Delia Fischer und Stefan Smalla haben, was im Detailhandel alle wollen: Frauen, Frauen, Frauen. Im Gegensatz zu den Männern, die grossmehrheitlich sogenannte Bedarfskäufer sind, also eigentlich nur dann einkaufen, wenn sie etwas brauchen, lassen sich Frauen leichter zu Impulskäufen verleiten. Wenn ihnen etwas gefällt, das sie sehen, zücken sie auch dann das Portemonnaie, wenn sie das Objekt der Shopping-Begierde nicht wirklich brauchen. Smalla sagt es so: «Niemand wacht auf und denkt, ich brauche eine neue Etagere. Aber man kann das Bedürfnis wecken.»

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Mit ihrem Unternehmen Westwing – einem Shopping-Klub für Wohnaccessoires und Möbel – haben Fischer und Smalla das Spiel mit der Verführung ins Internet gebracht. Jeden Morgen präsentieren sie den Westwing-Mitgliedern per E-Mail eine Fülle von Ideen, wie das eigene Zuhause schöner, gemütlicher und stylischer gestaltet werden könnte. Und verkaufen ihnen dann die präsentierten Produkte in einem eng definierten Zeitfenster von maximal vier Tagen: Lampen, Kissen, Decken, Geschirr, Stühle, Bettwäsche, Seifenspender, Woks, Zuckerdosen, Sideboards, Spiegel und Kerzenständer.

13 Millionen Mitglieder

Das Westwing-Angebot kommt an. Das erst dreijährige Unternehmen aus München ist in zwölf Ländern aktiv. Es hat über 13 Millionen Mitglieder und erwirtschaftete mit ihnen letztes Jahr einen Nettoumsatz von umgerechnet rund 134 Millionen Franken. Verglichen zum Vorjahr ist dies deutlich mehr als eine Verdoppelung. Neun von zehn Westwing-Käufern sind Frauen. Drei Viertel der Kunden sind Wiederholungstäter.

Das hat Investoren angelockt. Was in der E-Commerce-Finanzierung Rang und Namen hat, ist bei Westwing dabei. Da ist etwa die Beteiligungsgesellschaft Rocket Internet der Gebrüder Samwer. Sie war lange Hauptgeldquelle des Modehändlers Zalando und ist bei Online-Shopping-Firmen beteiligt. Auch die schwedische Kinnevik-Gruppe ist bei Westwing dabei, genau wie der deutsche Lebensmittelhändler Tengelmann und die Verlagsgruppe Holtzbrinck. Aber auch die amerikanische Private-Equity-Gesellschaft Summit Partners – unter anderem wichtige Investorin beim Taxidienst Uber – hat Geld auf Westwing gesetzt. Investoren aus der Schweiz allerdings sind keine dabei. «Wir haben schon mit Geldgebern aus der Schweiz Gespräche geführt», sagt der frühere Bain-Berater Smalla. «Aber ergeben hat sich daraus bislang nichts.»

Rund 20 Millionen Umsatz in der Schweiz

Schweizer Konsumenten sind da gegenüber Westwing aufgeschlossener. Zwar halten Fischer und Smalla die Zahlen zu Kunden und Umsätzen in einzelnen Ländern unter Verschluss. Es gibt zum hiesigen Markt aber Schätzungen: «Westwing dürfte letztes Jahr rund 20 Millionen Franken in der Schweiz umgesetzt haben», sagt E-Commerce-Experte Thomas Lang vom Beratungsunternehmen Carpathia. Analog dürfte Westwing in der Schweiz bereits über 1,5 Millionen Mitglieder haben. Sie werden am Firmensitz in München von einem speziellen Team betreut. «Schweizer Kunden sind für uns sehr interessant», sagt Gründerin Fischer. «Sie haben Geld und sind – wie ich finde – sehr stilbewusst.» Im Schnitt kauft die Westwing-Kundin pro Einkauf für fast 150 Franken ein. In der Schweiz liegt der Wert höher.

