So gut wie Kevin Arnold vom Weingut Waterford hätte es ein anderer dieser jungen und erfolgshungrigen Weinmacher mit ihrem furchtlosen Welteroberungsdrang sein können, der uns mit leuchtenden Augen erklärte, was sich in der Weinszene Südafrikas gerade abspielt: «Wir alle stecken in einer Waschmaschine und werden geschüttelt, dass uns schwindlig wird», sagt der Winemaker. «Ist dann mal alles zum Trocknen aufgehängt, wollen wir schauen, was daraus wird.»
Die südafrikanische Weinwirtschaft befindet sich zurzeit tatsächlich in der dynamischsten, spannendsten, aber auch riskantesten Phase ihrer 300-jährigen Geschichte. Fast wöchentlich wird ein neues Weingut lanciert. Die ersten «Garagenweine» oder «icon wines» – wie am Kap das Phänomen der mit grösstmöglicher Sorgfalt in kleinstmöglicher Menge zum höchstmöglichen Preis erzeugten Gewächse genannt wird – sorgen für Aufregung, während parallel dazu industriell arbeitende Kellereien wie Boland saubere, süffige, preisgünstige Tropfen in Grossauflage herausbringen. Die Produktion wächst kontinuierlich. Der Weinexport hat sich in den letzten fünf Jahren mehr als verdoppelt und avancierte damit zum am schnellsten wachsenden Exportzweig der gesamten Ökonomie des Landes.
Als Reise in eine inzwischen untergegangene Welt ist einem der erste Besuch Südafrikas im Herbst des Jahres 1985 in Erinnerung. Es herrschte die bleierne Zeit der Apartheid. Intensiv war zuvor diskutiert worden, ob die Visite angesichts des fast weltweit geächteten und boykottierten Regimes opportun sei.
Die Weinwirtschaft hing am Gängelband des Staats. Es bestanden strenge Produktionsvorschriften, ausgearbeitet und kontrolliert durch den Winzergenossenschaftsverband KWV. Erzeugt wurde fast nur für den Inlandmarkt. Seltsam kontrastierte die verschlafene Atmosphäre mit der gleissenden, scharf konturierten Landschaft. Wie konserviert in einer schwerfälligen, altmodischen Art wirkten im Rückblick auch die Weine.
Von 1996 datiert der zweite Besuch der Rebberge rund ums Kap der Guten Hoffnung. Dessen Name schien ein gutes Omen zu sein. Die alte Regierung hatte abgedankt, Präsident Mandela das Ruder übernommen und das gefährdete Staatsschiff zur grossen Überraschung der Weltöffentlichkeit ohne ernsthafte Havarien aus den Stürmen geführt. Auch die Weinwirtschaft hatte sich taumelnd von den hinderlichen Fesseln befreit. Noch war unklar, wohin die Reise führen würde. Klar war, dass altes, krankes oder krankheitsanfälliges Rebmaterial ersetzt, dass in die Keller und in künftige Märkte investiert werden musste. Doch noch fehlte es an der Investitionsbereitschaft. Viele beurteilten die Stabilität als relativ und trügerisch.
Dieses Jahr nun die dritte Weinreise. In den zurückliegenden sieben Jahren hat sich wesentlich mehr getan als in all der Zeit zuvor. Der Rand, die südafrikanische Währung, befindet sich in erfreulich stabiler Verfassung, ebenso die Wirtschaft. Die augenfälligen sozialen Unterschiede konnte zwar auch die schwarze Regierung nicht beseitigen. Die Entwicklung verläuft weiterhin getrennt – doch zumindest nicht mehr staatlich legitimiert.
Die farbigen Angestellten der Weingüter hatten es schon zu Zeiten der Apartheid besser als ihre Rassengenossen in anderen, weniger familiär organisierten Branchen. Nun wurde ihnen grössere Verantwortung übertragen. Beim Rebschnitt in den Weinbergen oder beim Aussortieren der unreifen Beeren am Selektionstisch haben sie direkten Einfluss auf die Weinqualität. Noch instruiert sie zumeist ein weisser Chef. Jeder Abschlussjahrgang der Stellenboscher Weinuniversität hat aber auch dunkelhäutige Abgänger, welche die Gilde zunehmend aufmischen werden.
