Peter Schaer öffnet die Balkontür seines Büros und tritt in die 50-Grad-Hitze. «Fast alle der 100 weltweit wichtigsten Finanzinstitute sind hier im Dubai International Financial Centre vertreten», sagt der Schweizer und deutet mit seiner Hand auf eine Skyline, die den Vergleich mit New York oder Tokio nicht zu scheuen braucht. «Vor wenigen Jahren war hier nur Wüste.»
Schaer kennt sich aus. Seit gut einem Jahrzehnt wohnt und arbeitet der Banker in Dubai. Im Jahr 2010 übernahm er die Verantwortung für das lokale Geschäft der Zürcher Julius-Bär-Gruppe. Ein Traumjob für einen Schweizer Banker, der aus der fernen Heimat fast nur noch verstörende Nachrichten vernimmt: Ausgehöhltes Bankgeheimnis, anhaltender Steuerstreit mit den Amerikanern, gestohlene Kundendaten, Margendruck und Konsolidierung. Nicht so in Dubai: Seit dem kurzzeitigen Einbruch im Finanzkrisenjahr 2008 läuft das Geschäft im Emirat der Superlative wieder auf Hochtouren. Das liegt auch daran, dass es hier die lästige Debatte um das Schwarzgeld gar nicht gibt.
Während die Banker auf dem Schweizer Finanzplatz verzweifelt nach einem Ausweg aus der Sinnkrise suchen, schöpfen sie in Dubai wieder aus dem Vollen. In der Region gibt es enorm viel Geld zu verwalten: Gemäss jüngsten Zahlen der weltweit tätigen Beratungsfirma Boston Consulting Group stiegen die Vermögen der Superreichen im Nahen Osten zuletzt um mehr als 9 Prozent. Auch bis zum Jahr 2017 soll das Wachstum weiterhin mehr als 6 Prozent betragen.
So mutieren die Vereinigten Arabischen Emirate zu einem Ort, wo sich auch ohne Schwarzgeld viel verdienen lässt. Erstklassiger Service, ausgetüftelte Finanzprodukte, lange Erfahrung und gute Manieren – das alles gefällt der arabischen Kundschaft. Und Schwarzgeld ist tatsächlich kein Thema. «Per Definition gibt es in den meisten Ländern des Mittleren Ostens keine undeklarierten Vermögen», erklärt Daniel Savary, der bei Julius Bär die Marktregion Eastern Mediterranean & Middle East leitet. «Jurisdiktionen wie die Vereinigten Arabischen Emirate oder auch Saudi-Arabien erheben keine Einkommens- und Vermögenssteuern.» So operieren die Schweizer Banken in der scheinbar besten aller Welten.
Tektonische Verschiebung
Die Geschichte des Aufstiegs in Dubai ist relativ neu. Vor vier Jahrzehnten lebten die meisten Menschen noch in einfachen Hütten. Inzwischen lockt die Stadt mit Superlativen wie dem Burj Khalifa, dem höchsten Gebäude der Welt, und hat gigantische Kunstinseln geschaffen (siehe Kasten). Doch erst mit der Eröffnung des Dubai International Financial Centre (DIFC) im Jahr 2004 machte das Emirat seinen Anspruch als führendes Bankenzentrum in der Region definitiv geltend. Das Versprechen an die Investoren dabei: 50 Jahre lang keine Steuern zahlen zu müssen.
Anfänglich belächelt, tummelt sich im Einzugsgebiet dieser Free-Trade-Zone mittlerweile alles, was Rang und Namen in der globalisierten Finanz-Community hat. Nicht minder ist der Anspruch, den Dubai an sich stellt: Das DIFC versteht sich als «globales Finanzzentrum für den Nahen Osten, Afrika und Südasien». Die Regulierungsbehörde, die Dubai Financial Services Authority (DFSA), überwacht das Zentrum mit Regeln, die auf dem britischen Rechtssystem basieren. Die DFSA ist damit für mehr als 300 Finanzinstitute zuständig. In den vergangenen Jahren hätten viele Investoren einiges an Vertrauen in die Finanzmärkte verloren, heisst es beim DFSA. Das müsse sich nun wieder ändern.
