Der Detailhändler Valora testet erstmals neue Ladenkonzepte ohne Kasse. In den beiden Läden «avec box» sowie «avec X», die am Samstag im Zürcher Hauptbahnhof ihre Türen öffnen, ist der Einkauf nur mit einer Handy-App möglich, wie Valora am Freitag mitteilte.
Wer in die Läden hinein will, muss sich über die «avec»-App registriert haben und einen QR-Code einscannen, wie einer Valora-Mitteilung vom Freitag zu entnehmen ist. In der Folge kann er die gewünschten Produkte mit seinem Handy einscannen und dem persönlichen Warenkorb hinzufügen. Abgeschlossen wird die Bezahlung zum Schluss in der avec App.
Die «avec box» steht ab Samstag bis zum 22. April 2019 im Hauptbahnhof Zürich und ist fast rund um die Uhr geöffnet. Sie bietet ein «Convenience-Sortiment» an mit Esswaren für unterwegs, Lebensmitteln und einem Sortiment an Haushaltswaren. Mitarbeitende werden nur während der Stosszeiten am Morgen und am Abend vor Ort präsent sein. Der Laden «avec X» stehe als «Innovationslabor für das Einkaufen von morgen».
Das Marketing-Klingonisch passt zu Valora. Der Retail-Konzern macht sich bereit für die eigene Zukunft. Im April soll sie anbrechen mit dem neuen Format Avec X, dem «radikalsten Projekt aus unserer Pipeline», wie Roger Vogt sagt. Der Leiter des Retail-Geschäfts des Kioskkonzerns beschreibt den neuen Convenience-Shop Avec X so: «Ein modular aufgebautes Zukunftsprojekt, ein Laden, der alle paar Monate anders aussieht.»
«Es muss schnell gehen»
Valoras Pipeline ist so prall, dass selbst Fachleuten schwindlig wird ob dem Speed, mit dem der Muttenzer Konzern Neues aus dem Boden stampft. Neben Avec X geht Mitte Jahr ein neues Format namens Avec Box an den Start, per Ende 2019 ist die Lancierung einer K Kiosk Box vorgesehen. Was die unterschiedlichen Formate eint: Sie sind so mit Kameras und Sensoren durchsetzt, dass beim Einkauf von Marlboro, Mars und Mineralwasser die Technologie im Mittelpunkt steht: Ladenzugang, Einkauf und Bezahlung erfolgen per App.
Vogt sieht den Valora-Digital-Push als Convenience-Offensive: «Das sind neue Lösungen für unsere Kunden, die an Hochfrequenzstandorten schnell und einfach einkaufen möchten.» Man hetze mit den Pendlern mit: «Bei Umsteigezeiten von wenigen Minuten muss es schnell gehen.»
Erstaunlich nur: Im Schweizer Detailhandel ist es an der Tagesordnung, dass der eine Player das repliziert, was der andere eingeführt hat (oder umgekehrt). Doch momentan regt sich bei der Valora-Konkurrenz keine Lust, ihre Läden so hochzujazzen, dass König Kunde seine Einkäufe im unbemannten Shop per Smartphone rapidissimo abhaken kann. «Die Mitbewerber», mutmasst Vogt, «haben offenbar einen anderen Fokus.»
Stromschlag SBB-Ausschreibung
Mag sein. Vor allem aber haben die Mitbewerber einen Verdacht: Valora will nicht nur auf Speed machen. Valora muss. Weil Valora sonst den Zug verpasst. Deshalb erfindet das Unternehmen Konzepte, die dem unbemannten Modell Amazon Go von Jeff Bezos ähneln. «Amazoneskes Antichambrieren» sagt ein Wettbewerber zur Art, wie sich Valora digital abstrampelt. Antichambrieren beim wichtigsten Valora-Landlord, den SBB.
Schon Ende 2016 gab der damalige SBB-Immobilienchef Jürg Stöckli den künftigen Pace an den Bahnhöfen vor. Sein Credo ist auch heute noch aktuell: Neben Verweil-Inseln für Konsumenten werde es künftig eine «Hyper-Convenience-Zone geben, wo schnell bedient wird, bargeldlos bezahlt werden kann und Produkte via Pre-Ordering bereitstehen.»
Dieser Ankündigung folgte Mitte 2018 ein Stromschlag für Valora. Die SBB schrieben die Kiosk- und Convenience-Flächen an Schweizer Bahnhöfen neu aus. Trotz ansprechenden Resultaten ging die Valora-Aktie seither in den Sinkflug über. Dies nicht ohne Grund: «Sollte das Unternehmen sämtliche 230 Kioskstandorte auf SBB-Gebiet verlieren, würde sich nach der Schätzung von Analysten der Umsatz um fast einen Fünftel verringern» rechnete die NZZ jüngst vor.
Um also möglichst viele Standorte zu retten, muss Valora den SBB zeigen, was man draufhat: Digitalisieren für den D-Day, Hypern für die Zukunft.
Schon vorher angefangen
Dem Valora-Vogt ist solches auch schon zu Ohren gekommen: «Die Konkurrenz mag denken, dass wir aufgrund der Ausschreibung einen Digital-Push hinlegen. Doch das ist nicht der Fall.» Die neuen Formate böten «so viel Digitalisierung wie nötig», Innovation sei nun mal der Treiber des Valora-Geschäfts. So seien die Arbeiten für das Projekt Valora X, das am HB Zürich startet, schon vor eineinhalb Jahren losgegangen, «also vor der SBB-Ausschreibung».
Bis zum 14. Dezember 2018 konnten die Bewerber den SBB ihre Dossiers einreichen. Besonders viel Innovationspulver verschoss Valora Anfang Dezember. Mitte 2019 wollen die SBB bekannt geben, mit welchen Vertragspartnern sie ihre Retail-Zukunft an den Bahnhöfen plant.
Mit Material von awp