Fielmann muss auch ohne Fielmann gehen. Zum ersten Mal in der Firmengeschichte stellt nicht Vater Günther Fielmann in der schmucklosen Hamburger Firmenzentrale die Geschäftszahlen vor. Dem 79-Jährigen gehe es dem Alter entsprechend, sagt sein Sohn Marc Fielmann und übernimmt die Arbeit an diesem Vormittag.
Vermutlich hält sich der Senior da gerade auf seinem 18 Hektar grossen Landsitz am Lütjensee auf. Seit Monaten gibt es Spekulationen um den Gesundheitszustand des Firmengründers. Aus dem Unternehmen wird er sich dennoch nicht verabschieden.
Ein Ressort für den Patriarchen
Eigens für den Patriarchen wurde das Vorstandsressort «Unternehmensphilosophie» gegründet. Fortan widmet sich Günther Fielmann diesem Thema und bleibt zusammen mit dem Filius Vorstandsvorsitzender. «Diese Rolle teilen wir uns», beschreibt sein 29-jähriger Sohn die Lage. Dies sei nun der «vorläufig letzte Schritt der Übergabe». Sein Vorstandsamt wird sich der Vater in diesem Jahr noch symbolisch mit einem Euro vergüten lassen.
Dabei will der Junior so vieles anders machen. Der Vater hat den Verkauf von Brillen über das Internet stets kategorisch abgelehnt, auch der Sohn nennt die Onlinebrille ein «Zufallsprodukt». Doch nach den ersten drei Jahren im Vorstand will Marc Fielmann nun schrittweise in das digitale Zeitalter des Brillenhandels einsteigen.
Anprobe vor dem digitalen Spiegel
So hat sich das Unternehmen mit rund 20 Prozent an dem französischen Unternehmen Fitting Box beteiligt. Nach eigenen Angaben ist dies der führende Entwickler der digitalen Brillenanprobe und -anpassung. Bereits im laufenden Jahr soll es in den Fielmann-Läden digitale Spiegel geben, auf denen Kunden Tausende Brillen per Computeranimation anprobieren können.
In einem nächsten Schritt werden ausgewählte Brillenmodelle an die Kopfformen der Kunden angepasst. Für diese Technologie hat Fielmann Patente erhalten oder angemeldet. Schwierigkeit sind nach den Erklärungen die Datenmengen und Kameraqualitäten. Kameras auf dem Smartphone sollen dafür noch nicht in Frage kommen, Geräte in den Läden dagegen recht bald.
Sehtest online wird es in absehbarer Zeit nicht geben
Weitaus länger soll es dauern, bis der vor dem Brillenkauf notwendige Sehtest online gemacht werden kann. Lediglich die objektive Sehstärkenbestimmung werde demnächst per Computer möglich sein. «Die individuelle Bestimmung und damit der komplette Test werden jedoch erst in ferner Zukunft technisch machbar sein», sagt Fielmann Junior.
Anders als sein Vater ist Marc Fielmann nicht über die Optikerlehre und den Meistertitel in den Handwerksberuf hineingekommen. Er hat an der London School of Economics studiert, dort mit 21 Jahren einen Bachelorabschluss in Wirtschaft gemacht und danach verschiedene Praktika absolviert.
Fielmann setzt auf das digitale Geschäft
In der Technologie beansprucht Fielmann dennoch für sich eine führende Position. Rund 400 Entwickler und IT-Experten beschäftigen sich in dem Unternehmen mit der digitalen Zukunft. In diesem und dem kommenden Jahr sind Investitionen von 200 Millionen Euro geplant, ein Grossteil fliesst in die Digitalisierung. Finanziert wird dies aus eigenen Finanzmitteln, Schulden werden keine aufgenommen. Die Eigenkapitalquote beträgt bei Fielmann 75 Prozent.
Anders als Wettbewerber wie Mister Spex wird Fielmann also auf Jahre hinaus keinen reinen Onlineverkauf von Brillen anbieten. «Die Lösung ist für uns nicht der Onlineshop, sondern es ist eine Kombination aus Optikergeschäft und Internet», sagt Marc Fielmann. Den Versandanteil für Brillenmodelle schätzt der Vorstandschef für sein Unternehmen im Jahr 2025 auf zehn Prozent ein. Heute liegt er bei null. Konkurrenten vertreiben seit Jahren vorwiegend einfache Ein-Stärken-Brillen über den Onlinehandel. Dieser Marktanteil am Optikergeschäft liegt bei rund fünf Prozent.