Dabei hilft zweifelsohne, dass sich Dubai in einer Welt profilieren kann, die vielerorts durch grosse Unwägbarkeiten, Mega-Verschuldung und Selbstzweifel gelähmt ist. Gleichzeitig profitiert das Emirat von der tektonischen Verschiebung im Geldgeschäft von West nach Ost. «Der Nahe Osten ist für uns, neben Lateinamerika und Asien-Pazifik, eine Region von hoher strategischer Priorität und starkem Wachstum», bestätigt ein Sprecher der Credit Suisse. Auch Julius Bär bekräftigt: «Das Geschäft in Dubai wächst.»
Schweizer Banken nehmen im Nahen Osten allein schon aus Tradition eine privilegierte Stellung ein. Denn viele Araber, die einst mit Petrodollars so unschätzbar reich wurden, zog es schon in den 1970erJahren an die Gestade des Genfersees, wo sich der saudische König Fahd im Vorort Collonge-Bellerive sogar einen Sommerpalast bauen liess. Seither sind neue Generationen nachgerückt, die im Westen studiert haben. Aufgrund der guten Beziehungen ihrer Väter zur Schweiz unterhalten sie weiterhin beste Kontakte zu den helvetischen Bankiers. So fliesst auch viel neues Geld, das vermögende Familien und Unternehmer in der Region verdienen, weiterhin bevorzugt in die Schweizer Banktresore.
Trotz der Boom-Stimmung begegnen nicht wenige Beobachter dem Wüstenstaat mit einer gewissen Skepsis. Noch immer ist ihnen das ominöse Jahr 2008 in Erinnerung. Damals geriet das Emirat nach einer extremen Wachstumsphase in den Sog der Finanzkrise. Die Folge war eine akute Geldnot. Plötzlich konnten die Behörden den Bau ihrer Prestige-Wolkenkratzer kaum mehr finanzieren. Nur dank der überaus grosszügigen Schützenhilfe des mächtigen Nachbarstaats Abu Dhabi liess sich die pekuniäre Dürre dann doch noch überwinden.
Neuerliche Probleme sind nicht ausgeschlossen, angesichts des forschen Expansionskurses, den Dubai mittlerweile wieder eingeschlagen hat. Vorsicht sei nach wie vor beim boomenden Immobilienmarkt angebracht, betont Farouk Soussa, Citigroup-Chefökonom für den Nahen Osten. Ausserdem sei die Verschuldung Dubais sehr hoch geblieben. Sie liege derzeit bei mehr als 100 Milliarden Dollar, schätzt Soussa.
Komplette Beraterteams wechseln
Auch manche Banken sind vorsichtiger geworden und reagieren schnell. So zog die Zürcher Bank Vontobel unlängst ihre gesamte Besatzung im Private Banking aus Effizienzgründen aus dem Emirat ab. «Wir setzen mit unserer Crossborder-Strategie wieder ganz auf den Finanzplatz Genf, mit dem sich vermögende Privatkunden aus dem Nahen Osten traditionell schon verbunden fühlen», erklärt ein Sprecher der Bank Vontobel. Auch die Credit Suisse verlagerte in den vergangenen zwölf Monaten diverse Geschäftsbereiche von Dubai nach Katar.
Hohe Kosten sind in Dubai eine Realität. Das gilt auch bei der Rekrutierung fähiger Private Banker, die es vor Ort ohnehin nicht im Überfluss gibt. Im Gegenteil. Der Wettbewerb um die fähigsten Leute in der Branche ist erbarmungslos und setzt manches Institut vor gröbere Probleme, wenn komplette Teams zur Konkurrenz abwandern.
Gefallen am Private Banking finden zusehends auch lokale Finanzinstitute wie die Emirates NBD, die National Bank of Abu Dhabi und die Commercial Bank of Dubai. Waren diese Häuser bisher vor allem im Retailbanking tätig, also im Geschäft mit Kleinkunden, so mischen sie angesichts der horrenden Wohlstandsakkumulation nun auch munter den arabischen Geldadel auf.
