Sie haben den Hörgerätehersteller Sonova zum Weltmarktführer gemacht. Wie viele Seiten umfasste der Businessplan, als Sie vor 50 Jahren starteten?
Andy Rihs: Businessplan? Vergessen Sie das. Wir, das heisst mein Partner Beda Diethelm und ich, waren beide überzeugt, schlauere Hörgeräte als die Konkurrenz zu machen. Wir hatten eine Idee, eine Überzeugung, das wars.
Keinen Plan?
Bloss eine grobe Idee, daraus hat sich alles entwickelt. Wir begaben uns auf eine Entdeckungsreise, zogen laufend unsere Schlüsse und wurden immer besser.
Sie übernahmen die Hörgerätefirma von Ihrem Vater. Eine schöne Starthilfe?
Schöne Starthilfe? Der Laden war in einem desolaten Zustand. Aber wir waren ein tolles Team: Beda war der Ingenieur, ich der Kaufmann, beide knapp Mitte 20. Wir waren eine ideale Kombination. Und dann gab es ganz viele Zufälle.
Inwiefern?
Ich kam von Paris zurück in die Schweiz und wollte weiter in die USA. Leider kam mein Umzug in die USA nicht zustande. Also blieb ich in der Schweiz, zumindest vorläufig. Dann kam Beda, und wir übernahmen die Firma von meinem Vater. Ein paar Jahre später stiess mein Bruder Hansueli «Jöggi» zum Team. Die Opportunität formt viel mehr als irgendwelche Pläne. Wir mussten uns immer neu erfinden - faktisch waren wir ein paar Mal pleite.
Die Banken retteten Sie?
Nein. Wir fanden immer Leute, die uns in der kritischen Anfangsphase finanziell unter die Arme griffen. Von den Banken kam nichts. Ich sage immer: Wenn dich die Banken in den ersten zehn Jahren nicht umbringen, haut dich nichts mehr um. Wir hatten nie viel Kapital und mussten im Vergleich zu den mächtigen Konkurrenten Bosch und Siemens innovativer und agiler sein. Das ist die Basis unseres Erfolgs. Hilfreich war auch eine enge Kooperation mit der Wissenschaft und unsere Firmenkultur. Wir sind die Firma mit den Jeans, alle sind per Du. Wir haben keine arroganten Chefs, verstehen uns als Team, als grosse Familie. Heute sage ich nicht ohne Stolz: Wir haben ein ganzes Business angestossen, weltweit.
Daneben haben Sie mächtig diversifiziert. Weil Sie Hörgeräte langweilten?
Nein, langweilig wurde mir nie. Ich bin immer noch zu 100 Prozent dabei.
Wie bitte? Es heisst, an der Generalversammlung 2015 soll Schluss sein, Sie würden aus dem Verwaltungsrat austreten.Blödsinn. Ich bin immer noch ein wichtiger Verwaltungsrat. Jetzt folgt die Generalversammlung 2014, an der ich wiedergewählt werden möchte. Wenn ja, sehen wir an der GV 2015 weiter.
Ein Rücktritt ist nicht geplant?
Ich bleibe, solange mich die Aktionäre und meine Firma dabei haben wollen. Gut, ich verstehe ja auch das eine oder andere vom Metier. Aber es ist schon so: Irgendwann werde ich nicht mehr antreten.
Sie sind mit bald 72 Jahren bereits zwei Jahre über der Altersgrenze bei Sonova.
Die Aktionäre wollen mich offenbar behalten, sonst hätten sie mich längst abgewählt. Ich kann das sogar nachvollziehen. Wenn die Bude gut läuft, warum soll man dann den Verwaltungsrat rausschmeissen? Die Aktionäre sind interessiert, mit dem investierten Kapital zu verdienen. Das haben sie bei Sonova getan. Und das werden sie weiter tun.
Weshalb so zuversichtlich? Die Preise im Hörgerätemarkt sind unter Druck.
10 bis 15 Prozent aller Leute in den entwickelten Ländern brauchen ein Hörgerät, um ihre Lebensqualität zu erhöhen.
Und wie viele haben eines?
Zwischen 2 und 3 Prozent. Dabei sprechen wir von Westeuropa, Nordamerika, Japan, Australien. Da leben etwa eine Milliarde Menschen. Dann gibts aber noch ein paar andere Länder.
Sie müssten Sonova-Aktien zukaufen?
Richtig. Es kommen nun ja auch noch die Emerging Markets dazu, mit Ländern wie China und Indien. Und nicht zu vergessen der Rest der Welt, der sich auch immer weiter entwickelt. Die Börse hat einen guten Riecher für die Zukunft und bewertet dieses Potenzial. Es gibt zurzeit ja weit und breit keine Pille, die besseres Hören garantiert, es gibt auch keine Operationsmöglichkeit wie beim Hüftgelenk. Dank der Digitaltechnologie hat die Performance von Hörgeräten einen Quantensprung gemacht. Diese Entwicklung wird weitergehen. Sonova ist bestens aufgestellt: Wir wachsen jährlich im hohen einstelligen bis zweistelligen Prozentbereich und streben ein Ebita von 20 Prozent und darüber an.
