Ein 35-jähriger Ruag-Angestellter hatte die offensichtlich unlauteren Verkaufsmethoden des Rüstungsbetriebes intern bereits vor einem Jahr gemeldet. Als Quittung erhielt er Anfang dieses Monats die Kündigung.

Besser erging es da Mark Miller (Name geändert). Er arbeitete für ein grosses englisches Bauunternehmen, das während Jahren Aufträge an eine Drittfirma vergab. Als er gegenüber seinem direkten Vorgesetzten Eric Smith (Name geändert) die ungenügende Qualität ihrer Arbeit anspricht, kommt es zum inoffiziellen Geständnis: Smith sagt Miller, dass die Firma ihm gehöre und die meisten Mitarbeiter Familienangehörige seien.

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Nun war Eric Smith eine hoch angesehene Persönlichkeit in der englischen Industrie, was die Sache für Miller nicht gerade vereinfachte. Er wendet sich an die Non-Profit-Organisation «Public Concern at Work», die ihn unterstützt und ihm hilft, die Sache aufzudecken. Smith fliegt auf und gesteht offiziell.

Mark Miller kann froh sein, dass er in England lebt. Das Land kennt seit 1999 einen gesetzlichen Schutz für Whistleblowers. Whistleblowers werden jene Mitarbeitenden genannt, die durch ihre Hinweise Korruption oder andere kriminelle Machenschaften aufdecken. Auch Länder wie die USA, Irland oder Australien kennen eine solche gesetzlichen Schutznorm für «Hinweisgeber».

Diskriminiert und diffamiert

Nicht so die Schweiz, wie der aktuelle Ruag-Fall zeigt. «Personen, die hierzulande im Betrieb Bestechung, Unterschlagung oder Korruption aufdecken, riskieren meistens ihren Job», weiss Zora Ledergerber, bis Mitte April Geschäftsführerin von Transparency International Schweiz (TI-Schweiz). Die NGO widmet sich dem Kampf gegen Korruption.

Die Organisation wird gemäss Ledergerber in letzter Zeit vermehrt von hilfesuchenden Personen kontaktiert. «Oft erzählen uns Leute, dass sie von ihren Arbeitgebern diffamiert werden, weil sie einen Missstand ansprachen. Das kann so weit gehen, dass ihnen plötzlich aus heiterem Himmel sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz vorgeworfen wird», so Ledergerber.

Gemäss einer US-Studie haben ein Drittel aller Arbeitnehmer Kenntnis von Missständen im eigenen Betrieb. Doch nicht einmal die Hälfte dieser Personen meldet die Unregelmässigkeiten intern oder den zuständigen Behörden.

Das kommt nicht von ungefähr: Internationale Studien zeigen die fatalen Folgen, die Whistleblowers drohen. In 223 untersuchten Whistleblower-Fällen verloren 90% der Hinweisgeber ihre Arbeit oder wurden in der Hierarchie zurückgestuft. 27% erlitten juristische Repressalien, 26% wurden zu einem Arzt oder Psychiater geschickt. 10% unternahmen sogar einen Selbstmordversuch.

Bekannt ist in der Schweiz etwa der Fall von «Meier 19». Als Polizist hatte Kurt Meier eine der grössten Polizei- und Justizaffären Zürichs ins Rollen gebracht. Er verlor seine Stelle und wurde erst Jahrzehnte später rehabilitiert. Auch der ehemalige SBG-Wachmann Christoph Meili hat seit seinen Entdeckungen im Schredderraum der Grossbank keine ruhige Minute mehr.

«Im Interesse der Unternehmen»

Korruptionsfälle werden auch in der Schweiz nur ganz selten publik. Gemäss einer Nationalfondsstudie sind es lediglich zwischen 1 und 5%. Zu oft haben zu viele der involvierten Parteien ein handfestes Geheimhaltungsinteresse.

Das soll sich jetzt ändern durch die Einführung eines neuen Gesetzes, dass Whistleblowers vor ungerechtfertigter Entlassung und vor weiterer Diskriminierungen schützt. FDP-Ständerat Dick Marty (TI) und SP-Nationalrat Remo Gysin (BS) haben im letzten Jahr zeitgleich Motionen eingereicht.

Obwohl der Bundesrat die Motion Marty zur Ablehnung empfahl, überwies eine deutliche Mehrheit des Ständerats am 2. Oktober 2003 ein entsprechendes Postulat.

Remo Gysin wird auf seiner Motion beharren, wie er gegenüber der «HandelsZeitung» ausführte. Voraussichtlich im Juni 2004 soll sie im Nationalrat behandelt werden. «Die heutige Situation ist absolut unbefriedigend», begründet der ehemalige Tessiner Staatsanwalt Marty seinen Vorstoss.

