Es ist der 9. Mai, die Glocken läuten durchdringend zum 60. Jahrestag des Weltkriegsendes. In der Zentrale der Deutschen Börse in Frankfurt am Main wird die Geschichte einer anderen Kapitulation geschrieben. Einzig an der Herkunft von Siegern und Verlierern hat sich nichts geändert. Gezeichnet von ihrer Schmach gegen die angelsächsischen Investoren, ringen Werner Seifert, CEO der Deutschen Börse, und Präsident Rolf Breuer an diesem Montag im Sitzungsraum des Aufsichtsrats um Worte für eine Niederlage, die für sie wohl für immer unbegreiflich bleiben wird.

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«Seifert war am Boden zerstört», erinnert sich einer der Anwesenden im Gespräch mit der BILANZ. «Er hat zwar wie immer professionell Auskunft gegeben. Aber seinem Gesichtsausdruck und den Gesten haben wir angesehen, wie stark ihn das Ausscheiden trifft.» Auch Breuer, der stets perfekt gekleidete Strippenzieher der deutschen Wirtschaft, wirkt «müde, geschlagen, angekratzt», berichtet ein Mitglied des Aufsichtsrats, das nicht namentlich genannt sein will. Für den öffentlichkeitsverliebten Präsidenten der Deutschen Bank ist es ein schmachvoller Abgang.

Dem Sitzungsteilnehmer klingen immer noch Seiferts letzte Worte im Ohr. «Er blickte uns an, bedankte sich dafür, dass er die Chance gehabt habe, das beste Unternehmen der Welt viele Jahre lang zu leiten, und sprach dann aus, was ihm wohl die ganze Zeit durch den Kopf ging: ‹Ich sehe keinen Grund›, sagte er, ‹warum ich nicht als Chef der Deutschen Börse weitermachen sollte.›

Da wurde klar: Dieser Mann hat nicht begriffen, dass er den Kampf verloren hat, dass das Spiel zu Ende war, weil er gescheitert ist.»

Noch vier Tage vorher wähnte sich Seifert unbesiegbar. Er, der aus «einem Haufen Schrott», wie ein anderes Mitglied des Aufsichtsrats sagt, ein Börsenunternehmen mit einem Wert von 5 Milliarden Euro geschaffen hatte, konnte sich nicht vorstellen, dass seine Tage als Lenker der Deutschen Börse gezählt waren. Den Baumeister der erfolgreichsten europäischen Börsengruppe, mit Aktivitäten in Europa und Übersee, würde man nach zwölfjähriger zäher Aufbauarbeit kaum vor die Tür stellen.

So waren CEO Seifert und Präsident Breuer nach London gereist, um in einer zweitägigen Charmeoffensive revoltierende Grossaktionäre zu besänftigen. Dass es sich bei denen um hartgesottene Finanzprofis handelte, blendete das Duo bis zuletzt aus. Nun war es zu spät: Die Investoren beharrten darauf, Seifert und Breuer an der Hauptversammlung vom 25. Mai loszuwerden. Weil sie über 50 Prozent der Aktienstimmen vertraten, lag das in ihrer Macht.

«Seifert hatte keine Chance mehr, seine Glaubwürdigkeit war weg», begründet ein Manager der Fondsgesellschaft Fidelity, einer Grossaktionärin der Deutschen Börse, die unerbittliche Haltung der Investoren. Ausschlaggebend sei gewesen, dass der Börsenchef die Londoner Konkurrenzbörse LSE erobern wollte, ohne sich vorgängig mit den Hauptaktionären abzusprechen. «Schade um Seifert, der Mann hat sonst einen guten Job gemacht.»

Was Seifert als Unternehmenschef geleistet hatte, belegen die neuesten Zahlen. Anfang Mai präsentierte die Deutsche Börse ihr bestes Quartalsergebnis: 400 Millionen Euro Umsatz und 180 Millionen Euro Gewinn vor Steuern und Abschreibungen. Andererseits ist Seifert ein schlechter Dealmaker. Im Jahr 2000 missglückte ihm der erste Versuch zur Übernahme der LSE. Und auch der Kauf der Schweizer Börse scheiterte letzten Sommer an seinem unzimperlichen Auftreten. Versagt haben auch seine Berater, die Investment-Banker von Goldman Sachs. Die Absprache mit den Grossinvestoren gehöre zum Einmaleins, sagt der Fidelity-Manager.

Recherchen zeigen, dass das Duo Breuer/Seifert voller Hoffnung nach London gereist war. Keiner der beiden rechnete mit dem Worst Case Absetzung.

Als Breuer kurz vor der Abreise seinen Aufsichtsrat zur ausserordentlichen Sitzung für den folgenden Montag aufbot, liess er keine Zweifel an einem günstigen Resultat offen. «Breuer hat uns bis zuletzt signalisiert, dass er und Seifert das Ding schon richten werden», sagt ein Aufsichtsratsmitglied. «So blickten wir alle beruhigt dem Meeting entgegen.»

Gescheitert ist Seifert am Napoleon-Syndrom. Er war überheblich und merkte nicht, dass er auf einen Gegenspieler traf, der so stur wie er selbst ist. Christopher Hohn heisst der Mann, ein 35-jähriger Brite deutscher und jamaikanischer Eltern. Er ist ein preisgekrönter Fondsmanager mit Harvard-Abschluss und hat schon in jungen Jahren ein Vermögen von geschätzten 200 Millionen Franken gemacht. Heute managt er den Children’s Investment Fund seiner Frau, kurz TCI genannt. Der Gewinn kommt auch armen Kindern in Entwicklungsländern zugute.

TCI wurde ebenso wie Fidelity und Merrill Lynch zu einer grossen Aktionärin der Deutschen Börse, nachdem sich diese als erste grosse Börse im Februar 2001 dem Publikum geöffnet hatte. Als Seifert Ende 2004 im Sololauf die Londoner Börse für 2,5 Milliarden Franken übernehmen wollte, platzte Hohn der Kragen. Er startete eine Kampagne und schrieb mehrere öffentliche Briefe gegen das Führungsduo der Deutschen Börse. Gegenüber Journalisten schimpfte er über die Verbandelung an der Spitze deutscher Firmen, zu deren Symbol er Seifert und Breuer machte.

Vordergründig kritisierte der Fondsmanager eine ungenügende Corporate Governance. Herbert Bayer, Gewerkschaftsvertreter im Aufsichtsrat der Deutschen Börse, widerspricht. «Es gibt kaum ein anderes börsenkotiertes Unternehmen in Deutschland, das so transparent ist und einen derart international zusammengesetzten Aufsichtsrat hat.» Hohn sei es nur noch um den Kopf Seiferts gegangen.

Während Seifert per sofort zurücktritt, muss Präsident Breuer vor seinem Ausscheiden einen Nachfolger suchen. Auch wenn bereits über ein Zusammengehen der deutschen mit der französischen Börse Euronext spekuliert wird: Bis zur Wahl des neuen CEO werden kaum Weichen gestellt. Als neuer Chef gehandelt wird unter anderen Reto Francioni, Präsident der Schweizer Börse SWX. Bevor sich Francioni vor fünf Jahren im Streit von Seifert trennte, war er dessen Stellvertreter am Main. Ihm sei nicht langweilig in Zürich, lässt er ausrichten. Auch Markus Granziol, der ehemalige Investment-Banking- Chef der UBS, könnte ein Kandidat sein. Granziol ist Präsident der Derivatebörse Eurex, einer gemeinsamen Tochter der Börsen Deutschlands und der Schweiz. Er will sich nicht äussern.