Es muss sich gut anfühlen, wieder an der Spitze zu stehen – und diesmal dabei auch fast beliebt zu sein. Vor 20 Jahren galt Microsoft als «Reich des Bösen», das nach Marktbeherrschung strebte und in einen erbitterten kartellrechtlichen Kampf mit dem amerikanischen Justizministerium verwickelt war.
Vor fünf Jahren wurde als Auslaufmodell verspottet, nachdem das Unternehmen den Aufstieg der sozialen Medien und des Smartphones verschlafen hatte. Heute ist Microsoft nach mehreren hervorragenden Quartalen – im zweiten Quartal 2019 stieg der Umsatz um 12 Prozent auf 33,7 Milliarden Dollar – wieder das wertvollste Unternehmen der Welt. Sein Börsenwert beträgt mehr als eine Billion Dollar.
Wie gelang Satya Nadella, Microsoft-Chef seit 2014, dieses Comeback? Und was können die anderen Tech-Giganten von Microsofts Erfahrung lernen? Insbesondere jetzt, da die US-Wettbewerbsbehörden «Suchmaschinen, soziale Medien und Online-Handel» unter die Lupe nehmen werden – das heisst Google, Facebook und Amazon?
Zuerst ein Blick hinter Microsofts Comeback: Der Softwarekonzern verpasste den Anschluss an die Sozialen Medien und Smartphones, weil er zu stark auf das Betriebssystem Windows ausgerichtet war, das jahrzehntelang seine Haupteinnahmequelle bildete.
Als Nadella den Chefposten übernahm, stellte er Windows sehr rasch zurück. Stattdessen setzte er auf die Cloud – just in dem Moment, als Unternehmen zunehmend bereit waren, Rechenleistungen zu mieten.
Im vergangen Quartal stieg der Umsatz von Azure, also Microsofts Cloud-Sparte, um 68 Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal. Damit erreicht Azure die Hälfte der Marktanteile von Amazon Web Services, dem Marktführer.
Zweitens: Raffgier zahlt sich nicht aus. CEO Nadella veränderte neben Microsofts technologischem Fokus auch die Unternehmenskultur. Der Kult um Windows hatte dazu geführt, dass Kunden und Partner ausgequetscht und Konkurrenten abgehängt wurden – häufig mit fragwürdigen Mitteln, was letztlich zum Showdown mit den Wettbewerbsbehörden führte.
Nadellas Vorgänger bezeichnete Linux und andere Open-Source-Software als «Krebs». Heute werden auf Azure die Betriebssysteme der Konkurrenten häufiger verwendet als Windows. Und für viele Unternehmen ist Microsoft als Technologiepartner weniger gefährlich als Amazon. Denn Amazon versucht in immer weitere Branchen vorzudringen und sie umzuwälzen.
Drittens: Man sollte mit den Regulatoren zusammenarbeiten statt sie austricksen oder überwältigen zu wollen. Microsoft baute Azure von Beginn an so auf, dass es verschiedene Datenschutzgesetze berücksichtigte. Microsofts Präsident und Chief Legal Officer Brad Smith brachte viele politische Vorschläge ein – etwa eine digitale «Genfer Konvention», um Menschen vor staatlichen Cyberattacken zu schützen.
Smith steckt auch hinter dem relativ vorsichtigem Umgang Microsofts mit künstlicher Intelligenz und fordert eine Überwachung bei der Gesichtserkennung.
Microsoft ist vom derzeitigen Widerstand gegen Tech-Unternehmen relativ verschont und muss weniger von neuen Regulierungsmassnahmen betroffen.
Man sollte mit den Regulatoren zusammenarbeiten, statt sie austricksen oder überwältigen zu wollen.
Den Anschluss bei den sozialen Medien zu verlieren, heisst natürlich, dass heikle Fragen wie der Umgang mit Medieninhalten andere vor grössere Probleme stellen – etwa Facebook und Google. Dennoch täte es einigen Tech-Unternehmen gut, sich an Microsoft ein Beispiel zu nehmen. Apple hat sich die Privatsphäre seiner Kunden zum Grundsatz gemacht. Doch Apples Umgang mit den Diensten der Konkurrenten im App Store dürfte bald zu kartellrechtlichem Ärger führen.
Grössere Macht = grössere Verantwortung
Facebook und Google beginnen gerade zu erkennen, dass mit grösserer Marktmacht auch eine grössere Verantwortung einhergeht. Allerdings müssen beide noch ihr Äquivalent zu Azure finden: ein neues Geschäftsmodell jenseits der ursprünglichen «goldenen Gans». Dabei ist Amazon mit seinem Anspruch und seiner Kultur noch am ehesten mit Microsoft vergleichbar.
Aber auch ein geläuteter Monopolist muss überwacht werden. Es sollte nicht vergessen werden, dass Microsoft teilweise nur wegen seiner Gier dort ist, wo es heute ist. Kritiker argumentieren, dass Microsoft seine alten Tricks wieder auspacken könnte im Kampf mit Slack, einem Kurznachrichtendienst für Unternehmen, der einem Microsoft-Produkt Konkurrenz macht. Und immer mehr Frauen im Unternehmen beklagen sich auch über sexuelle Belästigung und Diskriminierung.
Das neue Microsoft ist weit davon entfernt, perfekt zu sein. Aber es hat einige Lektionen gelernt, welche andere Tech-Giganten beherzigen sollten.
© «The Economist». Dieser Beitrag erschien unter dem Titel: «What Microsoft’s revival can teach other tech companies», The Economist, 25. Juli 2019.