Die Kisten stehen zum Abtransport bereit, zu Türmen gestapelt, gefüllt mit Akten und Material, ettiketiert. Eine Firma zieht um, der Kopf einer ganzen Gruppe gar. Bald schon operiert das Management der Phoenix Mecano nicht mehr vom rechten Zürichseeufer, sondern von Kloten aus.
Die Nähe zum Flughafen sei es primär, welche die Chefetage des im globalen Konzert mitspielenden Komponentenherstellers (Jahresumsatz 2002: 324 Mio Euro) zur Dislokation veranlasst habe, bemerkt Werner Karlen, der neue operative Leiter der Holding. Für ein Unternehmen, das dezentrale Strukturen aufweist und über Töchter in Ost und West verfügt, zweifelsohne ein Plus. «Die Wege werden kürzer, wir sind einfacher zu erreichen und gelangen umgekehrt schneller an unsere Zieldestinationen», sagt Karlen, der zusammen mit Benedikt Goldkamp, dem Konzernchef und Sohn des Firmengründers Hermann Goldkamp, künftig die Geschicke des Unternehmens mit 3800 Mitarbeitern leiten wird.
Dies in einer Zeit, in der es der Branche alles andere als gut geht. Da kann ein Umzug auch als Zäsur erachtet werden, als willkommenes Momentum, das dem Betrieb neuen Schub verleiht. Ebenso wie die Tatsache, dass mit dem 34-jährigen Goldkamp und dem nur um zwei Jahre älteren Karlen beim Komponentenhersteller nunmehr zwei Vertreter der jungen Garde das Sagen haben.
Viel Kaffee, aber koffeinfrei
Beide, so betont der neue Direktionspräsident, hätten sie denn das Heu auch auf der gleichen Bühne, würden sie gut harmonieren und die Probleme auf ähnliche Weise angehen. Einig sind sie sich darin, dass nach den massiven Einbrüchen der Vorjahre die Umsatz- und Kostenziele erreicht werden müssen. Das letzte Quartal des abgelaufenen Jahres lässt diesbezüglich Hoffnung aufkommen: Sowohl beim Umsatz als auch bei den Aufträgen konnte Phoenix Mecano eine Steigerung verzeichnen. Mit einer Optimierung in der Organisation und einer Steigerung der Flexibilität will das Unternehmen, dessen Grundkapital zu 30% von der Gründerfamilie Goldkamp kontrolliert wird, zumindest eine Stabilisierung herbeiführen.
Werner Karlen sitzt an diesem Tag noch in seinem alten Büro an der Küsnachter Seestrasse. Zwischen Umzugskisten und zwei verwaisten Topfpflanzen erledigt er, so gut es geht, das Tagesgeschäft. Eine ganze Kanne Kaffee hat er im Zuge dessen bereits geleert Karlen, ein Koffeinjunky, ergo ein Herzkasperlkandidat? «Nein», lacht er, und hinter der feingerandeten Brille blitzt ein sichtlich amüsiertes Augenpaar auf, «das ist Kaffee Haag, koffeinfrei».
Das Telefon schellt, Karlen hebt ab, keiner dran. Oder, was auch möglich ist in diesen Tagen, die Leitung wurde bereits gekappt. Karlen setzt sich wieder. Es klopft. Vor der Tür steht Konzernchef Goldkamp und will seinen COO einigen Geschäftspartnern vorstellen. Karlen verabschiedet sich zwischenzeitlich, um fünf Minuten später mit zufriedenem Gesichtsausdruck zurückzukehren.
«Genau, ich bin nicht der Typ, der sich so rasch aus der Ruhe bringen lässt», sagt er. Wenn er so dasitzt, sich die Zeit für ein Gespräch nimmt und geduldig aus seinem Leben erzählt, dann nimmt man ihm das sogar ab. Kunststück auch, eben gerade sind er und Ehefrau Dagmar zum zweiten Mal Eltern geworden. Ein Bub. Da weiss der 36-Jährige nur zu gut, was es heisst, auf plötzlich eintretende Begebenheiten schnell zu reagieren, unter Druck zu agieren, zu improvisieren und ob alledem den Kopf nicht zu verlieren.
