China galt als «Königreich der Fahrräder» - bis die Autos sie verdrängten. Dank junger Start-ups sind die Drahtesel jetzt zurück auf den Strassen. Doch die Aussichten des Hypes sind ungewiss.

Plötzlich waren sie überall: An U-Bahn-Stationen, Strassenecken oder auch einfach mitten auf dem Gehweg liess Unternehmer Tony Li kürzlich über Nacht Tausende blaue Leih-Fahrräder in Peking verteilen und fügte der chinesischen Hauptstadt damit die nächsten zweirädrigen Farbtupfer hinzu. 

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Eines von unzähligen Start-ups

«Bluegogo», wie der 28-Jährige seine junge Firma taufte, ist nur eines von unzähligen Start-ups, das derzeit daran arbeitet, den Drahtesel im einstigen «Königreich der Fahrräder» wieder zum Fortbewegungsmittel der Wahl zu machen. 

Von Bildern wie in den 80er-Jahren, als Autos für viele Chinesen noch unerschwinglich waren und stattdessen ein endloser Strom von Fahrrädern die Strassen dominierte, kann zwar nicht die Rede sein. Doch zumindest auf dem Seitenstreifen, gleich neben den mit SUV-Geländelimousinen verstopften Hauptverkehrsadern, ist die farbenfrohe Revolution in den Grossstädten nicht mehr zu übersehen.

Neben Bluegogo sind es vor allem die grossen Konkurrenten Ofo und Mobike, die mit ihren gelben und orange-grauen Rädern das Rennen im jüngsten chinesischen Gründer-Hype für sich entscheiden wollen. 

Ein Segen

«Die Räder sind ein Segen. Ich fahre auf kurzen Strecken kaum noch Bus und stehe nicht mehr im Stau», schwärmt Jia Yangyang, eine 26 Jahre alte Designerin. Auch die 40-Jährige Pekingerin Zhou Ye lobt: «Endlich ein Service, der unsere Lebensqualität verbessert.»

Ausgestattet mit Geldbergen von hoffnungsvollen Investoren haben die Firmen die Grossstädte des Landes in Windeseile mit Hunderttausenden Leih-Rädern geflutet. Per App können die Räder über GPS gefunden, entsperrt und bezahlt werden. Zumindest in der Theorie klingt das nach einem vielversprechenden Geschäftsmodell. Doch davon, profitabel zu arbeiten, können Chinas junge Rad-Unternehmer auf absehbare Zeit trotzdem nur träumen.

Grosse Konkurrenz, viele Kämpfe

Die Branche muss an vielen Fronten Kämpfe austragen. Gegen sich selbst, die Behörden und sogar gegen die eigenen Kunden. «Die grosse Konkurrenz sorgt dafür, dass die Firmen mit hohen Rabatten um neue Nutzer buhlen müssen», sagt der Pekinger Ökonomie-Professor Hu Xingdou. 

Bei Ofo, das bereits mit über einer Milliarde Dollar bewertet wird, müssen die mehr als 20 Millionen registrierten Kunden derzeit überhaupt nichts zahlen, wenn sie die Räder nutzen. Mobike geht seit dieser Woche noch einen Schritt weiter und zahlt seinen Kunden für die Nutzung seiner Räder sogar einen kleinen Betrag aus.

Gegenwind gibt es auch von den Behörden, die sich daran stossen, dass die Räder überall illegal geparkt werden. Der Verwaltung in Shenzhen platzte gänzlich der Kragen, worauf Hunderte Leihräder entfernt und zu Bergen von Fahrrad-Schrott aufgetürmt wurden. 

Nutzer selbst ist die grösste Gefahr

Die wohl grösste Gefahr für die jungen Branche, die schon von der grossen Expansion ins Ausland träumt, sind aber die Nutzer selbst. In sozialen Netzwerken häufen sich Beschwerden von Kunden, die keine Räder mehr ausleihen können, weil andere Nutzer sie einfach mit einem privaten Schloss zu ihrem Eigentum erklärt haben. Andere zerkratzen die Zahlen-Codes der Rädern, sodass sie nicht mehr geliehen werden können. Auch verschwinden Räder in dunklen Hausfluren, wo sie bis zur nächsten Nutzung vor dem Zugriff anderer versteckt werden. 

«Es ist traurig, dass so viele Leute eine tolle Idee durch ihren Egoismus zerstören», sagt Designerin Jia Yangyang. Sie hofft, dass die Unternehmen Wege finden, um gegen den weit verbreiteten Diebstahl und Vandalismus vorzugehen. 

Doch selbst wenn das gelingt, rechnen Brachen-Beobachter nicht damit, dass viele der Start-ups überleben werden. Bis Ende des Jahres werde es eine «scharfe Konsolidierung» geben, warnt etwa der Pekinger Analyst Zhang Xu. Auch auf den Strassen der chinesischen Hauptstadt dürften es dann schon bald wieder weniger farbenfroh zugehen.

(sda/ccr)

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