Ist es in Ordnung, wenn wir gleich zu Beginn des Gesprächs tief in der Klischee-Kiste wühlen?
Kein Problem.

Ich sehe bei Ihnen weder Birkenstock-Schuhe noch Jutesack: Dabei steht Weleda doch für Esoterik und Anthroposophie.
Bei Weleda arbeiten wir im Einklang mit Mensch und Natur, es geht stets um Gesundheit und Schönheit. Das heisst aber nicht, dass wir einen Ökostil oder einen Hippie-Lifestyle zelebrieren oder uns so inszenieren.

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Sie waren nie ein Hippie?
Ich muss Sie enttäuschen.

Wenigstens zur Rudolf Steiner Schule gegangen?
Ja, ich bin zur Waldorfschule gegangen. Damit bin ich allerdings der einzige in der Weleda-Geschäftsleitung. In unserem Management sind es vielleicht 5 bis 10 Prozent, die auf einer Waldorfschule waren. Und was die Mitglieder in der Anthroposophischen Gesellschaft angeht, sind es vielleicht 2 bis 3 Prozent. Das ist eine reine Schätzung, denn wir erheben diese Daten nicht.

Immerhin wurde die Firma 1921 von Anthroposophen gegründet, die auch eine esoterische Weltanschauung vertreten. Wo zeigt sich diese Sichtweise heute noch im Unternehmen?
Einer der Gründer, Rudolf Steiner, war mit seiner ganzheitlichen Weltsicht jemand, der Impulse in Medizin und Landwirtschaft gesetzt hat. Die zweite Gründerin von Weleda war Ärztin, Ita Wegman. Sie war durch und durch Unternehmerin. Steiner und Wegman waren keine angepassten Persönlichkeiten, sie waren Reformer. Im Jahr 1924 ging es bei Weleda schon um biologisch-dynamische Landwirtschaft, das war damals alles andere als Mainstream. Die Biobewegung kam erst in den 1970er Jahren auf. Die Weleda-Grundhaltung war stets, im Einklang mit der Umwelt zu sein. Das ist heute auch noch unser Motiv. Wir sind ein Ort für menschliche Entwicklung und kein Ort der persönlichen Selbstverwirklichung.

«Wenn das Spa-Projekt ein Erfolg wird, werden wir das Angebot ausbauen.»

Müssen Sie Ihre Mitarbeitenden oft daran erinnern?
Es gibt auch mal Mitarbeitende, die starke persönliche Sichtweisen haben, aber vom Grundsatz her ist das allen klar.

Aber Gewinn dürfen Sie machen?
Wir sind ein Wirtschaftsunternehmen, wir wollen profitabel sein. Aber das ist nicht der Sinn, sondern Zweck. Gewinn braucht es, um wirtschaftlich nachhaltig fit zu sein. Die Sinnmaximierung steht bei uns im Vordergrund. Wir sind jedoch keine NGO, wir sind keine Wohlfahrtsveranstaltung.

Gibt es Aktienoptionen für Sie und Ihre Mitarbeitenden?
Nein, diese Art der Incentivierung passt nicht zu uns. Das kann falsche Anreize setzen und hilft möglicherweise nur Partikularinteressen und nicht der gesamten Firma. Wir haben auch kein Bonussystem. Nur ein Festgehalt.

Sie haben einen MBA in St. Gallen gemacht, da stand Esoterik weniger auf dem Lehrplan.
Ich war schon bei Weleda, als ich den Executive MBA machte. Das war total inspirierend. Schön, wenn wir Dinge machen, die sinnvoll für Menschen und die Natur sind, und das verbinden mit Professionalität.

Stören Sie die Esoterik-Klischees?
Sie kommen im meinem Berufsalltag nicht so oft vor, gelegentlich in Bewerbungsgesprächen.

Andreas Sommer

Andreas Sommer (48 Jahre alt) arbeitet als Chief Commercial Officer bei Weleda. Zudem ist er Gechäftsleitungsmitglied und Teil des Vierer-Gremiums, das Weleda kollegial führt. Einen CEO-Posten bei Weleda gibt es nicht. Sommer studierte Geoökologie und hat ein Executive MBA an der Universität St.Gallen (HSG) absolviert.

Warum glauben Sie, dass sich Naturkosmetik besser verkauft als traditionelle Kosmetik?
Das Bedürfnis vieler Menschen ist, solche Produkte zu nutzen. Klar, man kann bei einem Produkt einfach einen Bestandteil hinzufügen wie Aloe vera oder sagen, es sei aus dem Bioanbau. Wir glauben aber, dass es fair ist, Produkte anzubieten, die wirklich naturkosmetisch sind.

