Seit Freitag steht die US-Generikaindustrie unter Kartellverdacht: Mehr als 40 Bundesstaaten haben gegen die grössten Hersteller eine Klage eingereicht.

Der Fall hat einen direkten Bezug zur Schweiz: Sandoz, die Generikafirma von Novartis, gehört zu den Beschuldigten. Die Klage läuft gegen total zwanzig Konzerne; mit Sandoz, Pfizer, Teva oder Mylan sind alle grossen Namen der Branche auf der Liste. Parallel dazu werden 15 Einzelpersonen beschuldigt, darunter ein ehemaliger «Director Contracts and Pricing» von Sandoz. 

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Der Verdacht steht schon seit Jahren im Raum. 2016 reichten US-Bundesstaaten eine erste Klage ein. Mit der zweiten Klage steigt für Sandoz und die anderen Firmen das Risiko aber massiv, milliardenhohe Bussen bezahlen zu müssen.

Um was geht es genau?

Der Staatsanwalt von Connecticut, William Tong, spricht vom «grössten privaten Firmenkartell in der Geschichte».

Generika sind ein sehr wichtiges Geschäft für die Pharmakonzerne: Neun von zehn in den USA konsumierten Medikamente sind Nachahmerpräparate. Jährlich werden  in den USA Generika im Wert von fast 80 Milliarden Dollar verkauft. «Wir haben Beweise, wonach die Generikaindustrie einen Milliarden-Dollar-Betrug an den US-Bürger begangen hat», schreibt Chefankläger Tong in einer Mitteilung.

In der Regel herrscht bei Generika harter Wettbewerb. Sobald der Patentschutz eines Medikaments abläuft, dürfen alle Hersteller den gleichen Wirkstoff anbieten. Dieser Wettbewerb drückt die Preise des Generikums in der Regel auf bis zu einem Fünftel jenes des Originals.

Die Hersteller schalteten laut der Anklage den Wettbewerb durch Absprachen aus.

Es ist ein Verdacht, der auch durch Untersuchungen der US-Aufsichtsbehörde  Government Accountability Office (GAO) gestützt wird: So stiegen die Preise bei 300 von 1440 untersuchten Generikamedikamenten innert fünf Jahren um mehr als hundert Prozent.

Was ist die Rolle von Sandoz?

Im Fokus der Untersuchung steht der israelische Hersteller Teva, der globale Markführer im Generikageschäft.

Die Ermittler sehen in Teva die treibende Kraft hinter den Preisabsprachen. Das Unternehmen soll die wichtigsten Konkurrenten – darunter Sandoz – ab 2013 systematisch kontaktiert haben, um Marktabsprachen einzufädeln.

Sandoz und die anderen Konzerne spielen dennoch keine Nebenrolle. Sie sollen auf eigene Faust – ohne Teva – untereinander Absprachen getroffen haben.

Hierzu ein Beispiel: Laut der Anklageschrift hat sich Sandoz mit mit US-Konkurrent Mylan über das Geschäft mit dem Blutdrucksenker Valsartan HCTZ (Diovan) verständigt. «Sandoz und Mylan (...) kamen überein, den Markt so aufzuteilen, dass jeder je etwa 50 Prozent Marktanteil erhielt.»

Sandoz spielt auch aus anderem Grund eine prominente Rolle im Verfahren. Angeklagt ist nicht nur Sandoz, sondern auch ein ehemaliger Vizepräsident des Unternehmens. Und drei ehemalige Mitarbeiter spielten den Ermittlern als «Whisteblower» Informationen zu.

Sandoz weist sämtliche Vorwürfe zurück. «Wir glauben, dass diese Vorwürfe unbegründet sind und werden sie energisch anfechten», schreibt Sandoz-Mutterkonzern Novartis in einer Stellungnahme.

«Wir haben Beweise, wonach die Generikaindustrie einen Milliarden-Dollar-Betrug an den US-Bürger begangen hat.»

William Tong Generic Drugs

William Tong, Attorney General Connecticut

Quelle: Screenshot CBS «60 Minutes»

Was ist neu an dem Vorwurf?

Die aktuelle Klage geht auf 2014 zurück. Damals leitete Connecticut eine Untersuchung ein. Zwei Jahre später, 2016, kam es zur ersten Klage – schon hier gehörte Sandoz  zu den Beschuldigten.

Diese Klage lieferte erst wenige Resultate. Zwei Ex-Pharmamanger bekannten sich bisher schuldig und kooperieren mit der Untersuchung.

«Bis jetzt war es um diese Geschichte bemerkenswert ruhig. Ich glaube, dass die Leute erst jetzt langsam begreifen, um was es geht», sagt Staatsanwalt Tong.

Mit der zweiten Klage setzt die Justiz Druck auf. Und die Konzerne werden von gleich zwei Seiten in die Zange genommen: Das US-Justizministerium hat in gleicher Sache ein Strafverfahren eröffnet.

Connecticut hat mehr als 40 Bundesstaaten für sein neues Verfahren an Bord geholt. Die Anklageschrift ist über 524 Seiten lang und zeichnet ein sehr detailliertes Bild von den Geschäftspraktiken in der Branche. Die Ermittler beschreiben etwa, wie Vertreter der Unternehmen beim Golfspielen oder beim gemeinsamen Nachtessen ihre illegalen Absprachen trafen.

«Das Ausmass der unternehmerischen Gier, die in dieser Anklage aus mehreren Staaten aufscheint, ist herzlos und skrupellos», schrieb der Gouverneur von Nevada, Steve Sisolak, in einer Stellungnahme.

Was droht den beteiligten Unternehmen?

Die Konzerne müssen sich bei einem Schuldspruch auf sehr hohe Bussen gefasst machen. Die Agentur Bloomberg schätzt die mögliche Strafe auf über zwei Milliarden Dollar.

Die USA gehen äusserst hart gegen Kartelle vor. Das musste Roche 1999 erfahren: Damals zahlte der Basler Pharmakonzern mehr als eine halbe Milliarde Dollar wegen illegaler Preisabsprachen bei Vitaminen.

(mbü)