H undertneunzig Franken sind verdammt viel Geld für ein Paar Turnschuhe. Die dann noch nicht einmal zum Rennen taugen, sondern bestenfalls zum Spazierengehen. Egal. Wer cool sein will, trägt Puma. Darauf können sich alle einigen, frisch Pubertierende, um sich ihren Helden aus Film und Sport nah zu fühlen, um die Dreissigjährige voll nostalgischer Gedanken an einst, als sie Anfang der Achtzigerjahre in Puma-Turnschuhen in der D-Jugend im Fussballverein kickten, nicht altern wollende Gutverdiener, die gewandt in Puma-Kluft à la Ex-Model Christy Turlington Yoga üben.
Den Spass lässt man sich gern etwas kosten, und das freut Jochen Zeitz, Chef des deutschen Sportschuhherstellers, ein ziemlicher Schrank von einem Mann, wann immer möglich die obligatorischen Puma-Treter an den Füssen und lieber im Hemd ohne Krawatte als mit. 50 Prozent mehr Umsatz verspricht er für dieses Jahr, 30 Prozent mehr Gewinn. Im Vergleich zu den Grossen der Branche, Nike (Umsatz 10 Milliarden Euro) und Adidas (Umsatz 6,5 Milliarden Euro), ist Puma mit 900 Millionen Euro Umsatz noch ein Winzling, die Nummer fünf der Welt. Aber das Unternehmen wächst und wächst seit Jahren und mit ihm der Aktienkurs, unbeeindruckt von den Kursstürzen der meisten anderen Unternehmen rundum.
Das könnte schön so weitergehen. «Wir wollen die begehrteste Sport-Lifestyle-Marke der Welt werden», tönt das aus dem Mund von Zeitz. Und dann möglichst auch bleiben. Umsatzziel: zwei Milliarden Euro bis 2006.
Leicht wird das nicht.
Das Schicksal des Trends: Er verblasst. Davor ist niemand gefeit. Wenn die Eltern stolz Puma-Schuhe nach Hause schleppen und Landeier in den Szeneklubs Pumas an den Füssen tragen, aber Madonna nicht mehr, dann muss auch Puma nicht mehr sein.
Das Unternehmen tut allerdings einiges, damit genau das nicht passiert.
Zunächst mal der Trend. Den will natürlich jede Firma, die Mode macht, möglichst als Erste wahrnehmen oder – besser noch – setzen. Wissen, was «die Zielgruppen» wollen, und zwar, modetechnisch gesehen, in Epochen entfernten Zeiten, nämlich in zwei Jahren. Die Kollektion für den Sommer 2005 denken sie sich bei Puma jetzt aus.
Die Zielgruppen heissen nicht Zielgruppen, sondern neudeutsch «consumer stations», denn Puma, einst nur in der fränkischen Spiessbürgeridylle von Herzogenaurach zu Hause, in einem Gebäude mit dem Charme eines Achtzigerjahre-Schulzentrums, erklärt sich heute zum «virtuellen Unternehmen», einer Firma von Welt, überall vernetzt. Kreatives Herz der Firma ist das Designlab in Boston, in dem Loft einer Pleite gegangenen E-Commerce-Bude, mit Blick auf die Stadt und aufs Wasser, viel Licht, offenen Räumen. Verwaltung und Produktentwicklung sind in Herzogenaurach, Beschaffung in Hongkong.
Bei Puma beschreiben sie die Zielgruppen so: «Black Station, das sind die Verbraucher, die sich Luxussportprodukte leisten, 27, 28 Jahre alt und älter. Blue Station, die sind innovativ, wollen immer das Neue und legen Wert aufs Design, mehr als auf Funktionalität. Red Station sind die Leute, die Produkte nur für den Sport anziehen, und White Station diejenigen, die einfach Basics kaufen, das weisse T-Shirt.» Schwarz, blau, rot, weiss – so erfährt sich die Welt im Puma-Slang. In diese Welt schickt Zeitz seine meist sehr jungen Mitarbeiter – Designer, Produktmanager und Entwickler – zweimal im Jahr, um Trends aufzuspüren, wie es so schön heisst, in den Orten, an denen Moden üblicherweise entstehen, in New York, Tokio, den europäischen Metropolen.
Erste Qualifikation der Mitarbeiter ist es, sich von den Zielgruppen kaum zu unterscheiden. So wie Tony Bertone. Er fing 1994 bei Puma an, ein 21-jähriger Junge, der gerade seinen Plattenladen ruiniert hatte und gern seine dezidierte Meinung zu Turnschuhen kundtat. Zu Hause in der blauen Station. Inzwischen darf er sich Global Brand Manager nennen und ist so etwas wie der Radar der Firma, was Trends angeht. Er hofft, dass bald einmal Leute Dinge beschreiben als «oh, das ist sehr Puma». Puma als Adjektiv, das so viel bedeutet wie «ein bisschen Punk-Rock, eine Persönlichkeit, die sich selbst nicht zu ernst nimmt, einfach ein bisschen anders».
