Esoteriker, Abzocker, Narzissten – die Coaching-Szene ist ein Tummelfeld für Scharlatane. Die einen setzen auf Radionik, «eine Schnittstelle zwischen der Raum-Zeit-Struktur und dem Hyperraum». Andere bemühen Farbenergien, Tarot oder Hypnose. Und alle verheissen das reine Glück, nicht nur die Esoteriker.
«Unsere Möglichkeiten sind grenzenlos», verspricht ein Business Coach, «und Sie können diese Grenzenlosigkeit für sich schaffen.» In diesem Markt gibt es alles, nur eines nicht: eine geschützte Berufsbezeichnung. Jeder darf sich Coach nennen, viel zu viele tun es.
Ordnung ins Wirrwarr bringen
Immerhin versucht die Branche, den Wildwuchs einzudämmen. In der Schweiz listet der Berufsverband für Coaching, Supervision und Organisationsberatung (BSO) mehrere Ausbildungen auf, deren Absolventen sich Supervisor oder Coach mit dem Zusatz BSO nennen dürfen, sofern sie auch dem Verband beitreten.
Die International Coach Federation (ICF) und der European Mentoring and Coaching Council (EMCC) haben beide Sektionen in der Schweiz. «Von Mitgliedern dieser Organisationen darf man annehmen, dass sie seriös arbeiten», sagt Professor Hansjörg Künzli vom Departement für Angewandte Psychologie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Vor allem wissen sie, was Coaching überhaupt ist.
«Coaching ist ein Prozess, in dem der Coach seinen Klienten darin unterstützt, seine Leistung zu steigern, sich beruflich und persönlich zu entwickeln sowie ein erhöhtes Mass an Selbstreflexion und Wohlbefinden zu erreichen», erklärt Simone Kauffeld, Professorin an der Technischen Universität Braunschweig.
Unterstützung bei der Selbstreflexion
Coaching unterscheidet sich damit von Beratung, Training oder Mentoring. Beim Training geht es darum, ein bestimmtes Wissen zu vermitteln. Der Mentor kommt meist aus dem gleichen Unternehmen und gibt seine Erfahrung weiter. Der Berater schlägt Lösungen vor. Der Coach hingegen akzeptiert, «dass der Klient mehr über sich selber und seine Umgebung weiss als der Coach», wie Hansjörg Künzli sagt. «Dieser unterstützt ihn lediglich dabei, seine eigenen Ressourcen und Stärken zu sehen.»
Das hindert manche Coaches nicht daran, sich als Psychotherapeut aufzuspielen. Stephanie Aeberli hat an der ZHAW eine Arbeit über «Risiken und Nebenwirkungen von Coaching» geschrieben und dafür Supervisorinnen und Supervisoren befragt. Eine von ihnen ärgerte sich: «Es ist verheerend, wenn einer halbwegs Bescheid weiss und dann anfängt zu psychologisieren.»
Eine andere beklagte sich über jene Coaches, die beteuern, Veränderung brauche Zeit, das dauere noch einmal zehn Stunden. «Sie machen aus dem Coaching eine Geldmaschine. Nichts verändert oder verbessert sich, aber sie haben einen permanenten Auftrag.»
Auswahl ist entscheidend
Es lohnt sich deshalb, Coaches sorgfältig auszuwählen. «Neben einer fundierten Ausbildung legen wir Wert darauf, dass sie die Herausforderungen in einem international tätigen Grossunternehmen kennen und wissen, wie unser Business funktioniert», sagt Jan Schlüter, Leiter Leadership Effectiveness beim Rückversicherungskonzern Swiss Re. «Nur dann können sie auf Augenhöhe mit den Coachees sprechen.»
Neben der Ausbildung und Erfahrung sind gute Referenzen von anderen Unternehmen ein wichtiges Kriterium. Und schliesslich wird jede Bewerberin, jeder Bewerber zu einem Interview eingeladen, gefolgt von einem kurzen Assessment mit einer Coaching-Situation.