Smalla und Fischer haben bei Westwing klar getrennte Aufgaben. «Delia ist unser Karl Lagerfeld, ich bin der Nerd im Hintergrund», sagt Smalla. Fischer, die früher bei der Frauenzeitschrift «Elle» für das Thema Einrichtung zuständig war, sorgt für die Inspiration der Mitglieder. «Die meisten Frauen wissen», sagt sie, «welche Kleider, Farben und Schnitte ihnen stehen. Sie wissen, welches Parfüm sie mögen und welcher Lippenstift für ihren Typ der richtige ist. Aber beim Thema ‹Home and Living› haben sie ganz viele Fragen. Da helfen wir und liefern die Antworten.» Westwing-Mitglieder erfahren zum Beispiel, welche Teppiche angesagt sind und wie sie in der Wohnung ausgelegt werden sollten – der Verkaufs-Newsletter ist gleichzeitig auch Wohnberater.

Tiefrote Zahlen

«Nerd» Smalla kümmert sich um profanere Dinge wie Personal oder Logistik. Aber genau da liegt der Schlüssel dafür, dass Westwing ab kommendem Jahr Geld verdienen kann. Letztes Jahr noch war die Rechnung tiefrot; der Verlust lag bei umgerechnet fast 50 Millionen Franken. Das Unternehmen ist im Urteil von Fachleuten aber so aufgestellt, dass es schwarze Zahlen schreiben kann.

Erstens ist es ausserhalb der USA der mit Abstand grösste Anbieter von Wohnaccessoires und hat bislang vor allem mit der schnellen Expansion und dem Aufbau eigener Logistik-Kapazitäten Geld verbrannt. Zweitens «ist das Geschäftsmodell des Shopping-Klubs äusserst kapitalschonend», wie E-Commerce-Experte Lang sagt. Westwing bestellt bei den Lieferanten erst, wenn die Ware verkauft ist. Dadurch kann das Unternehmen auf teure Lagerhaltung verzichten und braucht für die Logistik bloss Umschlagplätze. Zudem muss Westwing viel weniger in die matchentscheidende Suchmaschinen-Optimierung investieren als ein klassischer Detailhändler. Als rein vermittelnder Klub muss Westwing nicht das anbieten, was Kunden möglicherweise kaufen wollen, sondern verkauft das, was gerade im Angebot ist. Wobei das geschäftliche Risiko, dass ein bestimmtes Angebot auf keine Resonanz stösst, minimal ist – Restposten sind rein virtuell. Drittens hat Westwing – im Vergleich zum stationären Möbelhändler oder zu Online-Anbietern wie Home24 oder Beliani – einen vorteilhaften Sortimentsmix. Grossmöbel wie Schränke oder Tische, deren Handling aufwendig und deren Margen eher tief sind, machen nur einen Bruchteil der angebotenen Waren aus. Der grosse Rest sind margenstarke Kleinprodukte, deren Versand kaum Probleme macht.

Nur mit Marken

Genau dadurch aber könnte Westwing der stationären Konkurrenz dereinst die Butter vom Brot nehmen. Am Verkauf von Grossmöbeln wie dem Regal Billy verdient Ikea zum Beispiel weniger als an den Millionen von günstigen Kerzen, Servietten oder Hotdogs, welche die Kunden en passant konsumieren. Für Hersteller von Wohnaccessoires wiederum ist Westwing oft ein interessanterer Partner als die lokalen Händler. Zusammen mit dem Start-up erreichen Hersteller Kunden in verschiedenen Märkten, während sich der typische Möbelhändler auf ein Land beschränkt. In Europa sind nur die Discounter Ikea und Conforama Ausnahmen von dieser Regel. Doch deren Sortimente bestehen grossmehrheitlich aus Eigenmarken. «Wir dagegen», sagt Smalla, «machen Marken international sichtbar.»