In dem Sinne ist auch der Idealtypus des Mitarbeiters irgendwie Puma, und Bertone – noch ein wenig mehr Puma als der durchschnittliche Angestellte – sieht seinen Job in nichts weniger als der Aufrechterhaltung einer Liebesbeziehung, darunter tut er es nicht. Puma der eine Partner, der Kunde der andere: «Man muss seinen Partner immer aufs Neue glücklich machen; wenn man annimmt, er sei auf ewig da, verlässt er einen wahrscheinlich.»
Deshalb schleppen die Puma-Leute Mitbringsel aus aller Welt heran – die Idee zum Beispiel, den Puma im Sprung auch auf die Zehenspitze zu sticken, das müsse doch schick aussehen, aber auch die eher trockenen Fakten: Welcher Schuh hat sich wann und wo wie oft verkauft, was macht die Konkurrenz? Oder, ganz handfest, Stoffproben. Diesen Mitbringseln folgen, Puma-Jargon, «briefs», Doppel-DIN-A4-seitige Instruktionen, verfasst von Produktmanagern, ebenfalls meist sportlichen Menschen.
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50 Designer machen sich mit Briefs in der Hand – oder besser noch: im Herzen – daran, Skizzen zu zeichnen. Zum Vergleich: Nike beschäftigt 300 Designer, sechsmal so viele wie Puma, ist aber, gemessen am Umsatz, zehnmal grösser. Ein Verhältnis, das vor allem Gavin Ivester freut, Vice President Footwear und zuständig für alles, was mit Schuhen zusammenhängt. Zeitz hat ihn vor zwei Jahren mit dem Auftrag angestellt: «Unterstütze uns, zu einer designorientierten Marke zu werden.» Zucker für jemanden wie Ivester, einst Industriedesigner beim Computerhersteller Apple und heute, so sieht er das, so etwas wie der Animateur für die Kreativen, und kreativ sein soll möglichst jeder.
Skizzen, Diskussionen mit Ivester, mit Produktmanagern und Entwicklern, neue Skizzen, technische Zeichnungen en détail und irgendwann der erste Prototyp. Den lässt Puma in Asien nähen wie auch später die Endprodukte, zum Teil in denselben Fabriken wie Wettbewerber Nike, der dafür gehasst wird, dass er dort Kinder ausbeutet, aber
Puma wird – so ein Glück für die Firma – dafür nicht gehasst.
Dann sind also die fabelhaften Schuhe genäht, und jetzt kommt es darauf an, nicht wieder all das falsch zu machen, was Puma früher falsch gemacht hat, denn die Schuhe sind ja mehr oder weniger die gleichen geblieben, zumindest zum Teil und extra auch für die 30-jährigen Nostalgiker. Damals, als Jochen Zeitz Chef von Puma wurde, lagen die Puma-Schuhe auf den Grabbeltischen bei Dosenbach aus, 30 Franken das Paar, und quengelnde Kinder wehrten sich: Mama, nicht die, sondern die coolen Nikes, bitte schön. Kaum zehn Jahre ist das her, aber für Zeitz sehr weit weg. Wie verzweifelt muss ein Aufsichtsrat sein, wenn er einen 29-Jährigen als Firmenchef installiert? So jung war Zeitz 1993, hatte zwei Jahre bei Colgate-Palmolive im Marketing gearbeitet und vorher BWL studiert.
Mit Puma angefangen hatte alles mit einem Geschwisterstreit 1948. Adi und Rudolf Dassler gründeten 1924 die Gebrüder Dassler Schuhfabrik. Was dann geschah, darum ranken sich in Herzogenaurach die Legenden. Wahrscheinlich eine Frauengeschichte, die Ehefrauen der Dassler-Brüder konnten einander nicht ausstehen, hört man. Sicher ist nur, dass die Brüder Dassler sich fortan hassten, die Schuhfabrik bei Adi blieb und von nun an Adidas hiess, Rudolf Puma gründete und die Dasslers heute auf dem Herzogenauracher Friedhof weit voneinander entfernt begraben liegen.
Dann kamen das amerikanische Label Nike und die britische Firma Reebok auf den europäischen Markt, aggressiv, mit Gewinnertypen als Werbeträger, diesem Flair der grossen, weiten Welt und schon damals der kostengünstigen Produktion in Asien. Da half alle Tradition nichts bei Adidas und Puma; Adidas raffte sich in den Neunzigerjahren auf, Puma dagegen beinahe gar nicht mehr und versuchte, einigermassen kopflos, möglichst viele Schuhe immer billiger loszuschlagen, um irgendwie den Umsatzschwund zu begrenzen – vergeblich.