Ist das Thema Nachhaltigkeit nicht schon längst Mainstream geworden und auch bei den Procters und Unilevers dieser Welt vertreten? Wie wollen Sie sich differenzieren?
Das Thema Nachhaltigkeit ist als Problemvermeidungsstrategie gross geworden. Es geht darum, den CO2-Fussabdruck zu minimieren oder die Verschmutzung der Weltmeere zu begrenzen. Wir verstehen Nachhaltigkeit hingegen so: Wie können wir einen Beitrag dafür leisten, dass die Vitalität der Natur gesteigert wird? Durch mehr Bioanbau etwa. Das machen viele Grosskonzerne nicht. Wir gehen aber noch weiter und setzen auf biologisch-dynamische Landwirtschaft und wollen von den derzeit 5 Prozent unserer Biorohstoffe, die biodynamisch sind, in den nächsten fünf Jahren auf 30 Prozent kommen. Weleda ist schon jetzt das Kosmetikunternehmen weltweit, das die meisten Biorohstoffmengen verarbeitet.

Daher ist Weleda stets teurer als andere Massenhersteller?
Bei uns geht ein relevanter Teil der Marge auf die Rohstoffqualität. Unsere Umsätze wachsen, das heisst, es gibt die Bereitschaft, für unser Bemühen zu zahlen. Ein Beispiel: Wir nutzen viel Mandelöl. Das ist relativ teuer. Also doch lieber günstigeres Sonnenblumenöl nehmen? Wir finden, von den Eigenschaften her ist Mandelöl viel besser. Das wissen die Kundinnen und Kunden, die keine Kompromisse eingehen wollen.

Welche Weleda-Produkte laufen am besten?
Babycreme ist sehr gefragt. Massageöle, aber auch Duschcremes und Skin Food.

Andreas Sommer
Quelle: Lucia Hunziker / 13 Photo

Wer ist Hauptzielgruppe?
Primär sind es berufstätige Frauen, aber auch Familien mit hohem Gesundheitsanspruch.

Vor einigen Jahren war Weleda fast pleite, wo stehen Sie jetzt?
Im Jahr 2012 hatten wir noch über 100 Millionen Franken Schulden. Seit dem Jahr 2014 sind wir schuldenfrei, unsere Umsätze wachsen. Unser Grundsatz bleibt: Wir dürfen uns fremdfinanzieren, aber Weleda ist nicht verkäuflich.

Klimawandel und Rohstoffknappheit beschäftigen Sie: Was sind sonst Ihre Herausforderungen?
Wir müssen anpassungsfähig bleiben, die Welt ändert sich schnell. Digital, global – es ist viel in Bewegung.

Weleda macht nicht nur Naturkosmetik, sondern auch Medikamente. Warum kann Weleda die Arzneimittelsparte nicht profitabel betreiben?
Weleda hat nie auf Blockbuster gesetzt und hatte stets ein breites Sortiment im Bereich Arzneimittel. Das hat auch historische Gründe, weil den Ärzten ein breites Angebot geschaffen werden sollte. Wir arbeiten allerdings daran, Schwerpunkte zu setzen.

Warum halten Sie an Arzneien fest?
Es ist Teil der Unternehmensidee, eine Pharmasparte zu haben, und dies ist weiterhin auch Teil unserer Eigentümerstrategie. Wir gehören der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft und der Klinik Arlesheim.

Blockbuster ist ein grosses Wort; wann schliessen Sie zu Roche und Novartis auf?
Zu diesen grossen Pharmaanbietern werden wir nicht aufschliessen können. Aber wir werden innerhalb der Komplementärmedizin schauen, dass wir relevante Marktanteile erzielen können.

Was sind Trends? Setzen Sie auch auf Hanfprodukte?
Wir setzen generell nicht auf solche Trends, wir schauen uns aber auch Hanf- beziehungsweise CBD-Produkte an. Für uns ist allerdings mehr die Frage, welches Kundenbedürfnis wir erfüllen wollen. Uns ist auch wichtiger, auf nachhaltige Lieferketten zu achten, als auf einen Trend zu setzen.

Selbst das ist schon ein Trend. Sogar Nestlé setzt beim Babybrei auf die Blockchain, um so die Lieferkette zu verfolgen.
Die Rückverfolgbarkeit von Waren und die Biodiversität im Sourcing-Gebiet sicherzustellen: das ist unsere Differenzierungsmöglichkeit gegenüber der Konkurrenz.

Sie sind Kommerzchef. Weleda setzt auf ein kollegiales Führungsgremium. Gibt es also gar keinen Chef bei Weleda?
Unsere Geschäftsleitung besteht aus vier Personen, die gleichberechtigt sind.

Wie arbeiten Sie? Schliessen Sie sich in einen Raum ein, um Entscheide zu treffen? Wie wissen Ihre Mitarbeitenden, was angesagt ist?
Es braucht Klarheit über Ziele und Strategien. Ausserdem ist die Bereitschaft zu delegieren nötig, aber auch Verantwortung zu übernehmen und zusammenzuarbeiten. Ego-Trips sind nicht gefragt. Für den Weleda-Geschäftserfolg sind wir vier gemeinsam verantwortlich.

Und wenn es Meinungsverschiedenheiten gibt?
Es braucht offene Gespräche und das Interesse an einer Lösung. Wir machen Konsent, nicht Konsens. Das bedeutet: Gibt es substanzielle Bedenken für die gesamte Organisation, die gegen eine Idee sprechen? Mit diesem Ansatz haben wir bisher immer eine Entscheidung gefunden.

