Wer es nicht besser wüsste, könnte Jeremy Epstein glatt für einen helvetischen Touristik-Häuptling halten. Der Mann wird nicht müde, eidgenössische Errungenschaften zu rühmen. Auch als Standortförderer mit Rayon Zug ginge der smarte Glatzkopf sofort durch. Als Tourguide sowieso.

Tatsächlich, der smarte Marketingmann aus Washington D.C. ist als Reiseführer unterwegs. Aber wie wir den zappligen Amerikaner – «nenn mich einfach Jeremy» – vor dem Zuger Huwilerturm (Baujahr 1524) treffen, rühmt er nicht Berge, Käse oder die lokale Kirschtorte. Jeremy preist eine menschengemachte Schönheit mit Baujahr 2014. Was der Chef der Firma Never Stop Marketing seiner mitgereisten und buntgescheckten Business-Schar zeigen will, ist mehr als liebliche Landschaft, gesprenkelt mit Briefkastenfirmen. Jeremy ist mit den Seinen auf Wallfahrt. Er führt sie zum Wunder von Zug. Ins Tal der tausend Elektrotaler: Crypto Valley. Und das nicht zum ersten Mal.

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Digitale Elite aus aller Welt
Bereits in fünfter Auflage leitet Jeremy Crypto-Touristen nach Zug. 200 Leute führte er schon ins Tal der Täler. Vierzig Crypto-Jünger sind es diesmal, sie kommen aus den USA und Rumänien, aus Polen, Dubai und Indien. Per «Crypto Valley Trip» wollen sie die Gegend erkunden, die seit vier Jahren Heimat ist für einen Kosmos von Köpfen, Kapital und Katalysatoren. Die Hochburg, wo der Geldkreislauf der Zukunft geprägt wird. Da, wo digitale Düsentriebs das Betriebssystem der künftigen Weltwirtschaft entwerfen. Oder es versuchen. Oder zumindest daran glauben.

Jeremy und die vierzig «Crypto-Explorers» wollen eintauchen in ein Geflecht von 400 Firmen und Stiftungen, die der Weltwirtschaft per Blockchain-Technologie ein neues Protokoll verleihen möchten: Knete und Kontrakte kanalisieren. Ohne Intermediäre, ohne olle Banken. Einer wie Jeremy kann das natürlich schöner sagen: «Die Blockchain ist ein dezentrales System. Ein perfekter Match mit der Schweiz, die ein dezentral gemanagtes Land ist wie kein anderes auf der Welt.» Oder kürzer: «Zug ist das Crypto-Mekka

Für Schweizer, die nichts mit Blockchain und Bitcoin am Hut haben, mutet das fast schon surrealistisch an. In der Regel reist unsere Elite ins kalifornische Silicon Valley, um dort die Zukunft zu bestaunen. Hier ist es umgekehrt: Die digitale Elite aus aller Welt reist ins Zuger Crypto-Tal, um Fühlung mit der Blockchain-Bonanza aufzunehmen. Eine Reisegruppe, die sich stark unterscheidet von jenen Eidgenossen, die ihr Ohr in Kalifornien auf den Boden legen.

Während Schweizer Abgesandte mit offiziellem Badge durchs Silicon Valley tippeln, im Flugzeug hübsch sortiert beisammensitzen und den Reisli-Obolus in heimischer Währung entrichten, hält es das Crypto-Gruppetto individueller: «Jede und jeder auf dieser Tour organisiert Flüge und Übernachtungen selber», sagt Epstein. Und bei der Zahlung gibt es – Déformation professionnelle – mehrere Optionen: «Der Tourpreis beträgt ohne Anreise und Unterkunft 1500 Dollar, zahlbar auch in Bitcoin, Ether oder Zcash. Selbstverständlich sind wir offen für weitere Alternativwährungen.»

Crypto Valley – Zahlen und Fakten
Firmen Das Crypto Valley umfasste ursprünglich nur die Region um Zug. Heute schliesst der Brand aber oftmals auch weitere Regionen mit ein – vor allem Zürich. 600 Blockchain-Firmen sind mittlerweile aktiv. In dieser Zahl eingeschlossen sind allerdings nicht nur Startups, sondern zahlreiche etablierte Unternehmen aus der alten Welt, die inzwischen Dienstleistungen im Bereich Crypto anbieten – wie etwa Anwaltskanzleien.

Diversifiziert Die Firmen decken ein breites Spektrum ab: Einige Projekte treiben die Grundlagenforschung voran, andere entwickeln Apps für Konsumenten. Dritte bauen Speicherlösungen für Crypto-Token. Viele Firmen sind im Bereich Banken, Börsen, Fonds und Beratung tätig. Ohne den Boom bei Initial Coin Offerings (ICO) – einer Art Kapitalaufnahme via Blockchain – wäre das Crypto Valley nicht so bedeutend.

Genesis Angefangen hatte alles im Jahr 2013, als sich das inzwischen gescheiterte Startup Monetas in Zug niederliess. Dessen Gründer, Johann Gevers, hatte damals in der jungen Branche einen gewissen Bekanntheitsgrad. Und so wählte das wichtige Blockchain-Projekt Ethereum Anfang 2014 ebenfalls Zug als Sitz für seine Stiftung. Das war entscheidend. Kurz darauf prägte vor allem Gevers den Begriff Crypto Valley.

