Siemens-Chef Joe Kaeser wirkt immer entspannter. War er früher praktisch ausschliesslich im dunklen Massanzug mit Krawatte zu sehen, trat er im Sommer nun sogar öffentlich in himmelblauen Freizeithosen auf, den Hemdkragen zwei Knöpfe weit offen. Es läuft sogar so locker, dass er inzwischen seinen Finanzchef Ralf Thomas alleine auf Journalisten loslässt, um Quartalszahlen zu erläutern. Keine Frage: Kaeser sitzt fest im Sattel des Weltkonzerns. Immer wieder sind Berichte zu lesen, der Aufsichtsrat werde seinen Vertrag vorzeitig verlängern. Dabei ist das erst im nächsten Sommer überhaupt möglich.
Die Geschäfte liefen zuletzt gut. Kaeser konnte die Gewinnprognose für das Geschäftsjahr zum Ende September aufstocken. Anders als etwa Rivale ABB können sich die Münchner der Krise der Ölförderindustrie weitgehend entziehen. Die Auftragslage ist im Branchenvergleich gut, der Umsatz wächst sogar etwas. Analysten loben den Siemens-Chef. «Joe Kaesers Anstrengungen, das Geschäft zu vereinfachen und Schwachstellen auszumerzen trägt Früchte», urteilen etwa die Branchenexperten der britischen Barclays-Bank.
Kampf gegen alte Siemens-Übel
Vor allem ist es dem 59-Jährigen seit seinem Amtsantritt vor gut drei Jahren gelungen, eine notorische Siemens-Marotte zu bekämpfen, an der viele seiner Vorgänger gescheitert waren: Immer wieder hatten in den Jahren zuvor ehrgeizige und verpatzte Einzelprojekte wie der verkorkste Anschluss von Umspannwerken in der Nordsee die Jahresergebnisse und Gewinnmargen verhagelt. Kaeser und sein Zahlenmann Thomas führten strenge Auswahlverfahren für neue Geschäfte ein und seither ging im grossen Maßstab nichts mehr schief.
Die neue Disziplin der traditionell technikverliebten Siemens-Ingenieure schlägt sich in den Zahlen nieder. Die operative Marge übersteigt im abgelaufenen Geschäftsjahr die zehn Prozent, wie Analysten schätzen. Und mit ein bisschen Glück knackt Siemens auch Dank der jüngsten Zukäufe erstmals seit zehn Jahren wieder die Umsatzmarke von 80 Milliarden Euro. Damit hat Kaeser eines der zentralen Probleme des Riesenkonzerns mit seinen knapp 350'000 Mitarbeitern erfolgreich bekämpft: Die jahrelange Wachstumsschwäche. Analysten rechnen sogar damit, dass Kaeser dank seiner «Vision 2020» bis Ende des Jahrzehnts an die 90 Milliarden Euro Umsatz bei leicht steigenden Renditen erreichen kann.
Damit auch die Marge stimmt, bedient sich Kaeser gewohnt wiederkehrender Sparwellen. Neben dem Sparziel von einer Milliarden Euro streicht er auch in einzelnen Geschäftsfeldern wie zuletzt der Antriebstechnik hunderte bis tausende Stellen, wenn der Rubel dort gerade nicht rollt.
Machtzentrum «Girls Camp»
Kaeser hat den Konzern streng auf sich zugeschnitten. Das eigentliche Machtzentrum ist sein Generalstab in der nagelneuen Münchner Siemens-Zentrale. «Girls Camp» nennen Spötter die Machtbasis am Wittelsbacher Platz.
Mit Ausnahme von Strategiechef Horst Kayser sind Kaesers engste Vertraute dort allesamt Frauen: Eine zentrale Rolle spielt nach wie vor Mariel von Schumann, die enge Gefährtin Kaesers und Chefin des Zentralbereichs «Governance & Markets» ist faktisch seine Generalstabschefin. Daneben besetzen Dorothee Heckmann als Chefin der Management-Organisation, Janina Kugel als oberste Personalerin und Sabine Reichel als Chefin der Investor-Relation-Abteilung wichtige Rollen. Jüngst holte der umtriebige Niederbayer sich noch Clarissa Haller, die früher bei ABB gedient hat, als oberste Kommunikatorin an seine Seite.
Der eigentliche Vorstand hat längst nicht mehr die Bedeutung, die er in der traditionellen und von Kritikern oft als ausufernd bezeichneten Gremien-Kultur bei Siemens hatte. Rivalen erwüchsen Kaeser dort ohnehin nicht. Der letzte «unsichere Kantonist» Siegfried Russwurm hat sich erst vor einigen Wochen entschieden, andernorts weiterzumachen. Der nach Kaeser zweitdienstälteste Vorstand war zuvor innerhalb des Gremiums von einem Posten auf den anderen geschoben worden. Dass der 53-Jährige seit längerem mit anderen Aufgaben ausserhalb von Siemens liebäugelte - etwa der freiwerdenden Chefstelle beim ebenfalls in München ansässigen Industriegasekonzern Linde - ist in der Branche kein Geheimnis.
Siemens-Chef und Entertainer
Die Zentrierung eines derart grossen Unternehmens wie Siemens auf eine Person - Kaeser - stösst immer wieder auf Kritik. «Siemens ist keine One Man Show», hatte Fondsmanager Ingo Speich von Union Investment den Zuschnitt des Machtzentrums bereits auf der vorletzten Hauptversammlung bemängelt. Zuletzt verlangte der Aktionärsvertreter aber auch, Kaeser solle seine «Vision 2020» bis zuletzt verantworten. «Vorzeitig von Bord zu gehen, wäre verantwortungslos», sagte Speich.
So dürfte Kaeser nach der Vorlage der Jahresbilanz 2015/16 am kommenden Donnerstag seinen Investoren noch einige Abschlüsse präsentieren. Experten warnen allerdings, dass der Gegenwind wieder zunehmen könnte. «In einer Welt mit fortdauernden geopolitischen und ökonomischen Herausforderungen, wird Siemens mehr sparen müssen als die angekündigte Milliarde Euro», sagen die Barclays-Analysten voraus.
Kaeser nimmt's locker. Statt über Bilanzen zu brüten, gibt er den Showmaster. Erst am Donnerstag liess er sich in Frankfurt vor Publikum in einen Tomographen seines Hauses schieben, um die Leistungsfähigkeit moderner Medizintechnik made by Siemens zu illustrieren. Danach zeigte er 2000 Zuschauern Bilder seines Gehirns - alles ganz entspannt.
(reuters/ccr)