Die Zukunft gehört Implantaten, nicht den klassischen Hörgeräten. Bei den Implantaten schaffen Sie bloss 150 Millionen Franken bei total 1,8 Milliarden Umsatz.
Die Zukunft gehört beiden Segmenten, aber hochinteressante Entwicklungsmöglichkeiten liegen vor allem auch bei den Implantaten. Eine Vision besteht selbstverständlich, dass eines Tages das Implantat komplett implantiert ist - heute ist die Schallaufnahme immer noch ausserhalb des Ohrs, während der Empfänger im Ohr ist. Geräte, welche im Hörkanal verschwinden, gibt es bereits – nur bei Phonak - unter dem Namen «Lyric by Phonak»; diese sind von aussen komplett unsichtbar. Sicherlich werden wir mit unserer Firma Advanced Bionics einen stark wachsenden internationalen Absatz unserer Implantate sehen. Hörgeräte sind keine Prothesen mehr, sondern moderne Kommunikationsgeräte, welche die Sprache selbst in grossem Lärm besser verdeutlichen als das normale Ohren können. Innovation und der Glaube an die Zukunft haben uns von der Nummer 300 zur Nummer eins der Welt gemacht.
Und Sie vom verschuldeten Kleinunternehmer zum hundertfachen Millionär?
Mein exakter Kontostand ist mir egal. Ein Teil meines Vermögens, 0,7 Prozent, liefere ich Jahr für Jahr dem Steueramt ab.
Der Investor, der von der Substanz lebt?
Nicht gerade, es gibt jedes Jahr noch Kursgewinne. Aber die Vermögenssteuer und die Dividendenbesteuerung stören mich. Ich finde beides völlig ungerecht. Egal ob es meiner Firma gut geht oder nicht, ich bezahle Vermögenssteuer. Und die Dividende wird gleich doppelt besteuert. Ehrlich, meine Steuerrechnung ist in gewissen Jahren höher als mein Einkommen.
Sie könnten aus dem Kanton Zürich nach Schwyz ziehen. Eine gute Idee?
Ich bin nicht auf Steuerminimierung aus. Mir gefällt es, wo ich lebe, und ich kann es mir ja auch leisten.
Wie gross ist Ihr Sonova-Paket aktuell?
Ich halte noch 5,5 Prozent an der Firma, das sind 3,7 Millionen Aktien.
Sie reduzierten in den letzten zwei Jahren von 8 auf 5,5 Prozent. Weshalb?
Weil ich Investments getätigt habe. Wenn ich Geld benötige, muss ich Aktien verkaufen.
Sie haben mit BMC ins Fahrradgeschäft investiert – rentabel ist die Gruppe nicht.
Noch nicht, aber ich rechne mit schwarzen Zahlen bis in zwei Jahren. Wir sind dabei, das Unternehmen neu auszurichten, sodass aus den derzeit 140 Millionen Franken Umsatz in den nächsten Jahren auch Gewinne erzielt werden können.
Wie geht das?
Entweder über Zukäufe oder via Fokussierung. Ich bin heute stärker für eine Fokussierung auf Teilbereiche. Mir geht es darum, die Industrialisierung des Velos voranzutreiben. In Amerika entwickelt sich unser Geschäft hervorragend; es ist extrem, wie dort das Interesse am Radsport wächst. In England, einer der grössten Radsportnationen, sind wir ebenfalls gut unterwegs.
Legen Sie immer noch 7000 Kilometer im Jahr im Velosattel zurück?
Mehr. In diesem Jahr war ich in Australien, Frankreich und Italien und sass 45 Tage im Sattel, oft mit Kollegen. Das Fahren erlaubt mir, über Geschäfte und das Leben nachzudenken und anschliessend gut zu essen und ein Glas Wein zu trinken.
Wein statt Isostar?
Wein gibts erst am Abend, zu einem guten Essen, am liebsten meinen eigenen Aureto.
Was fasziniert am Velofahren?
Es ist ein klassenfreier Sport. Ich lernte hunderte von Kollegen übers Rad kennen. Als ich mit 40 Jahren aufs Rennrad stieg, merkte ich sofort: That's my Sport. Egal wie gross das Durcheinander im Kopf ist, nach 30 Kilometern ist alles durchgelüftet. Fahrradfahren hat einen hohen Erholungswert.
Trotz Dopingskandalen sind Sie mit dem BMC Racing Team zurück im Profirennsport – nachdem Sie das Phonak Cycling Team aufgelöst haben. Warum?
Weil sich kein Sport besser eignet, eine Marke bekannt zu machen. Jede Tour de France lockt zwei Milliarden TV-Zuschauer aus der ganzen Welt vor den Fernseher und ist damit die Nummer eins unter den jährlich stattfindenden Sportereignissen.
Die Reputation ist schwer beschädigt.