Was ihn dennoch aus der Ruhe bringen kann? Karlen überlegt kurz, verschränkt die Arme, wirft ein Bein über das andere. «Was mich gehörig nervt, sind Leute, die können, aber nicht wollen.» Fachleute, die eine Aufgabe zwar beherrschten, diese aber nicht richtig erledigten, das könne und wolle er nicht akzeptieren. «Wenn es um die Arbeit geht, dann bin ich ein Präzisionist», bemerkt er und löst die verknoteten Arme vor seiner Brust, gerade so, als ob er von seinem Gegenüber eine Bestätigung für seine Meinung einfangen wollte.
Schliesslich, das vergegenwärtige der Alltag immer wieder, zögen die Unzuverlässigkeit und Schludrigkeit eines Einzelnen einen ganzen Rattenschwanz an Problemen nach sich. «Der Arbeitskollege leidet darunter, das Produkt, der Kunde ist unzufrieden, das Renommee der Firma leidet und irgendwann ist dann vielleicht auch der eigene Arbeitsplatz von den begangenen Fehlern betroffen.» Kleine Ursachen zeitigten mitunter eben grosse Wirkung. Darüber sei man sich als Einzelner vielleicht nicht immer im Klaren. Leider.
Stationen bei ABB und McKinsey
Wer Karlen gegenübersitzt, der merkt schnell einmal, dass da einer spricht, dem das Analysieren liegt. Von ungefähr kommt dieser Zug nicht. Bevor der 1967 in Brig geborene Sohn eines Transportunternehmers bei Phoenix Mecano einstieg, war er drei Jahre lang für McKinsey als Berater tätig, vorab im Bankensektor. Das prägt. So sei etwa der Qualitätsanspruch in Bezug auf die Arbeit und die damit verbundene Disziplin «fantastisch» gewesen, habe die persönliche Denkweise sich in die Tiefe entwickelt, seien Probleme stets aktiv angegangen und nicht zerredet worden. Betriebswirtschaftslehre, so abgedroschen es auch klingen möge, habe er nicht im Studium, sondern in der Praxis als Unternehmensberater gelernt.
Seine Laufbahn in Angriff genommen hat Werner Karlen bei der ABB in Baden. Als frischgebackener Ingenieur liess er sein an der ETH erworbenes Fachwissen vor allem in die Entwicklung von Turbinen einfliessen. Nebenbei schrieb er an seiner Dissertation, die sich mit der Produkteentwicklung im Kraftwerksbau beschäftigte. Dies sei zwar mit Engagement passiert, sagt Karlen, jedoch nie um des Doktortitels willen. «Ich war nicht wild auf den Doktor, ich war wild auf arbeiten», erinnert er sich. Motivationsspritze beim Entwickeln von Theorien war ihm letztlich der Umstand, in der Praxis gemachte Erfahrungen vom wissenschaftlichen Standpunkt aus beleuchten zu können.
Nach Abgabe der Dissertation stellte sich ihm dann die Frage: Und jetzt? Karlen betrachtete die Situation pragmatisch: «Eine klassische Ingenieurskarriere geht im Fünfjahresrhythmus vonstatten, das schien mir zu lange.» Ein halbes Jahr lang schob er den Entscheid dennoch vor sich her, ein adäquates Angebot von McKinsey anzunehmen. Dann sagte er zu, verabschiedete sich von Baden und zog nach Zürich. «Klar war für mich aber immer, dass ich irgendwann einmal selber in den operativen Bereich eines Unternehmens wechseln würde.»
Ein Vorhaben, das sich im letzten Mai verwirklichen liess. Karlen trat nach drei Jahren bei der Biella-Gruppe (Leiter Operations) in die Dienste der Phoenix Mecano ein und verstärkte dort zuerst die Gruppenleitung als Direktor für strategisches Controlling und Planung. Per 1. Januar erfolgte die Berufung zum Direktionspräsidenten und Chief Operating Officer COO. Hier traf er auf einen alten Bekannten: Benedikt Goldkamp, der wie Karlen bei McKinsey als Berater tätig gewesen war.
