge: Mit diesen Unternehmen macht niemand Geschäfte, der nicht auch in den USA sanktioniert werden will.
Funkloch Deutschland
In der Telekommunikationsindustrie würde ein solches Vorgehen zu einem Erdbeben führen. Huawei ist in 170 Ländern und Regionen aktiv und stattet nach eigenen Angaben 45 der 50 führenden Telefonanbieter aus. Der Konzern ist nicht nur der weltweit grösste Netzausrüster. Er ist zudem der zweitgrösste Smartphone-Hersteller nach Samsung. Bei der Technologie der fünften Mobilfunkgeneration gilt Huawei als führend und hat nach eigenen Angaben den Zuschlag für den Ausbau von 30 kommerziellen 5G-Netzen bekommen.
Sollte die Huawei-Technologie nicht mehr zur Verfügung stehen, würde der 5G-Ausbau um ein bis zwei Jahre zurückgeworfen, sagen Experten. Die beiden europäischen Konkurrenten Ericsson und Nokia seien noch nicht so weit. Vor allem aber sind sie teurer.
Die Konkurrenz bleibt stumm
Der britische Vodafone-Chef Nick Read hat angekündigt, den Einsatz von Huawei-Technik in den Kernnetzen der Gruppe bis zu einer politischen Klärung zu «pausieren».
Ein umfassendes Huawei-Verbot in Europa hält er aber für einen finanziellen Albtraum. Es wäre, sagt er, ein grosses Problem für Vodafone, «und es wäre ein riesiges Problem für den gesamten europäischen Telekommunikationssektor». Tatsächlich entfallen nur etwa 20 Prozent der Kosten für einen Netzausbau auf das Kernnetz. Der weitaus grösste Teil geht in die Radiotechnik der Antennen. Hier hat sich Huawei über die Jahre eine dominante Rolle gesichert.
Netzbetreiber in ganz Europa haben das dankend angenommen. Ihre Investitionskraft war begrenzt, auch durch Regulierung wie den Wegfall der hohen Roaminggebühren.
Für die Huawei-Dominanz in den Mobilfunknetzen in Europa sehen die Marktforscher von Stand Consults daher auch eine Mitverantwortung der Europäischen Kommission: «Um die Kosten zu senken, wechselten die europäischen Telekommunikationsanbieter von europäischen Anbietern wie Ericsson, Nokia und anderen zu den chinesischen Anbietern Huawei und ZTE», heisst es in einer Studie.
In der 5G-Verzweiflung öffnet Huawei sein Geheimlabor
Huaweis Konkurrenten Nokia und Ericsson sind in der Diskussion um die Sicherheit der Technik aus China erstaunlich stumm. Das hat mehrere Gründe. Technische und strategische. Huawei unterhält in Europa Sicherheitslabore.
Das in Grossbritannien kontrolliert der britische Geheimdienst GCHQ mit, dort legt Huawei seinen Software-Code offen. In Bonn können das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) – Deutschlands Cyberabwehr – und die Netzbetreiber Einsicht in die Software bekommen und Produkte testen. Im März soll in Brüssel das nächste Labor eingeweiht werden. Niemand hat bisher ein Einfallstor nachgewiesen, das der chinesische Staat zur Spionage nutzen könnte.
Zum anderen unterhalten Huaweis europäische Konkurrenten Forschungs-und-Entwicklungs-Zentren in China und Dutzende Niederlassungen. Dort arbeiten, in Nokias Fall, rund 15'000 Mitarbeiter, etwa doppelt so viele wie zu Hause in Finnland. Ericsson hat in der Region Nordostasien, zu der China, Japan, Südkorea und Taiwan gehören, 12'000 Mitarbeiter. Um es abzukürzen: Huaweis Konkurrenten fürchten eine weitere Eskalation fast so wie Huawei selbst. Denn es erhöht für sie die Gefahr, dass China sie vom chinesischen Markt ausschliesst.
Dieser Artikel erschien zuerst bei der «Welt» mit dem Titel «Warum ein Huawei-Boykott auch für den Westen fatal wäre».