Um Stärken und Schwächen identifizieren
Doch die Führungskräfte der Swiss Re erhalten nur dann ein Coaching, wenn sie tatsächlich Unterstützung brauchen und Coaching unter allen anderen möglichen Massnahmen die richtige ist. «Das ist etwa der Fall, wenn eine Führungskraft 60 bis 100 Mitarbeitende durch einen Change Process mit Umstrukturierungen führen muss», erklärt Jan Schlüter. «Den Nachwuchskräften hilft ein Coaching, ihre Stärken und Schwächen besser zu kennen und sich auf die Führungsfunktionen vorzubereiten.»
Bei der Fluggesellschaft Swiss melden sich Führungskräfte zum Teil selber, weil sie Unterstützung suchen, zum Teil zeigt sich der Bedarf nach Coaching, wenn sie mit ihren Vorgesetzten oder den Personalfachleuten über ihre Leistungs- und Potenzialbeurteilung sprechen. Reto Schmid, Head Human Resources, hat schon selber ein Coaching in Anspruch genommen. «In einer komplexen Verhandlungssituation hat mir diese Massnahme sehr geholfen», sagt er. Coaching soll Rückhalt nicht allein in der Human-Resources-Abteilung haben, sondern auch bei hochgestellten Linienvorgesetzten.
Schwimmhilfe für Führungskräfte
«Es geht darum, mittels Coaching an den individuellen Entwicklungsfeldern oder an Stärken einer Führungskraft zu arbeiten», präzisiert Schmid. Das Beispiel Roger Federer zeigt, dass jeder Gute noch besser werden kann, wenn er einen Coach hat. «Coaching ist eine sehr effektive Entwicklungsmassnahme», ist Schmid überzeugt. «Führen lernt man primär dadurch, dass man es macht, also ‹learning by doing›. Bei uns werden Führungskräfte deshalb oft ins kalte Wasser geworfen. Da ist es doch richtig, ihnen rechtzeitig eine Schwimmhilfe zuzuwerfen.»
Die Führungskräfte der Zürcher Kantonalbank (ZKB) wissen, «dass sie bei Bedarf ein Coaching nachfragen und in Anspruch nehmen können», sagt Peter Kobler, Leiter Personalentwicklung. Die Bank verfügt über einen Pool an Coaches, die für Einzelberatungen von Managern ausgewählt wurden. Die Führungskräfte können aus diesem Pool jemanden auswählen, der oder die für ihre Anliegen und Probleme geeignet erscheint.
Klare Rahmenvorgaben
Bevor es so weit ist, bestimmen Unternehmen, was mit dem Coaching erreicht werden soll. «Wir legen Wert darauf, dass der Prozess des Coachings transparent und nachvollziehbar ist», sagt Jan Schlüter von Swiss Re. «Im Vertrag mit dem Coach legen wir das Ziel, die Frequenz der Sitzungen und die Kosten fest.»
Dazu kommt das Feedback des Coachees. «Das ist für uns sehr wichtig», sagt Reto Schmid. «Wir wollen ja nicht, dass sich nach einem halben Jahr herausstellt: Es war nett, hat aber eigentlich nichts gebracht. Deshalb evaluieren wir zusammen mit dem Coachee den Erfolg der Massnahmen.»
Sichtbare Wirkung
Schliesslich kostet Coaching ziemlich viel Geld, abgesehen von der Zeit, die Personalentwicklung und Coachees investieren. Für ihre Studie zum schweizerischen Coachingmarkt befragten Christine Seiger und Hansjörg Künzli von der ZHAW vor fünf Jahren insgesamt 240 Coaches. Im Durchschnitt betreute jeder Anbieter zehn Einzelcoaching-Prozesse mit sieben Sitzungen. Eine Stunde kostete rund 185 Franken. Heute dürften die Honorare, besonders für die erfahrenen Business Coaches mit renommierten Unternehmen als Kunden, deutlich höher liegen. Der Wert der Dienstleistung scheint den Preis zu rechtfertigen.
Nach einer Studie von PricewaterhouseCoopers aus dem Jahr 2012 bestätigen 86 Prozent der weltweit befragten Unternehmen, die Investition in Coaching habe sich gelohnt, 96 Prozent würden die Erfahrung wiederholen. Ein Coaching-Prozess dauert nach der Erfahrung von 70 Prozent der Befragten vier bis zwölf Monate. Das bestätigt die Ansicht Jan Schlüters von Swiss Re: «Nach zehn Sitzungen muss eine Wirkung sichtbar sein.»