Bei den leitenden Angestellten der Weingüter, den Winemakern und Rebkulturisten, ist eine neue Generation von Passionierten am Werk. Offen, neugierig und mit allen Wassern der Önologie gewaschen. Sie vertiefen die Zusammenarbeit zwischen Weinberg und Keller – im Wissen darum, dass ohne hochwertiges Traubenmaterial alles nur Stückwerk bleibt. Ein Betrieb, in dem der Weinmacher den Rebberg nicht kennt, erzeugt keine Spitzenqualität. Oder wie es Schalk-Willem Joubert, Kellermeister des Joint-Venture-Unternehmens Rupert & Rothschild, pointiert und nicht ganz frei von Eitelkeit formuliert: «Der beste Dünger für den Rebberg ist der Fussabdruck des Winemakers.»
Als Konsequenz dieser ganzheitlichen Sicht der Dinge wurden ehemals sakrosankte Prämissen wie Sorten- oder Standortwahl kritisch hinterfragt. Längst nicht jede Rebsorte hatte im traditionellen Weinbau Südafrikas mit seinem mediterranen, manchmal geradezu nordafrikanischen Klima, welches das Sonnenmanagement zur Herausforderung werden lässt, ihren richtigen Standort, ja überhaupt eine Existenzberechtigung.
Heruntergefahren wurde der Anteil der weissen Sorten: Er beträgt heute rund 60 Prozent, wobei die früher allgegenwärtige Chenin-Traube noch immer überwiegt, Chardonnay und besonders Sauvignon blanc im Aufwind sind und in den kühleren, von Meeresbrisen profitierenden Gebieten wie Constantia, Durbanville oder Walker Bay sehr interessante, finessenreiche Weine ergeben.
Bei den Roten verstärkte sich der Anbau von Cabernet, Merlot und vor allem Syrah, von vielen als die aussichtsreichste Sorte betrachtet. Die südafrikanische Pinotage, eine kuriose Kreuzung von Pinot noir und Cinsaut, früher als Hermitage bekannt, entzweit mit ihren Eigenschaften – aufdringlich beeriger, auch bananenartiger Duft und eine stets wie ein Damoklesschwert drohende Bitterkeit im Gaumen – die Weinproduzenten. Man widmet sich ihr mit Leidenschaft oder lässt mehr oder weniger angewidert die Hände davon.
Die meisten südafrikanischen Win-zer sind sich heute einig: Weinstilistisch sitzen sie zwischen Stuhl und Bank. Geschichte, Tradition und die Vorbilder binden das Weinland an Europa. Die Prägung des Weinbaus durch das Klima und weniger durch die Böden bilden Parallelen zu anderen überseeischen Weingebieten. Südafrika ist in Weindingen nicht Neue und nicht Alte Welt. Sondern einziger Neue-Welt-Produzent in der Alten oder, umgekehrt, einziger Alte-Welt-Produzent in der Neuen Welt. Das fordert die Winzer heraus, sich einen dritten Weg zu suchen und dann dessen Charakteristik so zu verfeinern, dass sie zum identitätsstiftenden Erkennungsmerkmal wird.
André van Rensburg, der charismatische Chefönologe des Top-Weinguts Vergelegen, definiert diesen südafrikanischen Pfad als ein Crossover-Menü: Man nehme «die Eleganz und die Wertschätzung der Struktur bei den Weinen der Alten Welt» und mische dies mit «der Reintönigkeit und der klaren Frucht der Neuen Welt». Was dabei herauskommt, wird jetzt zum Trocknen aufgehängt. In wenigen Jahren werden sich wohl darunter Weine finden, die das derzeit noch häufig gehörte Klagelied verstummen lassen, Südafrika fehle es an international reüssierenden und dadurch imagebildend wirkenden Weinikonen.
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