Workspaces Inzwischen gibt es in Zug mit dem CV Labs einen sogenannten Coworking-Space für Blockchain-Startups. Hundert Projekte haben sich eingemietet. Einige treiben dort allerdings vor allem das Networking voran und weniger die konkrete Entwicklung ihrer Anwendung. Auch Zürich hat mit dem Trust Square einen Coworking-Space für junge Blockchain-Firmen.

Stiftungen Viele globale Projekte haben via ICO Gelder aufgenommen. Diese werden oft von Zug aus mittels Stiftungen verwaltet. Zu den bekanntesten gehören neben Ethereum die Blockchains Tezos, Dfinity und Cardano, aber auch Apps wie der Messenger-Dienst Status.

Konkurrenz Das Buhlen um Crypto-Firmen intensiviert sich. Liechtenstein und Malta zogen zuletzt zahlreiche Unternehmen an. Berlin ist neben dem Silicon Valley stark, was die tatsächliche Softwareentwicklung angeht. New York, London, Singapur sind ebenfalls wichtig. 

«Crypto-Get-together»
Echte Crypto-Explorer schlagen sich die Nacht als Couchsurfer oder im Airbnb-Lager um die Ohren und gesellen sich am Morgen in eher unregelmässigem Modus zur Gruppe. Manchmal auch mit Gesichtern, die von ordentlich analogen Partys zeugen. Wenn sie aber da sind, sind sie hellwach. Was sind die Geschäftsmodelle der Zukunft? Wie wehrt man sich in Zug gegen Konkurrenz aus Liechtenstein, Malta, New York und Singapur? Wie sehr sind die Schweizer Bank-Saurier schon heimisch im Crypto-Land? Vier Tage lang treffen Jeremy und die Seinen führende Köpfe im Zuger Crypto-Tal, lassen sich von Szene-Stars wie Lakeside Partners, Melonport, Trust Square und Bitcoin Suisse den Stand der Dinge erklären. Da gehört auch mal eine Bootspartie auf dem Zugersee dazu oder ein Barbecue: «Proof of Steak, proof of Wurst», nennen das die Crypto-Explorers.

Kennengelernt haben sich die Reisenden in Sachen Übermorgengeld meist über den Messenger-Service Telegram, eine Art heissen Draht der Crypto-Köpfe. Genau hier zeigt sich der tiefere Sinn der Reise: «Zwar», sagt einer der Crypto-Jünger, «kann man in dieser Szene jede Information digital beziehen.» Aber genau deshalb lohne es sich, führende Köpfe auch einmal in «Real Life» zu treffen. Ikonen gibt es auf beiden Seiten. Wenn Schweizer Silicon-Valley-Touristen ehrfürchtig auf das Google-Hauptquartier Googleplex in Mountain View blicken oder mit weit geöffneten Augen in die Gründergarage von Hewlett Packard eintreten, so regen sich bei den Crypto-Jüngern in Zug ganz ähnliche Gefühle. Die famosen Namen hier: Ethereum Foundation, Tezos, Dfinity.

Dass man sich zum Crypto-Get-together nicht nur in Sitzungssälen, sondern auch mal im Huwilerturm trifft, sei kein Fauxpas, meint Jeremy: «Als Marketeer muss ich sagen: Ein mittelalterlicher Turm gibt viel mehr her als ein Sitzungszimmer. Das bläst die Leute weg.» Die Crypto-Touristen sind nun mal keine graumelierten Corporate-Zehnkämpfer, sondern nonkonforme Nerds, gern auch mal kurzbehost. Ein Menschenschlag, der seinen Laptop ebenso gut in Belize wie in Boston oder Bümpliz aufklappen und ortsunabhängig einen schönen Code schreiben kann. Leute zwischen 25 und 35, mit ein paar männlichen Ausreissern gegen oben.

Eine Gruppe mit deutlich höherem Frauenanteil als jenem in der Teppichetage von UBS und CS: Sechs der vierzig Cryptonistas gehören dem weiblichen Lager an. Von der Schweiz und insbesondere Zug zeigen sie sich allesamt tief beeindruckt. Wie sich Bauwerk aus dem 16. Jahrhundert mit Hirn aus dem 21. Jahrhundert mischt – great. Ebenfalls great: Wenn die Crypto-Jünger im Worldspeak English von Zug sprechen, entsteht dabei lautmalerische Magie: «Ssuug».

Weiter gehts - nach Lichtenstein
Was weniger beeindruckt, ist die zum Teil abschottende Denkweise der Schweizer Regierung. Der Knorz mit Arbeitsbewilligungen für ausländische Talente. Oder dass man als Nichtschweizer kaum ein Bankkonto auf dieser heiligen Erde eröffnen kann. Solche Dinge haben einen Einfluss auf die Reiseplanung. Am zweitletzten Tag trifft man sich an der Bahnhofstrasse in Zürich, in der Blockchain-Coworking-Hochburg gegenüber der Nationalbank. Hochgefühl auf der Dachterrasse: Hier die coolen Crypto-Rockstars. Drüben die alte Welt aus Glas, Stein und kultischer Verehrung eines neuen 200er-Nötlis.

Dann fährt die Truppe im roten Reisebus gen Osten. Neu gehört ein Liechtenstein-Tag ins Programm. Mal sehen, wie man im Fürstentum das Übermorgen plant. Ein Abgesang auf das Schweizer Tal der Täler sei der Ländle-Abstecher nicht, sagt Jeremy. Crypto-Tour Nummer 6, von 5. bis 7. November, ist schon geplant. Ssuug bleibe erste Wahl für Blockchain-Touristen: «Hier sehen wir die dezentralisierte Zukunft.»