Mit der Ramschstrategie war Schluss, als Zeitz Chef wurde. «Wir wollen nicht an jeder Strassenecke Produkte verkaufen», sagt Zeitz. Billig ist igitt, und bezogen auf die Stations heisst Vertrieb mit Verstand bei Puma heute: Schwarz gibt es in teuren Boutiquen, Blau im Trendladen, Rot beim Fachhändler und Weiss überall ein bisschen, auch in Kaufhäusern. Sodass mit den Stations auch gleich geklärt ist, wo ein Schuh verkauft wird und wie teuer er ist. Bloss nicht mehr überall zu haben sein, denn das Ziel heisst ja begehrt sein. Und das werden Puma-Schuhe, hofft Zeitz, wenn einer länger nach ihnen suchen muss und sie nicht jeder trägt.
1993 begann Zeitz mit den üblichen Restrukturierungsmassnahmen: Leute entlassen, Kosten sparen, die Produktion ins Ausland verlagern. Nach einem Jahr war die Firma wieder profitabel, Phase eins. Ab 1997 dann Phase zwei: Sanierung der Marke. Netterweise bestellte Madonna in dieser Zeit für ihre Tournee gleich 19-mal den Mostro, der einem Fahrradschuh nachempfunden ist, mit Klettverschluss und vielen spitzen Noppen an der Sohle. Ohne dass man Madonna darum gebeten hätte. Ein Fest für Puma.
Dass die richtigen Leute Puma tragen, ist vielleicht die einfachste Art, Begehrlichkeiten zu wecken (siehe «Wandelnde Plakatsäulen» auf Seite 46). Die richtigen Leute: Sportler zum Beispiel, die nicht nur gewinnen, das auch, ja, sondern «bei denen Persönlichkeit dahinter steht», sagt Zeitz. Wie Serena Williams oder die jamaikanischen Läufer. Dann Schauspieler und Popstars. Glück für Zeitz, dass der amerikanische Filmproduzent Arnon Milchan über seine Firma Monarchy Regency («Pretty Woman», «JFK») Aktien kaufte, bis ihm 40 Prozent von Puma gehörten, und dann – um den Kurs zu beflügeln – ab und zu Schauspieler in Puma-Kleidern und -Schuhen durch die Filme springen liess, alles umsonst natürlich.
Dass Milchan im Juni seine Aktien verkauft hat, schmerzt Zeitz nur wenig. Erstens wird weiter kooperiert, und zweitens ist Puma inzwischen selbst so weit, dass die Marketingleute um Tony Bertone bei Brad Pitt anrufen und ihm sagen: «Wir hätten da einen Schuh für dich, der passt gut zu dir» – anders als Konkurrent Nike, der das gleiche Standardpaket mit den neusten Produkten an alle als irgendwie interessant definierten Berühmtheiten schickt.
Und dann hoffen sie bei Puma, dass Brad Pitt ihre Schuhe trägt und es ihm viele nachmachen, aber bitte nicht zu viele, damit der Trend sich nicht demokratisiert und so selbst abschafft.
Denn Puma soll begehrenswert bleiben.
Erfolgsfaktor 1
Design
Das Motto: bloss keine Trends verschlafen. Zweimal im Jahr reisen die Puma-Leute in die Metropolen der Welt. Denn der Kunde will umgarnt sein wie in einer Ehe – ohne schöne Mitbringsel, also neue Ideen, droht Liebesentzug.
Erfolgsfaktor 2
Mitarbeiter
Erste Qualifikation der Mitarbeiter ist, sich von der Zielgruppe kaum zu unterscheiden. Puma-Leute sind ein wenig so, wie die Marke sein will: Persönlichkeiten, die sich selbst nicht zu ernst nehmen, etwas alternativ, Punk-Rock.
Erfolgsfaktor 3
Vertrieb
Puma-Schuhe sollen nicht an jeder Strassenecke zu haben sein. Wer suchen muss nach seinem Wunsch-Turnschuh, so das Kalkül, will ihn umso mehr. Was gar nicht sein soll: dass Pumas auf Grabbeltischen ausliegen.
Erfolgsfaktor 4
Marketing
Die einfachste Art, Begehrlichkeiten zu wecken: indem die richtigen Leute Puma tragen. Netterweise bestellte zum Beispiel Madonna für ihre Tournee 19 Paar des Schuhs Mostro – Gratiswerbung für Puma.