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Die Aussicht auf schnellen Gewinn an der Börse ist verlockend. Zum einen hat der SMI seit Anfang Jahr um 16% an Wert zugelegt, zum andern sind private Kapitalgewinne steuerfrei.

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Noch steuerfrei. Denn genau darum geht es im Streit, der zurzeit zwischen dem Finanzplatz Schweiz und der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) tobt. Auslöser ist das Kreisschreiben Nr. 8 zum gewerbsmässigen Wertschriftenhandel vom 21. Juni. Es gehöre zu den zentralen Aufgaben der ESTV, sicherzustellen, «dass das Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer einheitlich angewendet wird», erklärt ESTV-Sprecher Lukas Schneider. Dazu gehöre auch, dass der Rechtsprechung des Bundesgerichts Nachachtung verschafft werde.

«Gesetzliche Grundlage fehlt»

Kaum war das Schreiben veröffentlicht, hagelte es Proteste. Als Erster warf der finanzpolitische Sprecher der SVP, der Zürcher Nationalrat Hans Kaufmann, den Steuerbehörden «Beamtenwillkür» vor. Die neue Regelung gefährde das Private Banking und den Wertschriftenhandel «existenziell», schrieb er im Pressedienst seiner Partei und wertete das Kreisschreiben als «schweren Rückschlag für den Finanzplatz Schweiz». In der jüngsten Delegiertenversammlung der FDP doppelte der Schaffhauser Nationalrat Gerold Bührer nach: «Das Schreiben ist sowohl politisch als auch aus ökonomischer Sicht inakzeptabel.»

Was die Politiker enerviert, fasst Eugen David, CVP-Ständerat und Präsident der Wirtschaftskommission des Ständerats, zusammen: «Mit den neuen Regeln gerät der private Normalanleger ins Visier des Finanzdepartements. Dafür fehlt eine gesetzliche Grundlage.» Die Kritiker verweisen auf die mit einem Nein-Anteil von 66% im Dezember 2001 massiv abgelehnte Volksinitiative zur Einführung einer Kapitalgewinnsteuer. David: «Die Einführung über ein Kreisschreiben ist nicht zulässig.» Bührer spricht von «gefährlicher Anmassung der Steuerverwaltung».

Die ESTV wolle die Kapitalgewinnsteuer für Private durch die Hintertüre einführen, kritisiert die Branche. Roland Suter, Direktor Steuerberatung bei Ernst & Young: «Die Rechtsprechung ist allgemein stark fiskalistisch ausgerichtet. Mit dem Argument der Steuergerechtigkeit neigt die Verwaltung ihrerseits dazu, das Steuersubstrat weit zu definieren. Ob und wie weit Hintertüren geöffnet werden, entscheiden im konkreten Fall die Gerichte.»

Risiko der Willkür

«Der Erlass ist skandalös. Es geht nicht an, dass auf diesem Weg Gerichtsentscheide umgesetzt werden, die klar dem Willen des Gesetzgebers widersprechen» sagt Thomas Matter, CEO von Swissfirst. Als besonders willkürlich bezeichnet er die Haltung des Bundesgerichts, wonach allein schon die Absicht, mit Kauf und Verkauf von Aktien einen Gewinn zu erzielen, genüge, um als professioneller Wertschriftenhändler zu gelten. Matter: «Wenn jemand einmal im Monat während fünf Minuten sein Portefeuille analysiert und dann eine Transaktion macht, um Verluste zu vermeiden, ist das nach Bundesgericht bereits gewerbsmässig. Eine solche Sicht ist nicht nur realitätsfremd, sondern geradezu eine Provokation für alle, die beruflich mit der Materie zu tun haben.»

Als «nicht tolerierbare Ungleichbehandlung der Bürgerinnen und Bürger» bezeichnet SVP-Finanzexperte Kaufmann die Bestimmung, wonach Steuerpflichtige mit besonderen beruflichen Kenntnissen Bankfachleute, Treuhänder ungeachtet ihrer Transaktionsvolumina als gewerbsmässige Händler eingestuft würden. Ebenso fragwürdig sei, dass Pensionierte, die ihre Rente durch den Verkauf ihrer Wertschriften aufbessern, für die realisierten Kapitalgewinne Steuern bezahlen müssen.

Marc Bürki von Swissquote, dem grössten Schweizer Anbieter von Online Trading, hat noch keine negativen Reaktionen von Kunden festgestellt.