Terminvergabe ist Fielmanns drängendstes Problem
Wenn schon keinen Onlineeinkauf, dann werden Fielmann-Kunden wenigstens einen Onlinetermin bekommen. «Hunderttausende Kunden gehen aus unseren Läden wieder heraus, weil sie zu lange warten müssen», beschreibt Marc Fielmann sein drängendstes Problem. Deshalb will das Unternehmen den Ladenbesuch per Vorabtermin einfacher machen. Zudem ist der Verkauf von Kontaktlinsen per Onlinebestellung über eine Fielmann-App möglich.
Allerdings müssen vorher im Optikerladen Auswahl und Anpassung vorgenommen werden. Das Lieblingswort von Fielmann Junior ist an diesem Vormittag der «Omnichannel-Verkauf», bei dem der Eintritt in die digitale Verkaufswelt erst einmal durch die Ladentür führt. Wirtschaftlichen Druck, in das Onlinegeschäft einzusteigen, hat Fielmann nicht.
Wachstum über dem Markt
Noch immer wächst der Marktführer stärker als die Optikerbranche insgesamt. Der Umsatz stieg vergangenes Jahr auf 1,43 Milliarden Euro, dahinter steht ein Absatz von 8,15 Millionen Brillen. Der Vorsteuergewinn erhöhte sich auf 251 Millionen Euro. Daraus errechnet sich eine Umsatzrendite vor Steuern von 18 Prozent.
Das Finanzvermögen des Unternehmens beträgt 312 Millionen Euro, damit sollen nicht näher beschriebene Zukäufe im Ausland finanziert werden. An die Aktionäre sollen aus dem Gewinn 160 Millionen Euro ausgezahlt werden. Die Dividende wird dann um fünf Cent auf 1,90 Euro steigen. Fielmann beschäftigt rund 19’400 Mitarbeiter, vergangenes Jahr sind gut 900 Arbeitsplätze hinzugekommen.
Marc Fielmann kündigt 250 neue Brillenmodelle an
Das Rückgrat des Firmenausbaus sind nach wie vor die derzeit 736 Filialen. Nach Deutschland liegt der Schwerpunkt des Ausbaus nun in Italien und Polen. Danach kommen fünf weitere, jedoch nicht benannte Länder hinzu. «Wir wollen bis zum Jahr 2025 in Kontinentaleuropa jede vierte Brille verkaufen», sagt Fielmann Junior. Umsatz, Absatz und Gewinn sollen in dem Zeitraum jährlich um fünf Prozent zulegen. Für 2025 peilt Fielmann den Verkauf von zehn Millionen Brillen an.
Nicht nur beim Verkauf der Brillen profitiert Fielmann von der Alterung der Gesellschaft. Mit zunehmendem Alter wechseln Brillenträger oft von den Ein-Stärken-Brillen hin zu Gleitsichtbrillen, die dann rund vier Mal so teuer sein können wie das vorherige Modell. Auch im Nebengeschäft mit Hörgeräten wächst der Bedarf. So will das Unternehmen aus den heute 193 Hörgeräte-Läden bis zum Jahr 2025 rund 350 Standorte machen. Derzeit erreicht der Umsatz mit diesen Geräten 73 Millionen Euro, das Wachstum in dieser Sparte ist zweistellig.
Puristische Farben sind im Trend
Offensichtlich will Fielmann auch optisch moderner werden. In den vergangenen Jahrzehnten hat Günther Fielmann die komplette Kollektion ausgewählt, jetzt macht dies sein Sohn. Für das laufende Jahr kündigt Marc Fielmann gleich 250 neue Brillenmodelle an. In diesem Frühjahr sollen darunter Pastelltöne und andere weiche Farben die Brillengestelle prägen. Dominieren sollen puristische Formen aus Metall.
Aus den 1960er-Jahren soll die Cat-Eye-Brille zurückkommen. Für den Herbst verspricht der Junior dann Vinylbrillen mit halbem Rahmen, Vintage-Brillen und weitere Retroformen. Die Brille der zweiten Jahreshälfte 2019 soll filigran aussehen. Kräftige sogenannte Bold-Farben sollen dominieren. Vielleicht wird Vater Fielmann doch noch einen kontrollierenden Blick auf die Auswahl werfen.
Dieser Artikel erschien zuerst bei der «Welt» unter dem Titel: «Was Marc Fielmann anders machen will als sein Vater».