Allenfalls als Darts-Zielscheibe fände ein Waschmaschinenplakat der Firma V-Zug Verwendung im Club der Schweizer Kreativwerber, die sich alljährlich gegenseitig mit Dutzenden von Gold-, Silber- und Bronze-Auszeichnungen bewerfen. Daran ändert auch Martina Hingis wenig, die «im Doppel mit Zug» spielt, selbst wenn sie inzwischen wieder auf den Tennis-Courts aufschlägt und nicht mehr nur für einen Waschmaschinenhersteller die biedere Hausfrau mimt. Dass diese Kampagne der grössten Schweizer Werbeagentur, Publicis, heuer dennoch an der Verleihung des Schweizer Effie-Preises, der die Werbewirksamkeit und nicht die reine Kreativität misst, zumindest ein Diplom gewonnen hat, deutet erste Veränderungen im Schweizer Werbemarkt an.
Die Werbebranche hat in jüngster Zeit die schmerzliche Erfahrung machen müssen, dass auch sie nicht mehr vom Kostendruck verschont bleibt. Werbekunden wollen zusehends wissen, ob sich das Geld, das sie in Kommunikationsleistungen stecken, auch wirklich auszahlt. Zwar gibt es auch in der Schweiz seit 1985 einen Preis für marktwirksame Werbung, den Effie, doch ist es der Branche lange nicht gelungen, den Vorwurf zu entkräften, dass die Werber sich diese Trophäen gegenseitig zuschanzen, um so die Auftraggeber zufrieden zu stellen. In der Tat war die vorletzte Verleihung der Effie-Preise im Jahr 2003 annähernd identisch mit der Vergabe der reinen Kreativpreise, die der Art Directors Club der Schweiz in einem verschworenen inneren Zirkel seit Jahren zelebriert. Oft wurden Werbekampagnen völlig unabhängig von allgemeinen Marktentwicklungen mit Preisen überhäuft, ohne dass auch nur der geringste Beweis dafür erbracht wurde, ob diese Kampagnen für Umsatzgewinne oder Verkaufserfolge auch wirklich massgebend waren. Konjunkturelle Schwankungen wurden konsequent ausgeblendet, Kritik mit dem Verweis vom Tisch gewischt, Werbung sei eben keine exakte Wissenschaft. Wer die Kreativität hinterfrage, mache diese kaputt, so die knappe Antwort vieler Werber.
Obwohl bis heute exakte Zahlen fehlen, geht man in der Branche davon aus, dass die Bruttowerbeeinnahmen der Schweizer Werbeagenturen seit der Jahrtausendwende um 30 bis 40 Prozent gesunken sind. Im Dutzend mussten die Agenturen in den vergangenen Jahren Mitarbeiter entlassen, namhafte Werber sind in der Versenkung verschwunden, und Klatsch über frühpensionierte Werber, die sich mit 50 auf ihre Hacienda in Südandalusien oder ihr Weingut in der Toscana zurückgezogen haben, gehört der Vergangenheit an.
Die Branche hat erkannt, dass sie sich neu positionieren muss, um wieder an Glaubwürdigkeit zu gewinnen und vor allem um den zusehends mit Kosten-Nutzen-Forderungen kämpfenden Auftraggebern entgegenzukommen. Denn nach wie vor nimmt die Markenkommunikation ab, Auftraggeber und Medien verlieren den Glauben daran, dass Werbung auch Umsatz generiert.
Entsprechend haben die Werber unter der Führung des Bundes Schweizer Werbeagenturen (BSW) deshalb die Vergabe des Effie-Preises auf ein neues Fundament gestellt. Ein Fundament zwar, das noch etwas fragil ist und dessen Standhaftigkeit sich in den kommenden Jahren noch bewähren muss. Eine Basis aber auch, die berechtigte Hoffnungen weckt, dass der Wirksamkeit von teuren Werbekampagnen künftig mehr Gewicht zugestanden wird. Unter der Leitung des auf diesem Gebiet erfahrenen und am Institut für Marketing und Unternehmensführung der Universität Bern tätigen Professors Richard Kühn wird seit 2006 nach einem völlig neuen Modus bewertet. Aus Deutschland wurde ein Online-System übernommen, das nicht nur von den Bewerbern genutzt wird, sondern auch für die Bewertung. Bevor die Jury überhaupt mit ihrer Arbeit beginnt, nimmt ein Expertenquartett eine erste Vorselektion vor und scheidet jene Fälle aus, die den Effizienz- und Effektivitätsnachweis nicht oder nur ungenügend erbringen können. Erst dann setzt die neu zusammengesetzte Jury aus Medienvertretern, Auftraggebern und Medienprofis mit der individuellen Bewertung ein. Jedes Jurymitglied verteilt Punkte für die Marktleistung, die für zwei Drittel der Gesamtpunktzahl stehen. In einer letzten Runde erst kommen die Mitglieder zusammen, bewerten gemeinsam noch die Kreation und erstellen die Schlussrangliste.