Sich selber sieht der sportlich wirkende Manager als Teamplayer, der versucht, «die Meinung von vielen Leuten auf einen Nenner zu bringen». Für ihn sei es wichtig, dass Entscheide offen kommuniziert und von den Mitarbeitern verstanden würden. «Ich bin kein Fantast, dem man ein A für ein O vormachen kann, ich sehe die Sachen so, wie sie sind.» In der Geschäftsführung ist ihm der Konsens wichtig. Denn wenn keiner vorhanden sei, sei wohl auch das Problem nicht richtig erkannt worden, bringt er seine Theorie auf den Punkt. Und wieder lösen sich die vor der Brust verschränkten Arme, um mit einer sich öffnenden Bewegung Zustimmung einzuholen.
Karlen redet nicht einfach daher, seine Sätze haben Hand und Fuss. Lieber legt er eine kurze Denkpause ein, als dass er eine Plattitüde oder gar Unbedachtes von sich gibt. Pragmatisch ist er, analytisch in seiner Denkweise, und dass Vorsicht die Mutter der Porzellankiste ist, diese Weisheit kennt der Einmalwöchentlichjogger nicht nur aus dem Geschäftsalltag. Auch beim Ausüben seiner grossen Leidenschaften werden Nachlässigkeit und allzu grosse Hast postwendend bestraft.
Folgenreicher Sturzam Bishorn
Als da wären das Motorradfahren, das Segeln unter anderem gings im Schoner rund um das Kap Horn der Antarktis entgegen und das Bergsteigen (etwa Mont Blanc, Matterhorn). Einmal, Karlen holt ein Blatt Papier hervor und fängt an zu skizzieren, nützte indes alle Besonnenheit nichts. Auf einer Tour durch die Bishorn-Ostwand setzte er bei dichtestem Nebel den Ski statt in den Schnee über einen Abgrund. Die Folge war unvermeidbar ein 600 Meter währender Sturz (der rote Stift saust auf das Blattende zu), der sein schmerzhaftes Ende in einer Gletscherspalte fand.
Mit Blessuren am ganzen Körper sass Karlen da und harrte seiner Rettung. Denn dass er gerettet werden würde, das war ihm, dem realistischen Optimisten, sowieso klar. Schliesslich, so seine Überlegung, hatten die während des Sturzes verloren gegangenen Ausrüstungsgegenstände eine heisse Spur zu seinem Aufenthaltsort gelegt. Sechs Stunden später erhielt Karlen eine Bestätigung seiner Annahme: Vor ihm tauchte ein Helikopter auf und befreite ihn aus der misslichen Lage. Es war das Erlebnis, welches Karlen als dasjenige bezeichnet, das ihn in seinem bisherigen Leben am meisten geprägt hat. Kreuzchen markieren auf dem Blatt Papier die Stellen, an denen andere Berggänger verunfallt und zu Tode gestürzt sind. Karlen hatte mehr Glück.
Seit jenem Tag vor zehn Jahren, sagt er, sei er als Mensch vorsichtiger geworden. Kein schlechter Zug für einen, der neu mit am Ruder eines grossen Wirtschaftskreuzers steht.
Steckbrief:
Name: Werner Karlen
Geboren: 5. Januar 1967
Zivilstand: Verheiratet, zwei Söhne
Wohnort: Embrach
Ausbildung: Dr.oec.HSG, dipl.Ing.ETH
Funktion: Direktionspräsident und COO der Phoenix Mecano AG.
Schlagworte
BENEDIKT GOLDKAMP: «Was die Firma angeht, ist der Konzernchef ein noch grösserer Präzisionist als ich.»
FAMILIE: «Zusammen mit Arbeit der wichtigste Lebensinhalt.»
BERGSTEIGEN: «Gehört leider der Vergangenheit an. Wenn ich aber einmal wieder mehr Zeit haben sollte, wer weiss...»