In den letzten sechs Jahren hat sich vieles grundsätzlich verändert. Der Radsport-Weltverband UCI und Sponsoren sorgten dafür, dass der Sport sauber wurde. Doping im Radsport ist Vergangenheit. Die Kontrollen sind heute viel effizienter. Dopingkontrollen weisen heute Symptome nach und nicht mehr einfach Substanzen wie früher. Die Basis sind die Blutprofile der Fahrer. Spitzenfahrer wie Cancellara werden heute 20- bis 30-mal auf Doping getestet, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Von den 17 000 weltweit durchgeführten Dopingtests in allen Sportarten sind im letzten Jahr allein 5000 Proben von Radsportlern genommen worden. Sie sind heute die Clean Boys im Sport. Und damit die idealen Botschafter für meine Velofirma BMC.
Wenig Freude macht Ihr zweites Sport-Investment, das Stade de Suisse und der BSC Young Boys (YB).
Manchmal schon, bei einem Sieg.
Sie wollen Club und Stadion verkaufen?
Wenn ein Investor mir und meinem Bruder Jöggi morgen 120 Millionen offeriert, würde ich es mir ernsthaft überlegen. Am liebsten wäre mir, wenn eine Berner Investorengruppe anklopfte. Ich finde, Berner sollten den Traditionsclub und das Stadion übernehmen. Es wäre ja auch komisch, wenn Investoren aus Basel den FC Zürich - oder umgekehrt - betrieben.
Sie müssen jedes Jahr Millionen in den Club und ins Stadion stecken, richtig?
Nein, nicht jedes Jahr. Zwischen 2009 und 2011 haben wir gutes Geld verdient. Immerhin ist YB noch immer einer der besten Clubs der Schweiz.
2012 mussten Sie 10 Millionen einschiessen, um den Club über Wasser zu halten.
Das waren Aktionärsdarlehen. Der Club ist übrigens nicht die einzige Aktivität, der Gastrobetrieb und die Events im Stade de Suisse liefern ebenfalls wesentliche Umsatzbeiträge. Wenn wir insgesamt 50 Millionen Franken umsetzen, sind wir gut unterwegs. Derzeit ist es etwas weniger.
50 Millionen?
Ungefähr. Doch wenn YB um den Titel spielt und sogar Schweizer Meister würde, sähe die Rechnung ganz anders aus.
Wie viel zahlten Sie für Club und Stadion?
Sage ich nicht.
Investorenkreise reden von 50 Millionen.
Sagen wir es so: Es war so interessant, dass ich und später mein Bruder einstiegen. Was ich aber nicht voll realisierte, ist die Tatsache, dass zum Fussballstadion auch noch ein Fussballclub gehörte. Immerhin ist YB heute der einzige Club der Super League, der ein eigenes Stadion besitzt.
Gegen welchen Gegner schied YB im Schweizer Fussball-Cup im November aus?
Gegen Le Mont, den Club eines schönes Dorfes bei Lausanne. Wenn der FC Le Mont einer der besten Clubs der Welt wäre, würde ich sagen: Kollegen, ehrenhafte 4:0-Niederlage. Im Ernst: Klar habe ich gelitten und mich aufgeregt.
Wie viel haben die Young Boys am letzten Samstag gegen den FC Aarau verloren?
Ich erzähle Ihnen einen alten Witz: Die Eltern von Hansli lassen sich scheiden. Der Bub will weder in die Obhut des Vaters noch der Mutter – weil beide ihn schlagen. Auf die Frage des Richters, zu wem er sonst gehen wolle, meint er: Zu YB, die schlagen niemanden. Wie heissts so schön: Humor ist, wenn man trotzdem lacht.
Sie sind auch in Neuseeland und in den USA investiert.
Das Weingut in Neuseeland verkauften wir vor anderthalb Jahren, hingegen bin ich im Silicon Valley, in Deutschland und in der Schweiz in zehn Start-ups mit rund 50 Millionen Franken engagiert, schwergewichtig in der Medtech, weil ich mich da auskenne. Das gibt zum Teil interessante Synergien.
Zum Beispiel?
Wir haben die Limmex-Notfalluhr entwickelt. Die Uhr zielt auf Leute, die alt oder gesundheitlich angeschlagen sind. Bei einem Notfall werden mit einem einzigen Knopfdruck bis zu zehn Telefonnummern angewählt. In der Uhr steckt Technologie aus dem Silicon Valley.
Wer verwaltet Ihr Vermögen?
Ich habe ein Family Office mit fünf Leuten. Da werden alle Deals abgewickelt und die Investments betreut.
Werden Ihre beiden Söhne Ihr Firmenkonglomerat einmal erben?
Sie haben kein Interesse, gehen ihren eigenen Weg. Einer ist Filmer, der andere Architekt. Irgendwann werde ich Firmenteile verkaufen. BMC vielleicht einmal dem Management, das Weingut La Coquillade auch.
Keine Enttäuschung, dass die Investments nicht in Familienbesitz bleiben?
Nein. Meine Söhne müssen nicht mein Leben kopieren. Ich wollte und will aus meinen Investments keine grosse Family Company machen. Für Hightech-Firmen wie Sonova und BMC braucht man die besten Leute, alles andere wäre falsch. Mir genügt es, wenn die Söhne Freude und Passion für ihre Aufgaben haben.