Andreas Sommer
Quelle: Lucia Hunziker / 13 Photo

Wie lange bleibt Weleda noch ohne CEO?
Es war ein Eigentümerentscheid, das Unternehmen so zu führen. Mittlerweile sind wir längst über die Probephase hinaus.

Sie sagen, Frauen gehören zur Hauptzielgruppe von Weleda. Allerdings gibt es in der Geschäftsführung keine Frau. Im VR gibt es nur eine Frau.
Der Wunsch ist, das auf jeden Fall zu erhöhen. Bei der diesjährigen Generalversammlung wird sich Monique Bourquin als neues VR-Mitglied zur Wahl stellen. In meinem Team gibt es sechs Regionaldirektoren, davon sind drei Frauen. Auch mein Head of Global Marketing ist eine Frau.

Im DACH-Raum ist Weleda schon sehr bekannt. Was ist mit dem Rest der Welt? Wo wollen Sie wachsen?
Was Naturkosmetik angeht, setzen wir nicht nur auf Europa, sondern haben auch grosse Erwartungen in Asien und den USA.

In den USA hat sich Weleda früher schon engagiert. Doch das floppte.
Damals war unsere Distribution viel zu breit. Allerdings wächst gerade in den USA die Naturkosmetik stark. Zuletzt hatten wir dort wieder Erfolg und wollen weiter zulegen.

Online boomt. Ist der stationäre Handel tot?
Nein. Die Masse des Geschäfts wird weiter im stationären Verkauf stattfinden. Allerdings verschwimmen die Grenzen von online und offline immer mehr.

Viele Kunden, die auf Nachhaltigkeit setzen, sagen: Ich kaufe nicht bei Amazon. Warum ist Weleda bei Amazon vertreten?
Wir können den Verkauf unserer Produkte auf Amazon gar nicht verhindern. Bei Marketplace bieten etwa Grosshändler unsere Produkte an. Amazon ist eben ein sehr offener Vertriebskanal.

Weleda: Firma ohne Chef

Weleda verkauft Naturkosmetik und anthroposophische Arzneimittel, ist in mehr als fünfzig Ländern vertreten und hat 2440 Mitarbeitende. Die Firma aus Arlesheim wurde 1921 gegründet. 33,5 Prozent des Kapitals und 76,6 Prozent der Stimmrechte gehören der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft und der Klinik Arlesheim.

Die Firma setzt auf ein kollegiales Führungsprinzip, einen CEO als Chef gibt es nicht. Die Geschäftsleitung hat vier Mitglieder: Alois Mayer (COO) für Produktionsprozesse und Logistik, Aldo Ammendola als CRDO für Forschung und Entwicklung, CFO Michael Brenner für Finanzen sowie Andreas Sommer als CCO für den Bereich Markt.

In China sind Sie auch beim Alibaba-Ableger Tmall dabei. Was lernen Sie daraus?
Solche Anbieter sind wichtige Produktsuchmaschinen. Produkt-Content ist in Asien viel wichtiger als in Europa, da müssen Sie viele Fragen von Verbrauchern beantworten.

Wie ausgeliefert sind Sie grossen Online-Plattformen wie Amazon? Die Kundendaten sind dort, nicht bei Weleda.
Ehrlich gesagt ist das auch im stationären Handel immer so gewesen. Mit dem Gebrauch von Kundenkarten wie Payback haben die Händler viele Daten gesammelt, die die Hersteller nicht haben. Wer den letzten Kontakt zum Kunden hat, der hat einen Vorteil.

Derweil vereinen wenige Online-Plattformen immer grössere Marktanteile.
Egal ob Migros, Coop oder Walmart: Im Handel gibt es immer mächtige Spieler. Es geht darum, diese Spieler zu verstehen und gemeinsam sinnvoll Geschäfte zu machen. Die Frage ist: Wo sind rote Linien?

Und zwar?
In China verkaufen wir bis auf wenige Produkte wie Seife und Zahnpflege im Einzelhandel keine Waren. Hintergrund ist, dass wir Tierversuche ablehnen. Also liefern wir nur online, an Privatkunden – das geht ohne Tierversuche.

Kürzlich hat Weleda eigene Spas lanciert. Kommen die bald auch in die Schweiz?
Erst mal sind wir damit in den Niederlanden gestartet, an drei Orten. In Deutschland sind zwei geplant.

Was steckt dahinter?
Wenn Sie ein Spa suchen, dann herrscht im Markt viel Intransparenz: Wie seriös ist das Spa? Welche Produkte werden dort verwendet? Solche Fragen sind oft ungeklärt, dabei wollen Sie sich doch einfach nur entspannen. Wir haben gemerkt, dass es in dem Geschäft keinen Systemanbieter gibt. Wir orientieren uns an den Bedürfnissen der Kunden und haben in den Niederlanden sogar bis 22 Uhr geöffnet. Es ist allerdings kein Showroom für Weleda-Produkte. Wenn das Spa-Projekt ein Erfolg wird, werden wir das Angebot ausbauen.