Erfolgsentscheidend in Dubai ist letztlich aber nicht die lokale Konkurrenz, sondern der Wettbewerb, welcher von den benachbarten Finanzplätzen entfacht worden ist. Dazu zählen besonders Abu Dhabi, wo der grösste Staatsfonds der Welt residiert, sowie die katarische Metropole Doha, die sich schon seit einigen Jahren als Finanzzentrum empfiehlt. Unter diesen Prämissen mag es auch kein Zufall sein, dass die katarische Herrscherfamilie über ihren Staatsfonds mittlerweile die grösste Einzelaktionärin der Grossbank Credit Suisse ist.
Im Aufwind als Finanz-Destination befindet sich auch die saudische Hauptstadt Riad, wo gemäss jüngsten Erhebungen der grösste Wohlstandszuwachs in der Region stattfindet. Darum zieht es beispielsweise die Zürcher Bank Julius Bär dorthin. Sie prüft die Eröffnung einer Niederlassung. Doch auch die Türkei laboriert am Plan, sozusagen an der Demarkationslinie zwischen Orient und Okzident ein Finanzzentrum für die arabische Klientel aus der Taufe zu heben.
Trotz der Aufbruchstimmung in den arabischen Finanzkapitalen verstehen es nur die wenigsten lokalen Geldhäuser, den Arabern das Banking so zu servieren, wie es die Schweizer Institute tun. Umgekehrt schätzt die Klientel vom Golf gerade das, was ihr im eigenen Land bisweilen fehlt: Sicherheit, Stabilität und überliefertes Savoir-faire. Und noch etwas: Seit die Wirtschafts- und Währungskrise in Europa immer wieder für Negativschlagzeilen sorgt und der arabische Frühling in den vergangenen zwei Jahren die Scheichs verunsichert hat, sind ihnen die traditionsbewussten Schweizer Banken ganz besonders lieb. Viele reiche Familien aus Unruhe-Ländern wie Syrien oder Ägypten klopfen vermehrt bei Schweizer Banken an. «Der arabische Frühling brachte eine neue Realität. Viele Familien, die bisher ihr gesamtes Vermögen an einem Ort hatten, verlagern nun 5 bis 10 Prozent davon zu Schweizer Banken», sagt Arnaud Leclercq, Head New Markets for Private Banking bei der Genfer Bank Lombard Odier (siehe Interview).
Vorteile dank Pionierrolle
Citigroup-Ökonom Soussa attestiert Dubai trotz der wachsenden Konkurrenz zwischen den verschiedenen Finanzplätzen in der Region die Pole-Position. «Das Emirat hat sich mit seiner Pionierrolle viele Vorteile gesichert und besitzt heute unbestritten die kritische Grösse.» Dem pflichtet man auch bei der UBS bei. «Dubai wird auch in Zukunft der Hub in dieser Region sein», erklärt ein Sprecher der grössten Schweizer Bank, die insgesamt mit rund 60 Mitarbeitern in dieser Marktregion vertreten ist. «Selektiv wollen wir unsere Position sogar noch ausbauen», so der UBS-Sprecher.
Was die Wachstumsperspektiven des Finanzplatzes anbelangt, hat Dubai tatsächlich noch beträchtliche Entfaltungsmöglichkeiten. Wenn Julius-Bär-Mann Peter Schaer vom Büro nach draussen blickt, hat es an manchen Stellen noch viel Platz für den Bau weiterer Wolkenkratzer. Da sieht die Wüste noch genauso unberührt aus wie vor 40 Jahren, als in Dubai alles begonnen hat.
