Wer hats erfunden? Die Schweiz natürlich. Das gilt nun mehr denn je. Bei der Zahl neuer europäischer Patentanmeldungen pro eine Million Einwohner ist die Schweiz seit dem Vorjahr einsame Spitze und Weltrekordhalter. Und damit nachweislich das innovationsstärkste Land der Welt. Das geht aus dem Patent Index 2021 des Europäischen Patentamtes (EPA) in München hervor.

Mit 969 Anmeldungen pro Million Einwohner ist die Schweiz das Land mit dem höchsten Durchschnittswert bei der Anzahl von Patentmeldungen – vor Schweden und Dänemark. Der Durchschnittswert gilt als der Indikator schlechthin für die Innovationskraft eines Landes.

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Besonders innovationsfreudig ist die Schweiz im Bereich Medizintechnik. Die meisten Anmeldungen entfielen auf die Bereiche Injektions- und Infusionsbesteck sowie Inhalationsgeräte, Anästhesiepumpen und Wunddrainagen (Zunahme um 31 Prozent im Vergleich zu 2020). Der Bereich der Diagnose, zu dem auch Ultraschall- und andere Analysegeräte gehören, nahm gegenüber dem Vorjahr mit einer Steigerung von 33 Prozent noch deutlicher zu. Es ist aus Sicht des EPA das «bedeutendste Technologiefeld».

Patentrekord in einem schwierigen Umfeld

Und das unter erschwerten Bedingungen: «Der Bundesrat hat unsere Kassandrarufe im Zusammenhang mit den Verhandlungen zum Institutionellen Abkommen EU-Schweiz zwar gehört, war aber nicht bereit, sie in die europapolitische Waagschale zu werfen», schrieb Swiss-Medtech-Präsident Beat Vonlanthen noch im März. Der Bundesrat habe die negativen Konsequenzen des Verhandlungsabbruchs für die Medtech-Branche als eine Art «Kollateralschaden» in Kauf genommen.

Dafür, dass diese Branche Forschungskooperationen und regulatorischen Rückenwind für die Expansion über die Grenzen hinweg braucht, tut dies den Neuentwicklungen aber keinen Abbruch.

E-Zigaretten und Swatch sind zwei Treiber

Die zweitmeisten Patentanmeldungen aus der Schweiz kommen aus dem Konsumgüterbereich. Und zwar von den Tabakriesen, welche vorderhand E-Zigaretten als innovative Produkte platzieren.

Auf Position drei – Messtechnik – ist Swatch der Treiber. Konzernchef Nick Hayek tut alles, um vermehrt Elektronik statt Mechanik in den Handgelenksuhren einzubauen. 

Über sämtliche Branchen hinweg ist die Summe aller Patentanmeldungen aus der Schweiz beim EPA auf 8442 im Jahr 2021 gestiegen. Das ist um 3,9 Prozent mehr als im Jahr davor und ein neuer Höchststand. Die Wachstumsrate ist die zweithöchste in einer Dekade. Und hängt Resteuropa damit ab: Der europäische Schnitt liegt bei einem Wachstum von 2,8 Prozent. Insgesamt verzeichnet das EPA 188’600 neue Patentanmeldungen im Jahr 2021.

Roche ist Patent-Königin

Patent-Königin aus der Schweiz ist Roche. Der Basler Pharmariese ist mit 633 Anmeldungen an der Spitze. Rund zwei Drittel der Patentanmeldungen sind für neue Medikamente und ein Drittel stammt aus dem Bereich Diagnostik. Und: «Seit wenigen Jahren melden wir in beiden Divisionen ebenfalls digitale Innovationen – Computer Implemented Inventions – zum Patent an», sagt eine Roche-Sprecherin. 

In den beiden Jahren davor war der Industriekonzern ABB noch führend, diesmal wurde es mit 522 europäischen Patenteingaben «nur» Rang zwei. «Das steht im Zusammenhang mit der Abspaltung eines Bereichs an Hitachi», sagt EPA-Sprecher Luis Berenguer.