Korruption bezeichnet er als «eine der gefährlichsten Bedrohungen für Gesellschaft und Wirtschaft». Eine Schutznorm für Whistleblower bewirke keine Wunder, so Marty. Sie sei aber eine geeignete Massnahme und ganz sicher im Interesse der Wirtschaft.

Kritik von Seiten der Arbeitgeber

Trotzdem haben sich Arbeitgeberverband und Economiesuisse bislang gegen ein solches Gesetz ausgeprochen. Natürlich sei Unrechtsbekämpfung im Interesse der Wirtschaft, liess Peter Hasler, Direktor des Arbeitgeberverbandes, verlauten. Er sei aber gegen ein solches Gesetz, weil es die Kündigungsfreiheit zu stark beeinträchtige und den Arbeitsmarkt unflexibel mache.

Marty kann dieser Argumentation nicht folgen: «Länder wie Holland oder England zeigen, dass der Arbeitsmarkt trotz eines solches Gesetzes nicht gelitten hat.»

Auch Nationalrat Remo Gysin schüttelt über diese Begründung den Kopf. «Es geht hier nicht um eine gewerkschaftliche Forderung. Im Grunde weiss Peter Hasler, dass es richtig wäre. Es würde für ihn aber einiges an Überzeugungsarbeit in der Wirtschaft kosten», so der Basler. Für Gysin geht es um eine grundsätzliche Kultur der Offenheit in Unternehmen und um die Frage der Kritikfähigkeit. Oftmals handle es sich auch um Fälle in Graubereich. Gysin: «Es ist sehr schwer zu sagen, an welchem Punkt Korruption beginnt.»

Noch unter der damaligen Justizministerin Ruth Metzler zeigte sich auch der Bundesrat skeptisch. Eine Schutznorm fördere das Denunziantentum, und im übrigen biete das geltende Arbeitsrecht genügend Schutz, lautete Metzlers Begründung im letzten Herbst. Christoph Blocher, der heutige Vorsteher des Justiz- und Polizeidepartements, hat sich bislang nicht zur Frage geäussert.

Kündigungsschutz und Ombudsstelle

Wie ein solches Gesetz auszugestalten wäre, skizziert Zora Ledergerber von TI-Schweiz: «Zum einen sollte künftig der Arbeitgeber beweisen müssen, dass der Arbeitnehmer zu Unrecht auf eine Unregelmässigkeit hinwies. Zum anderen braucht es eine Ombudsstelle analog dem Versicherungs-Ombudsmann , an die sich Whistleblowers wenden können, wenn die betriebsinterne Meldung nichts gebracht hat.»

Remo Gysin sieht für seine Motion intakte Chancen, «wenn es im Parlament zu einer echten Diskussion kommt und man nicht wie-der ins alte Rechts-Links-Muster verfällt.» Ständerat Dick Marty gibt sich weniger optimistisch. Er erinnert an die Diskussion über das Geldwäschereigesetz. Vor 20 Jahren forderte er als junger Tessiner Staatsanwalt ein Gesetz gegen Geldwäscherei und wurde als Staatsfeind verschrien. Erst 20 Jahre später führte das eidgenössische Parlament ein Geldwäschereigesetz ein.

Whistleblower-Datenbank: Converium hat früh gehandelt

Die neuen US-Börsenvorschriften, der so genannte Sarbanes-Oxley Act, schreibt Unternehmen auch den Umgang mit Whistleblowers vor. Danach müssen seit Ende 2003 Vorkehrungen getroffen werden, damit Whistleblower-Meldungen entgegengenommen werden können und Hinweisgeber anonym bleiben.

Wenige Unternehmen haben bereits früher reagiert. So etwa die Ende 2001 aus der Zurich Financial Services hervorgegangene Rückversicherungs-Holding Converium, die in Zürich und New York kotiert ist. Schon am 3. Februar 2003 schaltete Paolo Varisco als Head Group Internal Audit eine Whistleblower-Datenbank auf. Den Mitarbeitenden wird dort detailliert erklärt, wie sie vorgehen müssen, wenn sie firmeninterne Missstände aufdecken wollen. Converium garantiert den Schutz vor Repressalien und betont, dass keinerlei Versuche unternommen würden, um die Identität des Hinweisgebers herauszufinden. Gemäss Varisco sind die Erfahrungen mit der Plattform bisher gut. «Das Tool wird aber leider auch genutzt, um den Büronachbarn anzuschwärzen», weiss Varisco.

In anderen Fällen war die Firma froh über Hinweise. Etwa, als ein Mitarbeiter behauptete, er sei an seinem Arbeitsplatz Asbeststaub ausgesetzt. Varisco: «Glücklicherweise kamen die Tests der staatlichen Behörden zum Schluss, dass keinerlei Belastung der Luft vorlag.» An 200 Tagen von 220 Arbeitstagen sei die Datenbank still. Am häufigsten werde sie von Mitarbeitenden in Zürich und New York benutzt.