Vom Dorf zur Weltstadt: Keine Steuern für 50 Jahre
Umbau
Vor vier Jahrzehnten war das Wüsten-Emirat Dubai, wo im Jahr 1966 erste Ölvorkommen gefunden wurden, noch eine windige Einöde. Die Menschen lebten in ärmlichen Hütten, und das Wasser wurde auf Eselsrücken transportiert. Inzwischen wohnen gut zwei Millionen Menschen in Dubai. Dass sich der Ort innerhalb weniger Jahre zu einer Weltmetropole mit vielen Superlativen etablieren konnte, hat vor allem mit dem Herrscher des Emirats, Scheich Mohammed bin Rashid Al Maktoum, zu tun. Er ist auch Premierminister und Vizepräsident der Vereinigten Arabischen Emirate – einer Föderation von sieben Emiraten. Rashid Al Maktoum investierte in grossem Stil in die Infrastruktur des Landes und lockte Investoren an. Ziel war, im zweitgrössten Emirat, nach Abu Dhabi, einen modernen Ort für Industrie, Handel und Tourismus zu schaffen. Hinter dieser Idee stand die Erkenntnis, dass die Erträge aus dem Rohölgeschäft in Dubai deutlich schneller als in anderen Emiraten zurückgehen würden. So verfügt Dubai nicht wie Abu Dhabi über grosse Vorkommen dieses Rohstoffes.
Diversifikation
Daher begann Dubai bereits in den 1970er-Jahren in andere Industrien zu diversifizieren. Dazu gehören ein grosser Handelshafen, Logistikzentren, Freihandelszonen sowie ein moderner Flughafen, inklusive einer eigenen Fluggesellschaft. Im Jahr 1985 startete die staatliche Fluggesellschaft Emirates, die mittlerweile eine der grössten Airlines der Welt ist.
Prestigebauten
Unzählige Immobilienprojekte gehören heute zum Stadtbild. Seit dem Jahr 2010 steht in Dubai das höchste Gebäude der Welt. Der Burj Khalifa misst 830 Meter. Zuvor hatte D ubai schon mit künstlichen Inselgruppen von sich reden gemacht, wie der 560 Hektar grossen Palmeninsel Jumeirah, die viele Hotels und Luxusvillen beherbergt. Für das rasante Wachstum der Bauindustrie auf dem Wüstenboden wurden Hunderttausende ausländische Gastarbeiter angeworben, die vor allem aus Asien stammen. Menschenrechtsgruppen kritisierten in den vergangenen Jahren immer wieder die Lebens- und Arbeitsbedingungen dieser Menschen vor Ort.
Abschwung
Dubais rasanter Aufstieg wurde ab dem Jahr 2007 durch die F inanzkrise jäh gestoppt. Viele Vorhaben für die Glamourbauten wurden unterbrochen, manche von ihnen sind immer noch pendent. Der Wüstenstaat geriet in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten. Vor allem der Crash am Immobilienmarkt verschreckte viele Anleger. Mittlerweile erholt sich Dubai zunehmend von der Krise. Die Regierung prognostiziert ein durchschnittliches Wachstum des Bruttoinlandprodukts (BIP) von 4,6 Prozent für den Zeitraum von 2012 bis 2015. Die verbesserte Situation könnte dazu führen, dass Immobilien- Entwicklungsfirmen in Dubai bald beginnen, Anleihen herauszugeben, um die zahlreichen neuen Projekte zu finanzieren. Obwohl der Immobilienmarkt erst vor wenigen Jahren so stark unter Druck geraten war, könnten diese Angebote bei Anlegern auf eine grosse Nachfrage treffen. Bisher konnten die meisten Bauentwickler im Emirat lediglich auf Banken zur Finanzierung zurückgreifen.
Finanzplatz
Im Wettstreit um die Gunst der internationalen Investoren setzt D ubai vor allem auf die Finanzbranche. Herzstück der Finanzindustrie ist das Dubai International Financial Centre (DIFC), das 2004 eröffnet wurde. Es ist eine Freihandelszone für Banken, Versicherer, Vermögensverwalter und andere Unternehmen. Firmen können zu 100 Prozent in ausländischer Hand sein. Ebenso gilt das Versprechen, für 50 Jahre keine Steuern zahlen zu müssen. Diese Zone hat ein eigenes Rechtssystem, das auf britischem Recht basiert. Derzeit gehören rund 900 Firmen zum DIFC, in dem mehr als 14000 Menschen beschäftigt sind. Die Finanzinstitute werden von der Dubai Financial Services Authority (DFSA) überwacht.