Die Zahl der Patentanmeldungen ist ein Frühindikator für Investitionen von Firmen in Forschung und Entwicklung. Patentexperten rechnen nun mit einer Erhöhung der Forschungsbudgets und einer Flut neuer Produkte der in der Liste genannten Unternehmen:

Das Kalkül Chinas

Überraschend ist die Zunahme der Patentanmeldungen in Europa, die aus China stammen. Diese haben sich in den vergangenen zehn Jahren mehr als vervierfacht. Allein in den vergangenen zwei Jahren haben sich chinesische Patentanmeldungen aus China in Europa um 24 Prozent erhöht. 

Heute entfallen bereits 30 Prozent aller Patentanmeldungen im Bereich Digitale Kommunikation auf China. In absoluten Zahlen sind derzeit noch die USA führend, gefolgt von Deutschland und Japan. An vierter Stelle folgt China, die Schweiz belegt Platz 7.

Hinter dem Vorstoss Chinas steckt Kalkül: Wer seine Entwicklungen in Europa anmeldet, hat auf einem der grössten Absatzmärkte der Erde den Fuss in der Tür. Bekanntermassen versuchen Unternehmen aus dem Reich der Mitte seit vielen Jahren in den Bereichen Infrastruktur, Telekommunikation und Maschinenbau von Portugal bis Polen öffentliche Ausschreibungen zu gewinnen und mit eigenen, deutlich günstigeren Produkten zu punkten.

Weil beim EPA als weltweit führende Patentinstitution die Fäden sämtlicher innovativer Unternehmen zusammenlaufen, können Erfinder einen Patentschutz in bis zu 44 Staaten erlangen, die zusammen einen Markt von rund 700 Millionen Menschen erreichen.

Telekomkonzern Huawei führend

Shooting Star aus China in Europa ist der Telekommunikationsausrüster Huawei, der sich seit Jahren bei Patentanmeldungen ein Match mit den Südkoreanern Samsung und LG liefert.

Das überrascht allein schon deshalb, weil Huawei als chinesischer Konzern von mehreren westlichen Volkswirtschaften aufgrund von Sicherheitsbedenken teilweise oder völlig verbannt wurde. Klar ist, Asien dominiert und stellt die Patentaktivitäten der Europäer auf ihrem Heimmarkt in den Schatten.

Gesamteuropa auf dem absteigenden Ast

Das grösste Wachstum bei neuen Patenten verzeichnen chinesische Firmen 2021 in Europa. Wohingegen sich die Innovationskraft von Unternehmen aus 38 Mitgliedstaaten der Europäischen Patentorganisation (EPO) zusammen nur um 2,8 Prozent erhöhte.

In Deutschland und Frankreich stagnierten die Aktivitäten mehr oder weniger, die Patenteingaben aus Grossbritannien gingen sogar leicht zurück. Spitzenreiter in Europa und nach der Schweiz sind Schweden (+12 Prozent), Finnland (+11,2 Prozent) und Dänemark (+9,2 Prozent).

Patentanmeldungen der Kantone: Das Waadtland führt

Bei den europäischen Patentanmeldungen aus der Schweiz ist die Waadt der innovationsstärkste Kanton (13,5 Prozent der europäischen Anmeldungen aus der Schweiz). Gefolgt von Zürich (12,2 Prozent) und Basel-Stadt (12 Prozent). Auf Platz vier folgt Aargau (10,9 Prozent), dann Genf (9 Prozent) und auf Platz sechs Neuenburg (8,2 Prozent). Diese sechs Kantone gehören bezüglich Patentanmeldungen zu den 30 führenden Regionen Europas. Frankreich hat nur zwei Regionen unter den Top 30, Deutschland sieben.

Treiber sind Nestlé und Tetra Laval

Die starke Position der Waadt ist auf Unternehmen zurückzuführen, die im Wesentlichen für den hohen technologischen Spezialisierungsgrad der Schweiz in ihrem Fachgebiet massgebend sind, allen voran in der Lebensmitteltechnologie und dem Konsumgütersektor. Im Waadtland beheimatet sind Unternehmen wie Nestlé und Tetra Laval.