Nach Meinung von Branchenkennern würde sein Unternehmen die Auswirkungen in jedem Fall stark zu spüren bekommen, zumal die grosse Mehrheit seiner über 44000 Kunden Privatanleger sind. Denkbar ist für Roland Suter von Ernst & Young auch, dass die neuen Vorschriften ein modernes Portfoliomanagement verhindern: «Der in der Schweiz ansässige Anleger wird dadurch vermehrt auf traditionelle Instrumente ausweichen müssen.»

Weg durch Hintertür sperren

Noch hofft Swissfirst-Chef Matter, dass sich die kantonalen Behörden gegen die Umsetzung der Vorschriften wehren. «Wenn dies nicht der Fall ist, wird das für das Private Banking mit Schweizer Kunden gravierende Auswirkungen haben, mit Verlust von Arbeitsplätzen, während der Staat mehr Steuerbeamte anstellen muss.»

So weit wollen es die bürgerlichen Politiker nicht kommen lassen. So erwartet David von Finanzminister Hans-Rudolf Merz eine klare Stellungnahme: «Wenn er die Kapitalgewinnsteuer einführen will, muss er einen Gesetzesentwurf vorlegen. Der Weg durch die Hintertüre geht nicht.»

Hans Kaufmann und Gerold Bührer wiederum denken über Wege nach, um das Unheil doch noch abzuwenden. Eine Idee: Die in die Vorlage zur Unternehmenssteuerreform II verpackte Definition des gewerbsmässigen Wertschriftenhandels herausnehmen und vorzeitig durch das Parlament behandeln lassen. Dann hätte wenigstens die Politik das Heft wieder in der Hand.

Gewerbsmässiger und privater Wertschriftenhandel

Danach müssen sich die Steuerbehörden richten

Wenn sämtliche der folgenden sechs Kriterien erfüllt sind, gehen die Steuerbehörden gemäss Kreisschreiben Nr. 8 vom 21. Juni 2005 in jedem Fall von einer privaten Vermögensverwaltung und von steuerfreien privaten Kapitalgewinnen aus:

1. Die Haltedauer der veräusserten Wertschriften beträgt mindestens ein Jahr.

2. Das Transaktionsvolumen (betragsmässige Summe aller Käufe und Verkäufe) pro Kalenderjahr beträgt gesamthaft nicht mehr als das Fünffache des Wertschriften- und Guthabenbestands zu Beginn der Steuerperiode.

3. Das Erzielen von Kapitalgewinnen aus Wertschriftengeschäften bildet keine Notwendigkeit, um fehlende oder wegfallende Einkünfte zur Lebenshaltung zu ersetzen. Das ist regelmässig dann der Fall, wenn die realisierten Kapitalgewinne weniger als 50% aller steuerbaren Einkünfte in der Steuerperiode betragen.

4. Die Anlagen beziehungsweise deren Transaktionen sind grundsätzlich allen Anlegern zugänglich und stehen nicht in engem Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit beziehungsweise sind nicht auf spezielle Kenntnisse auf Grund einer besonderen beruflichen Stellung zurückzuführen.

5. Die Anlagen sind nicht fremdfinanziert oder die steuerbaren Vermögenserträge aus den Wertschriften (wie zum Beispiel Zinsen, Dividenden und so weiter) sind grösser als die anteiligen Schuldzinsen.

6. Der Kauf und Verkauf von Derivaten (insbesondere Optionen) beschränkt sich auf die Absicherung von eigenen Wertschriftenpositionen.

Sind diese Kriterien nicht kumulativ erfüllt, kann gewerbsmässiger Wertschriftenhandel nicht ausgeschlossen werden.

Die im Kreisschreiben genannten Kriterien sollen nach dem Willen des Bundesrats mit der Unternehmenssteuerreform II (USTRII) durch den nachfolgenden neuen Absatz abgelöst werden:

Veräusserungsgewinne aus Wertschriften, die nicht in funktionalem Zusammenhang mit einem von der steuerpflichtigen Person geführten Geschäftsbetrieb stehen, stellen nur dann (steuerbare, die Red.) Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit dar, wenn

a) die Wertschriften mit mindestens 20% Fremdkapital erworben wurden und nicht länger als fünf Jahre im Eigentum dieser Personen waren;oder

b) der jährliche Verkaufserlös mindestens 500000 Fr. beträgt und das zu Beginn des Steuerjahres vorhandene Wertschriftenvermögen wertmässig mindestens zweimal umgeschlagen wurde.

Der Bundesrat hat die USTR-Vorlage kurz vor den Sommerferien zuhanden des Parlaments verabschiedet. Es dauert noch geraume Zeit, bis sie in Kraft tritt. (syn)