Er versucht es noch einmal: Frankreichs Präsident kommt nach Berlin, um die deutsche Kanzlerin von seinen Reformplänen zu überzeugen. Aber dort ist von der Europa-Euphorie des Koalitionsvertrags wenig übrig geblieben. Geht vor der Europawahl im Frühjahr 2019 überhaupt noch was?
Der französische Präsident Emmanuel Macron drückt schon wieder aufs Tempo. Am Dienstag setzt er mit einer Rede vor dem EU-Parlament in Strassburg ein neues Zeichen für sein Projekt zur Reform der Europäischen Union.
Am Donnerstag besucht er Kanzlerin Angela Merkel in Berlin und hofft wohl darauf, endlich mehr als nur vage Sympathiebekundungen zu erhalten. Auch in Berlin kommt Bewegung in die Sache - aber offensichtlich in die andere Richtung. CDU und CSU wollen ihren Kurs in der Europapolitik abstecken. Macrons Visionen stossen hier auf grosse Skepsis.
Was will Paris?
Macron hat die EU-Reform zu einem seiner Aushängeschilder gemacht. Doch eine Reihe der ehrgeizigen Vorschläge aus seiner Sorbonne-Rede vor einem guten halben Jahr stossen auf Widerstand. Dass das EU-Parlament die Forderung ablehnte, einen Teil der Abgeordnetensitze künftig über transnationale Listen zu verteilen, ist nur ein besonders auffälliges Beispiel.
Umstritten sind vor allem die Vorstösse zum Umbau der Währungsunion, wo Macron einen europäischen Finanzminister und einen Haushalt für die Eurozone vorgeschlagen hatte. In Paris betont man inzwischen oft, dass dies ja längerfristige Ziele sind und zunächst beispielsweise die Vollendung der Bankenunion ansteht - da sträubt sich Deutschland allerdings gegen eine gemeinsame Einlagensicherung.
Macrons Europa-Projekt deckt noch sehr viele weitere Vorschläge ab: Die Sozial- und Steuersysteme sollen näher zusammenrücken, ein einheitlicher Mindestsatz für Unternehmensteuern eingeführt werden. Der Präsident will ein europäisches Asylamt sowie eine Innovationsagentur, die die digitale Revolution vorantreibt.
Was will Brüssel?
Europa soll besser gegen künftige Finanzkrisen gewappnet sein. Über die Details herrscht in der EU aber Uneinigkeit. Kommissionschef Jean-Claude Juncker legte in seiner Rede zur Lage der Europäischen Union im September sowie im «Nikolauspaket» im Dezember eine Reihe von Plänen vor, die ähnlich weit reichen wie Macrons Ideen. Unter anderem soll das Amt eines EU-Finanzministers geschaffen werden, der auch Vizepräsident der Kommission und Chef der Eurogruppe wäre.
Ausserdem sollte der Euro-Rettungsschirm ESM, der Notkredite an Krisenstaaten vergeben kann und bislang ausschliesslich unter der Kontrolle der Euro-Staaten steht, zu einem europäischen Währungsfonds ausgebaut und vom EU-Parlament mitkontrolliert werden.
Der neue Währungsfonds sollte auch bei der Bankenabsicherung grössere Bedeutung bekommen. Brüssel setzt sich zudem seit Jahren für ein europäisches Sicherungssystem für Sparguthaben ein, um den Bankensektor krisenfester zu machen.
Fortschritte gab es bei alldem bislang nur wenige, da die EU-Staaten tief gespalten sind. Die Einführung eines EU-Finanzministers ist sogar praktisch von der Tagesordnung verschwunden. Acht nördliche Staaten, etwa Finnland und die Niederlande, hatten sich zuletzt grundsätzlich gegen weitreichende Kompetenzverschiebungen in Richtung EU ausgesprochen.
ESM-Chef Klaus Regling warnte bereits vor politischem Nichtstun: In der nächsten Finanzkrise seien die Änderungen ohnehin unvermeidlich. «Sie würden dann unter extremem Zeitdruck geschehen - und vermutlich unter höheren Kosten.»
Was will Berlin?
Der neue SPD-Finanzminister Olaf Scholz macht klar, dass er den Sparkurs seines vor allem in Südeuropa ungeliebten Vorgängers Wolfgang Schäuble im Prinzip fortsetzen will. Bei der Einlagensicherung hält er eher nichts von schnellen Beschlüssen. Von Europa-Euphorie, wie sie mancher im Koalitionsvertrag von Union und SPD gespürt hat, kann keine Rede mehr sein.
Dort heisst es unter anderem: «Wir wollen die EU finanziell stärken, damit sie ihre Aufgaben besser wahrnehmen kann.» Manche Formulierungen tragen die Handschrift des ehemaligen SPD-Chefs - und früheren EU-Parlamentspräsidenten - Martin Schulz. Vor allem in der Union will man davon jetzt nicht mehr viel wissen. Die SPD spricht schon von «Verweigerung und Blockade».
Am Montag und Dienstag wollen CDU-Präsidium und Unionsfraktion erste Pflöcke einschlagen - Merkel soll an die kurze Leine genommen werden. In einem Papier für die Fraktionssitzung heisst es: «Wir dürfen die Europäische Union nicht überfordern» und: «Gute Europäer sind nicht diejenigen, die immer mehr Kompetenzen für die EU fordern». Junckers Vorschlag, einen gemeinsamen Währungsfonds zu schaffen, sei nur mit einer Änderung der EU-Verträge und mit Zustimmung des Bundestags umsetzbar. Also eher nicht.
Der Grünen-Europapolitiker Sven Giegold sagte dazu am Wochenende: «Die Unionsfraktion will die Reform der Eurozone ausbremsen und damit Europas Zukunft vor die Wand fahren. Die pro-europäischen Worte im Koalitionsvertrag entpuppen sich als reine Lippenbekenntnisse.»
Wie geht es weiter?
Unions-Fraktionsvize Ralph Brinkhaus wird mit dem Satz zitiert: «Ich sehe nicht, dass wir auf dem Gipfel Ende Juni substanzielle Fortschritte erzielen.» Genau das hatten sich Merkel und Macron aber vorgenommen. Im Moment sieht es so aus, dass davon wenig übrig bleibt.
(sda/ccr)