Die Gewinner der Effie-Preise mit den besten Werbern gleichzusetzen, ist dennoch nicht zulässig. Denn viel hängt davon ab, ob ein Kunde bereit ist, die notwendigen Marktzahlen zur Verfügung zu stellen. Oder ob er überhaupt über die notwendigen Kennzahlen verfügt, die den Effizienznachweis ermöglichen.
Dass nicht nur Erfolg hat, wer versucht, die Werbung neu zu erfinden, beweist die Berner Agentur Contexta, die an der diesjährigen Preisverleihung mit zwei Gold-Effies und einem Spezialpreis als grosse Siegerin hervorgegangen ist. Vor allem dank ihrer Kampagne mit den Werbe-Sitcoms «Beck & Bondi» für die Fixnet-Dienste der Swisscom haben die Berner bewiesen, dass sich selbst mit alten Rezepten gute Erfolge erzielen lassen. Als Erste haben Sie erkannt, dass die klassische Soap Opera, mit der früher die Seifenproduzenten schon um Kunden gebuhlt haben, mit neuen Ideen und modernerem Erzählstil durchaus Erfolg haben kann. Was auch immer man von den Spots hält – die Contexta-Werber konnten doch den Nachweis erbringen, das Image der Swisscom im Festnetzbereich mit ihrer Kampagne verbessert zu haben. Trotz immer kompetitiverem Marktumfeld gelang es der Swisscom so, ihre Marktanteile zu halten und diese bei der Einsteigergeneration der 15- bis 26-Jährigen gar markant zu steigern. Und mit ihrer Kampagne für den vom Mythos der geheimnisumwobenen Kräutersulz druchtränkten Appenzeller Käse haben die Berner nachweislich dazu beigetragen, dass der Absatz für diese Delikatesse innert Jahresfrist um 14 Prozent gestiegen ist, wohlgemerkt in einem relativ stagnierenden Käsemarkt.
Das Gleiche gilt für die ebenfalls mit Gold gekrönte Kampagne der kleinen und alteingesessenen Zürcher Werbeagentur Sulzer, Sutter, der es nicht erst in jüngerer Zeit gelungen ist, die Schweizer Zigarettenmarke Parisienne neu zu positionieren und für dieses einst bei jüngeren Rauchern verpönte Produkt ein Image der «Parisienne People» zu schaffen, dem selbst die grossen und weltweit verbreiteten Zigarettenmarken nichts entgegenzuhalten hatten. In einem zusehends von Radikalität und Stigmatisierung geprägten Markt ist es den Parisienne-Werbern so gelungen, der Marke allein im Jahr 2004 zu einem Marktanteilszuwachs von nahezu einem Prozent zu verhelfen.
Die Sieger der diesjährigen Verleihung der Effie-Preise gehören für einmal nicht zu den grossen Zürcher Agenturen, die den Schweizer Markt beherrschen. Es gelang zwar immer mal wieder dem einen oder anderen Aussenseiter, einen Erfolg einzuheimsen, doch die diesjährige Preisverleihung ist ein Indiz dafür, dass es dem BSW gelungen ist, dem Effie neues Leben und vor allem eine höhere Glaubwürdigkeit einzuhauchen.
Vergleicht man mit den Preisverleihungen früherer Jahre, so fällt vor allem auf, dass mit dem neuen Konzept die Zahl der Spitzenplatzierungen deutlich nach unten korrigiert wurde. Von 49 Kampagnen, die es 2006 in die Endrunde geschafft haben, wurden drei mit Gold, drei mit Silber und elf mit Bronze geehrt. Dreissig Einreichungen wurden bereits in der Vorauswahl ausgeschieden, da sie den nötigen Effizienz- und Effektivitätsnachweis nicht erbringen konnten. Damit erhielten noch ein Drittel der Endrundenteilnehmer das begehrte Edelmetall. In früheren Jahren noch wurde jede zweite Kampagne mit einem Edelmetall-Effie geehrt, sodass keine grössere Agentur ohne eine Trophäe nach Hause gehen musste. 1997 etwa teilten sich Publicis, Advico Young & Rubicam, Wirz, die GGK Basel und Aebi, Strebel die Preise praktisch unter sich auf, und auch 2003 noch räumte der Branchenführer Publicis die Gold-Effies alleine ab. Zwar waren einige dieser ausgezeichneten Kampagnen auch aus heutiger Sicht durchaus preiswürdig, doch war die Enttäuschung bei den kleineren und mittleren Agenturen so gross, dass die Gerüchte über Mauscheleien und selbst Beschimpfungen von Jury-Mitgliedern nicht selten waren. «Ich habe heuer nicht eine einzige Klage gehört, und in der Gerüchteküche ist es so still wie noch nie», sagt heute Curdin Janett, CEO von McCann Erickson Schweiz, der als notariell ausgeloster Agenturvertreter in der diesjährigen Effie-Jury mitgewirkt hat.
