Schweizer Versicherer sind nicht unbedingt für ihre Innovationsfreude bekannt. Dennoch investieren alterwürdige Konzerne wie Helvetia oder Baloise in Start-ups für Lufttaxis oder einer digitalen Umzugsplattform. Der Blick auf Zukunftstechnologien auch abseits der Versicherungsbranche hat einen Grund: Der Kontakt zum Kunden unterliegt einem radikalen Wandel, wie sie die Branche wohl noch nie erlebt hat.

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Mit den etablierten Vertriebskanälen sind die «digital Natives», wie die mit Facebook, Snapchat und Co. aufgewachsene Generation im Fachjargon genannt wird, heute kaum noch für die Versicherer zu erreichen. Denn die googeln, wenn sie etwas brauchen, und greifen nicht zum Telefon, um einen Versicherungsmakler anzurufen.

Trigger-Punkte für die nächste Lebensphase erkennen

Das bringt Gesellschaften mit einer oft mehr als 100-jährigen Geschichte in die Bredouille. Denn bislang verkaufen sie Policen, die oft komplex und erklärungsbedürftig sind. Für digitale Plattformen aber sind einfache, standardisierte und transparente Lösungen nötig. «Der aufgeklärte Kunde will elementare Produkte wie Bausteine kaufen und zusammensetzen», sagte Adrian Honegger, Head Group Strategy & Digital Transformation bei Baloise. «Das können wir erst ansatzweise bieten.»

Für wichtig hält Yamin Gröninger, Versicherungsexpertin beim Beratungsunternehmen EY in Zürich, dass Versicherer eine Änderung der Lebensumstände erkennen. «Es gibt Trigger-Punkte für die nächste Lebensphase: Der erste Job, Heirat, Kinder», sagte sie. Wenn jemand im Internet eine Wohnung suche oder Handwerker, könne das auf einen solchen Wechsel hinweisen. «Das ist dann auch ein gutes Signal, dass dieser Kunde im Bereich Haushalt einen zusätzlichen Versicherungsbedarf hat.»

Zusätzliche Dienstleistungen entscheiden

Und in einer Welt, in der immer mehr Informationen verfügbar sind und damit die Vergleichbarkeit steigt, können zusätzliche Dienstleistungen entscheiden, zu welchem Anbieter der Kunde greift. Für das Auto werden neben dem Versicherungsschutz auch Assistenzleistungen angeboten, für die Wohnung Handwerker aus dem Pool der Versicherer vermittelt.

Vor diesem Hintergrund ergibt Sinn, dass Baloise die Umzugsplattform MOVU gekauft und dass sich die Schweizer Axa-Tochter am Fahrzeugportal autoricardo.ch beteiligt hat. Und auch der Einstieg von Helvetia beim deutschen Lufttaxi-Start-up Volocopter erscheint nicht mehr ganz so utopisch. «Ist das supernah am Kerngeschäft? Wahrscheinlich nicht», sagte Michael Wieser vom Helvetia Venture Fund. Doch dank der Investition sei das Unternehmen von Anfang an bei einem Projekt dabei, das das Stadtbild in zehn bis 15 Jahren prägen könnte.

Movu Umzugsplattform

Movu.ch: Baloise setzt auf das Internetgeschäft und übernimmt die Online-Umzugsplattform.

Quelle: ZVG

«Wir glauben, dass das autonome Fliegen wesentlich früher kommt, als das autonome Fahren, weil es weniger Probleme bringt.» Autoversicherung ist ein Riesengeschäft für die Versicherer und mit dem Aufkommen von selbstfahrenden Fahrzeugen drohen empfindliche Einbussen. «Es wird vermutlich weniger Fahrzeuge geben und die werden weniger Unfälle verursachen», erklärte Baloise-Manager Honegger.

Versicherer greifen auch im Bereich Insurtech zu

«Die Branche ist im Umbruch und es werden Investitionen getätigt, einerseits um Lerneffekte zu erzielen und den Trends voraus zu sein», sagte Marco Superina, Leiter des Bereichs M&A Switzerland bei der Credit Suisse. So greifen die Versicherer auch im Bereich Insurtech zu. Dort geht es dann um Kosten, Abläufe und Datenanalyse.

«Wir haben uns im vergangenen Jahr einige hundert reine Insurtech-Firmen angesehen und das Investitionsvolumen in diesem Bereich nimmt sehr deutlich zu», sagte Helvetia-Fundmanager Wieser. Versicherung sei ein Riesenmarkt und deswegen attraktiv für Start-ups. Bei Baloise wurden Honegger zufolge vergangenes Jahr mehr als 500 Start-ups unter die Lupe genommen.

Autoricardo.ch

Autoricardo.ch: Die Versicherungsgruppe Axa Winterthur beteiligt sich an der digitalen Fahrzeugplattform.

Quelle: ZVG

Wettbewerb und Kostendruck nehmen zu

Noch ist man mit vergleichsweise geringen Summen dabei. «Es gibt eine gesunde Wettbewerbssituation, aber es ist nicht so, dass man eines von 20 Unternehmen ist, die Schlange stehen», sagte Wiesner. Doch weltweit nimmt die Nachfrage zu, denn in der Versicherungsbranche steigen Wettbewerb und Kostendruck. Der britische Aviva-Konzern etwa will in den nächsten Jahren 100 Millionen Pfund in Insurtech-Firmen stecken. In Europa flossen im ersten Halbjahr 2017 mehr als 400 Millionen Dollar in Insurtech-Firmen, ein Vielfaches der 50 Millionen Dollar ein Jahr zuvor.

«Versicherer - Sie hinken bei der Technologie hinterher und sie wissen es», resümierte der Branchedienst A.M. Best in einer jüngst veröffentlichten Studie. Gefahr droht der Branche nämlich auch von den grossen Technologiefirmen. Der Online-Händler Amazon baut sein Versicherungsangebot in Europa aus und der für seine spektakulären Technologie-Beteiligungen bekannte SoftBank-Konzern hat den Sektor entdeckt; das japanische Unternehmen ist beim chinesische Internet-Versicherer Zhong An und beim US-Versicherungs-Startup Lemonade eingestiegen und spricht derzeit mit dem Schweizer Rückversicherungsriesen Swiss Re über eine Beteiligung.

(reuters/ccr)