Vor knapp zwei Wochen sass Peter Spuhler im Rathaus der Stadt Herne mitten im Ruhrgebiet – und liess Lokalpolitiker träumen. Der Chef und Eigentümer von Stadler Rail präsentierte Pläne zum Bau eines Wartungscenters auf einem ehemaligen Zechengelände.
Die Thurgauer wollen rund 25 Millionen Euro investieren und bis zu vierzig neue Arbeitsplätze schaffen. Hernes Bürgermeister sprach von einem «Volltreffer» und sagte, durch die Ansiedlung werde «die Stadt der tausend Züge, wie Herne früher genannt wurde, wiederbelebt».
Ex-Minister als Investor
Mit am Tisch sass auch Werner Müller, ehemaliger deutscher Wirtschaftsminister und heute Vorstandsvorsitzender der RAG-Stiftung, deren Immobilien-Tochter die Fläche an Stadler Rail verkauft. Sowohl der Mann als auch die Stiftung haben eine besondere Verbindung zum Schweizer Rollmaterialhersteller: Müller sitzt seit 14 Jahren im Verwaltungsrat und die von ihm geführte RAG-Stiftung hält mit 5 Prozent den einzigen externen Anteil an Spuhlers Familien-AG.
In Herne verriet Müller nun etwas, das in der Euphorie über den neuen Stadler-Standort fast untergegangen wäre: Die RAG-Stiftung verhandelt mit Stadler Rail darüber, von 5 auf 10 Prozent aufzustocken. Während sich die Stiftung unter Verweis auf die laufenden Verhandlungen zurzeit nicht weiter äussern will, bestätigte Stadler Rail gegenüber der «Handelszeitung», dass man kurz vor dem Abschluss stehe.
Das Wunschpaket der Deutschen betrage 10 Prozent und dem wolle man nach Möglichkeit nachkommen, sagte Stadler-Sprecherin Marina Winder. Bisher gehören 83 Prozent des Unternehmens Peter Spuhlers PCS Holding, 12 Prozent hält das langjährige Kader und 5 Prozent die RAG-Stiftung. Künftig wird der Anteil der Stiftung damit zumindest nahe an den der Mitarbeiter heranrücken. Doch wer ist dieser Investor überhaupt?
Finanzielles Schwergewicht
Mit einem Vermögen von knapp 17 Milliarden Euro ist die RAG-Stiftung ein finanzielles Schwergewicht. Sie hält unter anderem die Mehrheit am Steinkohlekonzern RAG sowie am börsenkotierten Spezialchemie-Unternehmen Evonik. Die Aufgabe der Stiftung: Sie soll die RAG auf das Ende des Bergbaus vorbereiten und für einen sozialverträglichen Ausstieg sorgen.
Wenn die letzten RAG-Bergwerke Ende 2018 schliessen, muss die Stiftung für geschätzte 220 Millionen Euro pro Jahr die sogenannten Ewigkeitsaufgaben finanzieren. Dazu gehört insbesondere, weiterhin Grubenwasser abzupumpen. Auf der Einnahmeseite stehen Evonik-Dividenden und Anteilsverkäufe sowie andere Beteiligungs- und Kapitalerträge. Das erste Investment der stiftungseigenen Beteiligungsgesellschaft war im Juni 2014 der Einstieg bei Stadler Rail.
Die 5-prozentige Beteiligung erwarben die Deutschen laut Stadler im Zuge eines Rückkaufprogrammes, als die Zürcher Private-Equity-Firma Capvis ihren 20-Prozent-Anteil an Spuhler verkaufte. Schon damals habe die Stiftung den Wunsch geäussert, später zu erhöhen, da dies aus steuertechnischen Gründen ideal sei, so Stadler-Sprecherin Winder.
Zur jüngsten Aufstockung allerdings betont sie: «Wir sind nicht auf Investorensuche.» Dennoch dürfte das zusätzliche Kapital Stadler willkommen sein, denn das Unternehmen expandiert. So planen die Thurgauer neben der Niederlassung in Herne unter anderem auch einen neuen Fabrikstandort im US-Bundesstaat Utah. Peter Spuhler hatte Ende vergangenen Jahres in einem Interview sogar erneut einen Börsengang ins Gespräch gebracht, wenn auch nur als Zukunftsoption.
Konsolidierung in der Branche
Denn in der Bahnbranche stehen die Zeichen auf Konzentration: Der Weltmarktführer CRRC aus China beschäftigt mehr als 180 000 Menschen und übertrifft die Konkurrenten auch beim Umsatz um ein Vielfaches. Die Branchen- grössen Siemens und Bombardier erwägen laut Finanzkreisen, ihre Zugsparten zusammenzulegen.
Braucht auch Stadler Rail einen Partner? Mit der anvisierten Anteilserhöhung und dem Werksbau auf einem RAG-Gelände stärkt Peter Spuhler zumindest die Bande zu Werner Müller. Und der 71-Jährige leitet nicht nur eine Stiftung mit grossen finanziellen Ressourcen. Als ehemaliger Minister für Wirtschaft und Technologie (1998–2002) unter Bundeskanzler Gerhard Schröder, ehemaliger Chef von RAG und Evonik und ehemaliger Verwaltungsratschef der Deutschen Bahn hat er ein einzigartiges Profil.
«Werner Müller verfügt über ein breites Spektrum und überzeugt mich menschlich restlos», sagte SVP-Nationalrat Spuhler schon 2003 zur «Bilanz» über den parteilosen Ex-Minister einer rot-grünen Regierung, als er ihn in den Verwaltungsrat von Stadler holte. «Er hat über Deutschland hinaus ein sehr gutes Beziehungsnetz.»