Die Branche hat wieder mehr Vertrauen in den eigenen Preis gefasst, was auch die Rekordzahl der eingereichten Kampagnen zeigt. Die Berner Contexta etwa war dieses Jahr erst zum zweiten Mal dabei, auch andere Agenturen zeigten sich williger, sich dem Urteil einer Jury auszusetzen. «Das neue Konzept stösst auf breite Zustimmung in der Branche, auch wenn wir diesmal für den Effie mehr Geld ausgegeben haben, als wir durch Sponsoring wieder einfahren konnten», sagt BSW-Geschäftsführer Walter Merz. «Offensichtlich wird das System der Jurierung heute als neutraler beurteilt, als dies früher der Fall war.»
Und dies, obwohl auch in den vergangenen Jahren in der Werbeforschung keine grossen Fortschritte erzielt wurden. Nach wie vor sind die Effizienz- und Effektivitätskriterien von Marktforschungsergebnissen abhängig, die nicht in allen Fällen über alle Zweifel erhaben sind. Und der Faktor Glück spielt nach wie vor eine Rolle, was es den Auftraggebern nicht einfacher macht, an die Machbarkeit des Erfolgs zu glauben.
Ein klassisches Beispiel dafür stammt nicht ganz überraschend aus dem Bereich des Sponsorings. So hat die Schweizerische Mobiliar viel Geld in den Film «Mein Name ist Eugen» investiert und diesen auch für die eigene Werbung genutzt, indem die Werbeagentur Publicis mit Elementen des Filmes und kleinen Änderungen Promotions-Trailer produziert hat. Trailer, die auf grosse Zustimmung und Akzeptanz gestossen sind. Das für die Schweizer Werbebranche sehr mutige Engagement der Mobiliar hat sich durchwegs ausbezahlt, für ihre Werbekampagne wurden Publicis und Mobiliar mit einem Bronze-Effie ausgezeichnet. Im Nachhinein scheint dies zwar plausibel, weil «Mein Name ist Eugen» nicht nur zum besten Schweizer Film ausgezeichnet wurde und auch im Ausland zahlreiche Preise eingeheimst hat. Auch avancierte er zum meistbesuchten Schweizer Kinofilm des vergangenen Jahrzehnts. Doch: Wie weit hängt der Erfolg der Werbekampagne vom Erfolg des Filmes ab? Und wäre die Werbekampagne auch so erfolgreich gewesen, wenn sich der Film als Flop entpuppt hätte? Anhand dieses Beispiels zeigt sich, dass es nicht ganz einfach ist, für die Werbekunden eine Grundlage zu schaffen, um sie von der Marktwirksamkeit einer Kampagne zu überzeugen. Sicher hat sich in diesem Fall der Mut ausbezahlt. Belohnt wird auch, wer ein Risiko auf sich nimmt und dabei das Glück hat, auf das richtige Pferd gesetzt zu haben. Anzunehmen ist allerdings auch, wie Erfahrungen von Effie-Verleihungen in anderen Ländern zeigen, dass mit auf Sponsoring basierenden Kampagnen kaum Gold geholt werden kann und dass eine Kampagne wie jene mit den Eugen-Mobiliar-Trailern es allenfalls zu Bronze schafft. Und dies trotz reifer kreativer Leistung und wahrscheinlich hoher Effizienz.
Ein anderes Paradox zeigt sich bei der Effie-Bronzemedaille für die Kapitalerhöhungskampagne der linken Zürcher «Wochenzeitung» («WOZ»). Zwar wurde das Ziel der Sammelaktion von 500 000 Franken mit einer witzigen Aktion unter dem Titel «Die Kapitalerhöhung» mehr als übertroffen, doch ist die Zahl der Leser auch im vergangenen Jahr wieder um einige tausend gesunken. Was einen Grund dafür aufzeigt, weshalb Werbung für Medien es so selten zu einem Effie schafft. Trotz grossem finanziellem Aufwand wird nämlich selten erreicht, was tatsächlich das Ziel ist: mehr Leser und damit eine höhere Auflage, was direkt auch zu höheren Inserateeinnahmen führt. Entsprechend haben es in den vergangenen zehn Jahren Medienkampagnen nur selten geschafft, wirklich effizient zu sein, obwohl die Medienbranche nach wie vor zu den Sektoren gehört, die am meisten Geld in die Werbekommunikation stecken.
Schwierig ist es nach wie vor, die Effizienz von Werbung für Investitionsgüter, für Non-Profit-Organisationen oder für Finanzdienstleister nachzuweisen. Da vor allem Kampagnen für Verbrauchsgüter, fassbare Dienstleistungen und den Handel in den vergangenen Jahren bei der Preisverleihung dominiert haben, gibt es aber doch Branchen, bei denen die Werbung mit einigermassen verlässlichen Mitteln auf ihre Wirksamkeit hin untersucht werden kann. Zudem dürfte es ein Indiz dafür sein, dass sich Markenwerbung in diesen Bereichen für die Auftraggeber auszahlt. Und dies selbst dann, wenn man Martina Hingis das Hausfrauendasein schon vor ihrem Wiedereinstieg ins Profitennis nicht wirklich abgekauft hat.